So viel zahlen die Briten wirklich an die EU

  21 Juni 2016    Gelesen: 918
So viel zahlen die Briten wirklich an die EU
Mit Horrorzahlen werben die Brexit-Befürworter seit Monaten für den EU-Austritt Großbritanniens. 445 Millionen Euro zahle das Land an Brüssel – wöchentlich. Die wahre Summe ist aber eine ganz andere.
Über den britischen Anteil am EU-Haushalt wird seit Jahrzehnten gestritten. Auch vor dem EU-Referendum spielen die Transfers nach Brüssel eine wichtige Rolle. Doch was zahlen die Briten wirklich?

Wie viel zahlen die Briten derzeit an die EU?

Großbritannien ist wie auch Deutschland und Frankreich ein Nettobeitragszahler, das Land zahlt also mehr in den EU-Topf ein, als es herausbekommt. Den zuletzt verfügbaren Zahlen aus dem Jahr 2014 zufolge zahlte das britische Finanzministerium HMT im Jahr 2014 9,9 Milliarden Pfund netto ein, nach heutigem Wechselkurs 12,5 Milliarden Euro.

Pro Woche sind das 190 Millionen Pfund, umgerechnet 240,8 Millionen Euro. Auf jeden einzelnen Briten heruntergerechnet sind es 153 Pfund pro Jahr (rund 194 Euro) oder 42 Pence am Tag (53,2 Cent), die an die EU gehen.

Grundlage für diese Zahlen ist das so genannte Pink Book des nationalen Statistikamtes ONS. Nimmt man jedoch nicht nur die finanziellen Leistungen der EU an die öffentliche Hand, sondern auch jene an die britische Privatwirtschaft für die Berechnung hinzu, reduziert sich der jährliche Betrag weiter nach unten.

Auf Basis der Daten der Europäischen Kommission ergibt sich ein Durchschnitt von 7,1 Milliarden Pfund – umgerechnet neun Milliarden Euro, die Großbritannien zwischen 2010 und 2014 jährlich an die EU überwiesen hat. Die nächste Version des Pink Book wird Ende Juli veröffentlicht, darin werden auch die Zahlen für 2015 aufgeführt.

Wie viel macht das vom britischen Gesamthaushalt aus?

Der britische EU-Beitrag macht 1,2 Prozent des gesamten Haushaltes aus, den Finanzminister George Osborne pro Jahr vorlegt. 2014 gab er insgesamt 798 Milliarden Pfund aus, nach heutigem Kurs 1,01 Billionen Euro. Die 9,9 Milliarden Pfund, die in dem Jahr an die EU gingen, stellten also nur einen winzigen Teil der gesamten öffentlichen Ausgaben des Vereinigten Königreiches dar.

Welche EU-Mitgliedsländer zahlen mehr als Großbritannien, welche weniger?

Gemessen an der Größe des Bruttoinlandsproduktes zahlt Deutschland den Löwenanteil des EU-Haushalts, es sind dem Datendienst Statista zufolge 21,36 Prozent. An zweiter Stelle folgt Frankreich mit einem Anteil von 15,72 Prozent des EU-Haushaltes. Erst danach kommt der 12,57 Prozent große Beitrag der Briten, gefolgt von 11,48 Prozent des EU-Budgets, die die Italiener zahlen. Bleibt Großbritannien in der EU, muss diese Verteilung auf Dauer angepasst werden, denn die britische Wirtschaftsleistung ist seit 2014 höher als die französische.

Überweisen die Briten wirklich 350 Millionen Pfund wöchentlich?

Die Summe wird vom Lager der Austrittsbefürworter stetig wiederholt. Damit, so die Vote-Leave-Kampagne, ließe sich pro Woche ein neues Krankenhaus bauen oder aber eine andere Lücke im NHS, dem chronisch unterfinanzierten staatlichen Gesundheitssystem, schließen.

Die Summe ist allerdings so nicht richtig – aus mehreren Gründen. Die Briten schicken natürlich nicht jede Woche eine Beitragszahlung nach Brüssel, deshalb ist schon die Formulierung, die das Austrittslager gewählt hat, nicht zutreffend. Die britische Statistikbehörde hat die Zahl aus diesem Grund als irreführend und zu stark vereinfachend bezeichnet.

Dennoch verteidigen prominente Leave-Befürworter, unter anderem Londons ehemaliger Bürgermeister Boris Johnson, die Zahl weiterhin. Auch die Summe an sich ist jedoch nicht korrekt: Zieht man den "Rebate" ab – den Rabatt, den Großbritannien seit 1985 jedes Jahr bekommt – sind es nach Angaben der unabhängigen Faktenprüfungsorganisation Full Facts auf die Woche heruntergerechnet nur 248 Millionen Pfund, die Großbritannien in den EU-Haushalt einzahlt.

Was ist der "Rebate" und was hat Margaret Thatcher damit zu tun?

Bevor Großbritannien seinen Jahresbeitrag nach Brüssel überweist, wird automatisch ein Rabatt abgezogen. Dieser lag dem ONS zufolge im Jahr 2014 bei 4,4 Milliarden Pfund, umgerechnet 5,58 Milliarden Euro. Der Grund für den Rabatt sind die Verhandlungen der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher.

Üblicherweise orientiert sich die Einzahlung an der Wirtschaftsleistung und den Mehrwertsteuereinnahmen der EU-Länder. Etwa 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens jedes Landes müssen zum Beispiel an den Haushalt der Staatengemeinschaft abgeführt werden. Großbritannien zahlt weniger, weil man damals argumentierte, dass der eigene Agrarsektor kleiner sei als der Frankreichs. Somit erhalte man auch weniger Unterstützung für diesen Sektor aus Brüssel.

Der Rabatt wurde erstmals im Jahr 1985 gewährt. Er ist nicht offiziell in den EU-Verträgen aufgeführt, wird aber alle sieben Jahre neu berechnet und muss dann von allen Mitgliedsländern bestätigt werden. 2005 wurde die Berechnungsgrundlage unter Premier Blair geändert, Großbritannien beteiligt sich seitdem stärker an den durch die EU-Osterweiterung entstehenden Kosten.

Sowohl Blair als auch seine Nachfolger Brown und Cameron haben sich für eine Beibehaltung des Rebate ausgesprochen und Bemühungen der anderen Mitgliedsländer, den Britenrabatt zu streichen, ins Leere laufen lassen. Sollten die anderen EU-Staaten entscheiden, den Rabatt abzuschaffen, kann Großbritannien ein Veto einlegen.

Wie viel bekommen die Briten pro Jahr von der EU?

Die öffentliche Hand erhielt im Jahr 2014 dem ONS zufolge 4,8 Milliarden Pfund, umgerechnet rund sechs Milliarden Euro. 1,1 Milliarden Pfund entfielen auf Mittel des Europäischen Regionalentwicklungsfonds, unter anderem für ärmere Landesteile wie Wales und Cornwall, und 2,3 Milliarden Pfund auf Mittel des Europäischen Landwirtschaftsgarantiefonds.

Dazu kommen die Zuwendungen der EU an den privaten Sektor – unter anderem Universitätsförderprogramme – in Höhe von 1,8 Milliarden Pfund, umgerechnet 2,28 Milliarden Euro. Würde Großbritannien keinerlei Zuwendungen erhalten und gäbe es den Rebate nicht, läge die jährliche Zahlung bei 19,1 Milliarden Pfund, umgerechnet 24,2 Milliarden Euro.

Quelle : welt.de

Tags:


Newsticker