Experte: Pandemie-Übung von 2007 zu wenig genutzt

  28 Mai 2021    Gelesen: 534
  Experte: Pandemie-Übung von 2007 zu wenig genutzt

Für den Ausbruch einer Supergrippe üben Behörden im Jahr 2007 den Ernstfall. Dabei kommen etliche Schwachstellen ans Licht. Die Folge: Anweisungen für eine bessere Krisenvorsorge. Doch die wurden kaum umgesetzt, kritisiert der einstige Übungsleiter.

Der Koordinator der letzten großen bundesweiten Pandemie-Übung 2007 beklagt eine unzureichende Umsetzung der damaligen Erkenntnisse in der heutigen Corona-Krise. Mit Blick auf die aktuelle Seuche sagt Wolfgang Grambs: "Wir sind eigentlich nie vor die Lage gekommen." Etwa bei Impfungen und Schulschließungen habe Deutschland zu spät und nicht optimal gehandelt. Bei einer besseren Umsetzung der Empfehlungen von 2007 wäre das Land nicht "relativ unvorbereitet" in eine Krise geschlittert, die sich anders als ein Stromausfall über Wochen angekündigt habe - etwa mit negativen Nachrichten aus China.

Nach einer zweijährigen Vorbereitung hatten Behörden von Bund und Ländern, Unternehmen und andere Organisationen bei der zweitägigen Abschlussübung "Lükex 2007" den Ausbruch einer Supergrippe mit 27 Millionen Kranken und mehr als 100.000 Toten simuliert. Nur mit Computern und Stiften - reale Einsatzfahrten gab es nicht. Der Kommandostand war in der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz in Bad Neuenahr-Ahrweiler im nördlichen Rheinland-Pfalz eingerichtet.

Laut dem Abschlussbericht traten bei der Übung mit 3000 Beteiligten "Schwachstellen", "Defizite" und "Missverständnisse" zutage. Das 53-seitige Papier formuliert zahlreiche Handlungsempfehlungen. Dazu zählt etwa die Aufforderung zu kontinuierlichen Folgeübungen und Fortbildungen. Doch dazu ist es laut Grambs zu wenig gekommen: "Es fehlt eine nationale Übungskultur." Dieses Defizit und ständige Personalwechsel führten zum Verlust von Wissen und Erfahrungen: "Viele Krisenmanager wurden so im Frühjahr 2020 kalt erwischt."

Informationen "kamen in der Regel zu spät"

Zu den einstigen Empfehlungen gehört auch die Weiterentwicklung der Impfstrategie. Dazu hätte es nach Worten von Grambs in ausreichendem Maße spätestens nach der ersten Corona-Welle kommen müssen - was aber nicht der Fall gewesen sei. Die Vorbereitung der Impfkampagne "hätte öffentlich wahrnehmbar spätestens vor der Sommerpause 2020 starten müssen". Auch der Nachweis von Impfungen bleibe unzureichend, sagt der frühere Oberst, der 2008 für die Koordinierung mehrerer bundesweiter Übungen das Bundesverdienstkreuz bekommen hat und in Bad Neuenahr-Ahrweiler wohnt. Die meisten Geimpften würden nicht digital erfasst. Die gelben Papierimpfausweise seien leicht zu fälschen.

Zu der im "Lükex"-Abschlussbericht angeratenen Verbesserung der Bund-Länder-Koordination ist es laut Grambs kaum gekommen: "Es gibt kein verfassungsrechtlich autorisiertes Entscheidungsgremium im föderalen System. Die Runde der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin ist aus der Not geboren und letztlich unverbindlich bezüglich ihrer Entscheidungskompetenz und -legitimation." Zu den Erkenntnissen von "Lükex 2007" gehört überdies die strategische Bedeutung einer funktionierenden Krisenkommunikation.

Diese ist in Corona-Zeiten Grambs zufolge jedoch nur ansatzweise und nicht durchgängig zu erkennen. Es gebe ein "generell vielstimmiges Bund-Länder-Konzert mit Misstönen aus dem kommunalen Bereich". Informationen für Bevölkerung in zentralen Fragen wie Masken und Impfen "waren stets widersprüchlich und kamen in der Regel zu spät". Wenn aber nachvollziehbare vernünftige Entscheidungen und ihre Veröffentlichung fehlten, "überlässt man die Führerschaft in der Diskussion extremen und radikalen Gruppen", warnt der Ex-Koordinator.

Mangel an Schutzkleidung war bekannt

Die Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz gehört zum Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Bonn. Dieses räumt ein, dass "Lükex 2007" und auch noch Corona gezeigt hätten, dass die Versorgung mit medizinischem Schutzmaterial verbessert werden könne. Das BBK reagiere unter anderem mit der Mitwirkung beim 2020 von der Bundesregierung beschlossenen Aufbau einer Nationalen Gesundheitsreserve mit Schutzausrüstung, Schutzmasken, Beatmungsgeräten und Medikamenten.

Das BBK verweist auch auf seine rasche Corona-Kommunikation mit Bürgern, etwa über die Warn-App NINA. Schon im Frühjahr 2020 seien zudem ein "Ratgeber zu Verhaltensregeln und -empfehlungen für die häusliche Quarantäne" sowie "Covid-19-Tipps für Eltern" entstanden. Daneben habe die Behörde Fachinformationen zusammengestellt wie zum Beispiel "Covid-19. Psychosoziale Hilfen für Krankenhauspersonal".

Quelle: ntv.de, Jens Albes, dpa


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