“Mehr Demokratie ertragen“

  24 Mai 2016    Gelesen: 445
“Mehr Demokratie ertragen“
Der Bundespräsident fordert mehr Mut zum politischen Streit. Zum Tag des Grundgesetzes warnte Gauck aber auch vor einer Radikalisierung der Gesellschaft.
Bundespräsident Joachim Gauck hat zu einer offenen Auseinandersetzung mit aktuellen Streitfragen aufgerufen. Zugleich warnte er aber vor einer Radikalisierung der Gesellschaft. In einer Rede zum Tag des Grundgesetzes kritisierte er eine Tendenz in Politik und Medien, "aus pädagogischem Antrieb heraus Diskussionen lieber einzuhegen, um dem vermeintlich Guten zum Durchbruch zu verhelfen". Spannungen löse man aber nicht, indem man ausgrenze und stigmatisiere, sondern durch Offenheit und Gegenargumente.
In einer Zeit, in der das politische Meinungsspektrum wieder breiter werde, sollten Unterschiede nicht verschwiegen oder "glattgebügelt" werden, sagte Gauck. Kontroversen seien kein lästiges Übel, vielmehr sei Mut zum politischen Streit gefragt.

Gauck sprach vor mehr als 700 Vertretern aus den Kommunen bei einer Veranstaltung zum Tag des Grundgesetzes. Es wurde vor 67 Jahren, am 23. Mai 1949, veröffentlicht. Gerade Kommunen seien "Werkstätten der Demokratie", in denen Debatten-Demokratie eingeübt werden könne – insbesondere seit Deutschland ein Einwanderungsland geworden sei. Die Bürger sollten durch Offenheit, Engagement, Einmischung und durch ihre Wahlbeteiligung das Zusammenleben in Deutschland mitgestalten, forderte Gauck.

Das Staatsoberhaupt erinnerte an einen berühmten Satz des ersten sozialdemokratischen Bundeskanzlers Willy Brandt. "Wir sollten – wie schon Willy Brandt mahnte – mehr Demokratie wagen. Auch wenn das für manchen heißen mag: mehr Demokratie ertragen. Wir brauchen also Gespräch und Geduld." Bei einigen Menschen habe sich allerdings ein Denken in Freund-Feind-Bildern breitgemacht, weil sie sich von der Politik und den Institutionen übergangen und nicht repräsentiert fühlen, beklagte Gauck.
"Keine Gesprächsgrundlage mit Verfassungsfeinden"

Doch es gebe auch Grenzen der Gesprächsbereitschaft, schränkte Gauck ein: "Mit Verfassungsfeinden, also Menschen, die den Verfassungsstaat in seinen Kernbestandteilen ändern oder abschaffen wollen, gibt es keine gemeinsame Gesprächsgrundlage."
Ohne die Pegida-Bewegung direkt beim Namen zu nennen, kritisierte Gauck "gewisse Demonstrationen" und deren Kampfbegriffe wie "Lügenpresse" und eine Verunglimpfung der Demokratie als ein "System". Dieser Begriff sei schon in der Weimarer Republik benutzt worden, um die Demokratie zu unterhöhlen.

Dabei kritisierte der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Gauck, der Ruf "Wir sind das Volk" werde vereinnahmt. Es sei lächerlich, wenn sich die Sprecher solcher Protestbewegungen anmaßten, den Willen des Volkes zu repräsentieren. Er sage ihnen in aller Deutlichkeit: "Das `wahre Volk` hat in wahren – nämlich freien, gleichen und geheimen – Wahlen entschieden, welche Vertreter seine legitimierten Repräsentanten sein sollen."
"Wir sind das Volk" war der zentrale Slogan auf den Montagsdemonstrationen in der DDR im Herbst 1989. Pegida verwendet ihn, um sich gegenüber Zuwanderern und vor allem von Muslimen abzugrenzen.

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