Russland greift im Osten an, die Ukraine im Süden

  30 Mai 2022    Gelesen: 530
  Russland greift im Osten an, die Ukraine im Süden

Während die russischen Truppen im Donbass Geländegewinne erzielen und Offensiven vorbereiten, greift die ukrainische Armee im Süden an. Ein rascher Vormarsch der Russen in städtischem Gebiet ist allerdings nicht zu erwarten.

Die russischen Streitkräfte ziehen nach Angaben der ukrainischen Armee Material und Truppen zusammen, um die Stadt Slowjansk anzugreifen. Slowjansk liegt im Donbass in der Region Donezk, konnte aber bislang von der Ukraine gehalten werden. Eine Eroberung von Slowjansk und der südlichen Nachbarstadt Kramatorsk würde Russland dem Ziel näher bringen, die Region Donezk vollständig zu besetzen.

"Im Raum Slowjansk haben die feindlichen Einheiten eine Umgruppierung ihrer Streitkräfte vorgenommen, um die Offensive in Stoßrichtung Isjum - Barwenkowe und Isjum - Slowjansk zu erneuern", teilte der ukrainische Generalstab weiter mit. Zur Vorbereitung seien 250 Militärfahrzeuge in den Raum Isjum verlegt und darüber hinaus eine Eisenbahnbrücke im Gebiet repariert worden, um den Nachschub zu beschleunigen. Darüber hinaus sei auch eine Staffel von Ka-52-Kampfhubschraubern nördlich von Isjum stationiert worden. Die Ka-52 gelten als die modernsten schweren Kampfhubschrauber Russlands. Daneben seien die russischen Truppen dabei, sich auch in Lyman nordöstlich von Slowjansk neu aufzustellen.

In der Region Luhansk steht weiterhin die Gegend um die benachbarten Städte Sjewjerodonezk und Lyssytschansk im Fokus der russischen Angriffe. Westlich davon versuchen die russischen Truppen Richtung Bachmut vorzurücken und somit die letzte Versorgungslinie Richtung Sjewjerodonezk zu kappen. Bei schweren Gefechten in städtischen Gegenden werde der russische Vormarsch vermutlich langsam sein, schreibt die US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) in ihrer jüngsten Analyse.

Gegenoffensive in Cherson

Unterdessen sieht das ISW Hinweise darauf, dass die ukrainische Armee mit ihrer begrenzten Gegenoffensive an der Grenze zur Region Cherson Erfolge erzielt hat. Das ISW geht nicht davon aus, dass die Ukraine über diese Gegenoffensive kurzfristig größere Territorien zurückgewinnen kann. Allerdings könne Russland dazu gezwungen werden, weitere Truppen dorthin zu verlegen, die anderswo abgezogen werden müssten. Auch die administrative Integration der Region Cherson könnte durch die Angriffe zumindest verlangsamt werden.

Im Verlauf des Krieges gebe es ein Muster, schreibt der Militärstratege Mike Martin, der derzeit am King's College London forscht, auf Twitter. Die Russen würden Kräfte auf eine Gegend konzentrieren, würden dafür jedoch an anderen Fronten schwächer. Die Ukrainer "tauschen Raum für Abnutzung", ziehen sich also zurück und bringen der russischen Armee dabei Verluste bei, um schließlich an anderer Stelle eine Gegenoffensive zu starten.

Wenn die Ukraine den Großraum Sjewjerodonezk halten könne, "dann sieht es wirklich nicht gut aus für Russland", schreibt Martin. Wenn Russland die Stadt doch einnehme, könne Putin verkünden, er habe die Region Luhansk "befreit".

Martin verweist darauf, dass Russland seine Kriegsziele stetig reduzieren musste: von der "Entnazifizierung" der Ukraine - also einem militärischen Sieg über das ganze Land - bis hin zur Eroberung von Luhansk und Donezk. Tatsächlich hat der russische Außenminister Sergej Lawrow die Einnahme des Donbass gerade als "bedingungslose Priorität" bezeichnet.

Es gehe darum, die ukrainische Armee aus den Regionen Donezk und Luhansk zu drängen, sagte Lawrow nach Angaben seines Ministeriums in einem Interview mit einem französischen Sender. In anderen Gebieten liege die Entscheidung "bei den Menschen selbst". Damit könnte Lawrow die Durchführung von Pseudo-Referenden über einen Anschluss an Russland oder die Bildung von "Volksrepubliken" in den Gebieten Cherson und Saporischschja gemeint haben.

"Wir bemühen uns, mehr Waffen zu finden"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Russland vor, Sjewjerodonezk bereits weitgehend vernichtet zu haben. Die gesamte Infrastruktur sei zerstört, sagte Selenskyj in einer Videobotschaft. "90 Prozent der Häuser sind beschädigt. Mehr als zwei Drittel des Wohnbestands der Stadt sind komplett zerstört." Die Stadt werde ständig beschossen. Die russische Armee wolle Sjewjerodonezk unbedingt erobern. "Und es ist ihnen egal, wie viele Leben sie für den Versuch bezahlen müssen."

Die Ukraine unternehme alles, um die Offensive einzudämmen. "Es gab keinen einzigen Tag, an dem wir uns nicht bemüht haben, mehr Waffen zu finden, mehr moderne Waffen, um unser Land, unser Volk, zu schützen", sagte Selenskyj.

Briten sehen schwere Verluste unter russischen Offizieren

Nach britischen Angaben hat Russland "verheerende Verluste" in seinem Offizierskorps erlitten. Brigade- und Bataillonskommandeure seien an vorderster Front aktiv, teilte das Verteidigungsministerium in London unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mit. Dies liege zum einen daran, dass sie für den Erfolg ihrer Einheiten persönlich verantwortlich gemacht würden. Zudem fehlten der russischen Armee qualifizierte Unteroffiziere, die bei westlichen Streitkräften diese Rolle erfüllten.

Diese schweren Verluste aber hätten mehrere Folgen für die russischen Streitkräfte, betonte das Ministerium. So seien neu zusammengestellte Bataillone wegen des Mangels an Nachwuchsführungskräften vermutlich weniger effektiv. Zudem bestehe die Gefahr, dass sich bestehende Probleme wie ein Mangel an Disziplin und schwache Moral noch verschärften. Es gebe glaubwürdige Berichte über vereinzelte Meutereien. Schließlich werde die Modernisierung der Armee weiter erschwert.

Nach ukrainischen Angaben, die sich nicht überprüfen lassen, sind bereits mehr als 30.000 russische Soldaten im Krieg getötet worden.

Quelle: ntv.de, hvo/dpa


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