“Wir wollten Heimat und sind nun in Gefangenschaft“

  19 März 2016    Gelesen: 841
“Wir wollten Heimat und sind nun in Gefangenschaft“
Die meisten Einwohner der von Russland annektierten Halbinsel Krim wollen nicht zurück in die Ukraine. Doch mit den neuen Herren werden sie auch nicht warm. Zwischen den Welten und nirgends zu Hause.
Vor zwei Jahren gingen Jelena und Dmitri Wladimirow, ein junges Ärztepaar aus Sewastopol, zum Wahllokal und stimmten für den Anschluss der Krim an Russland. "Die Emotionen spielten eine große Rolle. Wir fühlten uns schon immer mehr Russland als der Ukraine zugehörig", sagt Jelena Wladimirowa heute. "Ich will nicht mehr zurück", ergänzt ihr Mann. Doch zufrieden mit dem Leben unter neuer Führung ist das Paar auch nicht.

"Wir hatten andere Erwartungen", sagt Dmitri. Wie so viele Ukrainer hoffte er auf mehr Wohlstand mit Russland. Jetzt muss er zugeben, das "unser Lebensstandard schlechter geworden" ist. Zwar wurden die Gehälter von Ärzten angehoben, doch nun sind sie in ein Grundgehalt und einen Bonus aufgeteilt – und vom Bonus sehen die Mediziner immer weniger.

Die 29-jährige Kinderärztin Jelena Wladimirowa verdient umgerechnet rund 100 Euro im Monat, mit allen Aufschlägen und Bunuszahlungenb kommt sie auf knapp über 300 Euro. Ihr 31-jähriger Ehemann, der als Frauenarzt arbeitet, verdient im günstigsten Fall etwa 500 Euro. Die Preise sind stark angestiegen, weil die Lebensmittel ausschließlich aus Russland über die Meerenge von Kertsch mit Fähren geliefert werden können. "Ich bereue nichts", sagt Dmitri Wladimirow. "Aber ich hoffe, dass sich das Leben hier noch verändern wird."

Zwei Jahre nach dem umstrittenen Referendum ist die Euphorie bei den Einwohnern verflogen, sie müssen den russischen Alltag meistern. Beim Abendspaziergang durch die Straßen der Hauptstadt Simferopol dröhnen die Generatoren, die sich Cafés und Restaurants nach dem Stromausfall Ende vergangenen Jahres angeschafft haben. Einige Straßenlaternen ist erst seit Kurzem wieder in Betrieb. Russland legt zwar neue Unterwasserkabel, um mehr Strom vom Festland zu liefern, doch noch immer ist die Stromversorgung auf der Halbinsel unzureichend.

Kreml-Chef Wladimir Putin weiß, dass er hier Erfolge braucht. Höchstselbst informierte er sich deshalb über Fortschritte beim Bau der ersten dauerhaften Brücke über die Meerenge von Kertsch. Das Miliardenprojekt soll die Krim mit dem russischen Festland verbinden und den mühsamen Fährverkehr zur Versorgung überflüssig machen. "Wir hoffen, dass wir diese historische Mission erfüllen", sagte Putin. Die Energieprobleme der Halbinsel würden bis 2018 gelöst.

Das ist auch dringend geboten. Als ukrainische und krimtatarische Aktivisten im vergangenen November Strommasten in die Luft sprengten, waren Menschen und Betriebe tagelang von der Stromversorgung abgeschnitten. Oleg Subkow, Zoobesitzer in Jalta, verlor zwei weiße Tigerbabys. Sie starben an Unterkühlung, weil die Heizung ausgefallen war. Die Staatsanwaltschaft machte ihn dafür mitverantwortlich, Ermittlungen und Anklagen folgten und der Unternehmer musste den Löwenpark schließen. "Am wenigsten mache ich die Ukraine für den Stromausfall verantwortlich", sagt Subkow. "Die Behörden hatten zwei Jahre Zeit, um sich auf solche Situationen vorzubereiten, doch sie haben nichts getan."

Korruption und kriminelle Methoden auf der Krim

Eigentlich hatte Subkow den Anschluss an Russland vor zwei Jahren unterstützt. Er drohte damals, persönlich die Krim mit seinen Kampflöwen gegen die ukrainische Armee zu verteidigen. Einen Tiger taufte er Referendum und ein Zebrababy Russland. Heute sagt er: "Wir sind nicht in die Heimat zurückgekehrt, sondern in Gefangenschaft geraten." Den Machthabern der Krim wirft Subkow Korruption vor. Über den Premierminister Sergej Aksjonow sagt er: "Er war und ist ein Bandit und regiert die Republik mit kriminellen Methoden." Nun will Subkow ins Ausland gehen.

Nicht alle, die 2014 beim "russischen Frühling" – so wird die Krim-Annexion genannt – mitgemacht haben, erhielten den erhofften Einfluss oder bessere Ämter. In Sewastopol stand etwa der Unternehmer Alexej Tschaly an der Spitze prorussischer Demonstrationen und wurde zum "Volksbürgermeister" ausgerufen. Im März 2014 reiste er nach Moskau, um das Dokument über den Anschluss zu unterzeichnen. Allerdings wurde nicht er Gouverneur von Sewastopol, sondern der ehemalige Vize-Kommandeur der russischen Schwarzmeerflotte Sergej Menjajlo.

Tschaly, bis heute der populärste Politiker der Stadt, wurde Spitzenkandidat der russischen Regierungspartei Einiges Russland und später immerhin Sprecher des Stadtrates. Doch im Dezember erklärte er seinen Rücktritt. In Sewastopol gibt es sogar – unvorstellbar in jeder anderen Region Russlands – eine Spaltung der Regierungspartei. "Stellen Sie sich vor, dass Sie, ein einfacher Mensch, in eine VIP-Loge im Theater eingeladen werden", so beschreibt die Lage Stadtrat Sergej Kaschanow, der Tschaly nahesteht. "Doch das Licht geht aus und plötzlich beginnen die anständigen Menschen um Sie herum, an Sesseln zu kratzen, ihre Handys anzuschalten und Portemonnaies zu klauen." Da habe man eben keine Wahl und müsse gehen.

Die Sanktionen sind ein Flopp

Kaschanow leitet in Sewastopol die putinnahe Organisation "Vereinte Volksfront". Der Präsident wolle aufrichtig nur das Beste für die Krim, sagt er. Doch die Regionalbehörden würden alles falsch machen. Das Geld aus Moskau werde nicht zum Nutzen der Bevölkerung ausgegeben, es gebe keine Kontrollmechanismen, was zu Korruption führe. Umgerechnet acht Millionen Euro für die maroden Straßen der Stadt seien verschwunden. "Keiner in Sewastopol hat diese Straßen gesehen."

Der Gouverneur schiebt die Schuld in bewährter russischer Manier auf den "Einfluss aus dem Ausland". Stadtrat Kaschanow dagegen kritisiert, dass der Ex-Admiral sich nur um die Interessen der Schwarzmeerflotte kümmere, aber nicht um die der Einwohner. "Aber das Land kann doch nicht ewig im Kriegszustand leben. In ein paar Jahren werden die Menschen fragen, wo die wirtschaftliche Entwicklung geblieben ist."

Mit der Wirtschaftsentwicklung sieht es tatsächlich schlecht aus. Der Tourismus – die wichtigste Einnahmequelle der Krim-Bewohner – ist nach der Annexion eingebrochen. "2014 war das schlimmste Jahr, mehr als die Hälfte aller Reisefirmen gaben auf", sagt Anna Abramowa, die Besitzerin eines Reisebüros in Sewastopol. "In diesem Jahr hoffen wir, dass wir mehr Besucher bekommen, weil Ägypten und die Türkei als Reiseziele für russische Touristen weitgehend ausfallen."

Trotzdem sei es kein Problem, Sanktionen zu umgehen und sogar Schengen-Visa in russische Reisepässe, die auf der Krim ausgestellt wurden, zu bekommen. Auch die Kreditkarten von Visa und MasterCard funktionieren auf der Krim trotz der Sanktionen problemlos. Auch Abramowa stimmte vor zwei Jahren für den Anschluss. "Ich kann nicht sagen, dass ich mich jetzt freue oder enttäuscht bin", sagt sie. "Ich passe mich einfach den neuen Bedingungen an. Ich weiß, dass es keinen Weg zurück gibt."

Am härtesten trifft es auf der Krim die Menschen, die die Annexion abgeleht hatten. Viele von ihnen sind geflohen, mehrere Aktivisten wurden verhaftet oder sind spurlos verschwunden. Die unabhängigen Medien wurden unter Druck gesetzt, nur sehr wenige ukrainische Journalisten arbeiten weiter anonym und in ständiger Angst.

Den Widerstand der Krimtataren will Russland brechen, indem es ihr Selbstverwaltungsgremium Medschlis als "extremistische Organisation" brandmarkt. Wer jetzt öffentlich äußert, dass die Krim zur Ukraine gehöre, riskiert eine Anklage wegen Aufrufs zum Separatismus. Einige pro-ukrainische Aktivisten werden von den Geheimdiensten schikaniert.

Leonid Kusmin, ein 25-jähriger Lehrer, hat seinen Job verloren, als er am Geburtstag des ukrainischen Dichters Taras Schewtschenko eine Demonstration organisieren wollte. "Der Schuldirektor warf mir vor, ich sei ein US-Agent", erzählt er. Jetzt arbeitet er in einer Zahnklinik. Er wurde mehrmals festgenommen, Geheimdienstmitarbeiter des FSB drohten ihm und sagten, er solle die Krim verlassen. "Ich bleibe hier", sagt er, obwohl er nicht mehr daran glaubt, dass die Halbinsel je wieder ukrainisch wird.

Bleiben will auch Kliment, der Bischof der ukrainischen orthodoxen Kirche des Kiewer Partiarchats. Auch er wird unter Druck gesetzt. Das Gebäude seiner Kirche in Simferopol wurde von den Behörden an eine Privatfirma vermietet, nun klagt er vor Gericht. "Aber es gibt auf der Krim kein Gesetz, nur den Plan, alle, die die russische Krim nicht akzeptieren, einzusperren oder zu verjagen. Aus der Krim will man eine Militärbasis machen. Und die Bevölkerung wird dabei zur sozialen Last."

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