Ihr Therapeut Ortwin Meiss habe sie darum gebeten, ihr Leid mit einem Bild zu beschreiben, erinnert sie sich an die Situation. Sie wählte ein graues Dreieck. Anschließend fragt er, welche Farbe und Form sie sich vorstellen müsse, damit der Schmerz weggehe. Gelb und rund, antwortete sie. "Stellen sie sich nun vor, dass dieser Kreis das graue Dreieck wegschiebt." Rewerski folgte den Anweisungen. Und verließ die Praxis wenig später ohne Migräne. Mittlerweile ist das Erlebnis 25 Jahr her. Bis heute sei sie beschwerdefrei, berichtet Rewerski.
Die Geschichte der inzwischen 60-Jährigen aus Hannover ist ein Extrembeispiel, aber kein Einzelfall. Wissenschaftler der Universität Duisburg-Essen etwa veröffentlichten im Jahr 2014 eine Studie, in der hypnotisierte Brustkrebspatientin über weniger Angst und Schmerzen klagten als jene, bei denen die Methode nicht angewandt wurde. Auch Folgebeschwerden wie Übelkeit oder Erbrechen fielen demnach geringer aus. Die Frauen brauchten weniger Schmerz- und Narkosemittel.
Nicht Halbschlaf - Hypnose erzeugt vollste Konzentration
Die Kunst der Hypnose begleitet die Menschen bereits seit Tausenden Jahren. Die heute in der Medizin genutzte Form der Hypnotherapie prägte der amerikanische Psychiater Milton Erickson allerdings erst in den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Ihm zufolge haben Patienten die Kompetenz, ihre körperlichen und psychischen Probleme selbst zu bewältigen. Aufgabe des Therapeuten ist, ihm dabei zu helfen.
Am Anfang der Therapie habe der Therapeut mit einer sehr beruhigenden Stimme auf sie eingeredet, ihr gesagt, dass sie sich entspannen solle und ihre Umgebung nicht mehr wahrnehmen müsse. Dass sie sich nur auf das konzentrieren solle, was er sagt, erinnert sich Rewerski an die Situation. Sie schien immer tiefer in den schwarzen Sessel zu sinken, seine Worte über ihre Krankheit, Farben und Formen liefen in ihrem Kopf ab wie ein Film. Sie verlor das Gefühl für die Zeit.
Was Rewerski beschreibt, ist typisch für eine Trance. Im Gegensatz zum Wachbewusstsein, bei dem die Gehirnaktivität gleichmäßig verteilt sei, werde diese bei der Hypnose in einem zentralen Bereich gesammelt, erklärt Meiss. Die Folge sei vollste Konzentration und nicht wie oft angenommen eine Art Halbschlaf. "Wenn man es metaphorisch beschreibt, sind im Gehirn verschiedene Lämpchen an, die mal hier, mal da leuchten", sagt der Diplom-Psychologe. Während der Trance leuchte nur eine Lampe, die anderen lägen im Dunkeln. "Man ist wie im Tunnel."
Den Schmerz abspalten
Mit diesem Ansatz unterscheidet sich eine Hypnose grundlegend von einer Meditation, die sich eher am Hier und Jetzt orientiert. "Meditation würde sagen: Ich will alles wahrnehmen, aber ich lasse mich vom Schmerz nicht überwältigen", sagt Dirk Revenstorf, Professor für klinische Psychologie an der Universität Tübingen. "Die Hypnose sagt: Ich will den Schmerz dissoziieren, also abspalten." Und das gelingt nur in der Trance.
Während der Trance sind laut Revenstorf zwei Regionen des Gehirns heruntergefahren:
Der präfrontale Kortex, der normalerweise plant, verknüpft sowie Vernunft und Entscheidungen steuert.
Und der Precuneus, der die Ich-Wahrnehmung regelt.
"Wir können unser Alltags-Ich umgehen, das wir sonst anschalten, wenn wir Situationen beurteilen", sagt Revenstorf. Aussagen wie, "das kann ich nicht", könnten so umgangen werden. Stattdessen verhielten sich die Patienten oft überraschend, da sie auf dieser Ebene ihr bisheriges Wissen neu ordnen könnten. "Sie können dann plötzlich jemandem ganz unbefangen begegnen, vor dem Sie immer Angst hatten", sagt Revenstorf.
``Niemand weiß, wie das genau funktioniert"
Aus Sicht des Psychologen wird bei der Hypnotherapie das Gehirn neu gebahnt. Im Fall von Rewerski sei der Schmerz in die Vorstellung eines Dreiecks übersetzt und auf Distanz gehalten worden. In der Trance werde das Problem dann in eine Farbe verwandelt, die mit Schmerz nicht mehr vereinbar sei, sagt Revenstorf. "Das machen Menschen in diesem Zustand intuitiv und niemand weiß, wie das genau funktioniert." Diese Heilungsvorstellung wird dann an den Körper weitergegeben und übersetzt.
Untersuchungen zeigen, dass sich unter Hypnose Nerven verändern können. Nach Angaben des Hypnose-Forschers Bongartz reagiert auch das autonome Nervensystem. Das Herz schlage langsamer, Blutdruck, Atemfrequenz und Muskeltonus seien verringert. Der Körper schütte weniger Stresshormone aus. Die Anzahl der roten Blutkörperchen und der Blutplättchen erhöhe sich.
Trotzdem ist Hypnose kein Allheilmittel - schon allein, weil sie nicht bei jedem gleich anschlägt. "Nicht alle Menschen können sich gleichermaßen gut darauf einlassen", schränkt der Münchner Psychotherapeut Burkhard Peter ein. Wie gut sich ein Mensch hypnotisieren lassen kann, muss Peter zufolge während der Sitzung herausgefunden werden.
Traumatisierte Menschen besonders trancefähig
Traumatisierte Menschen seien unter Umständen besonders trancefähig, sagt Psychologe Revenstorf. "Im Trauma reagiert der Organismus mit einer Art Notfallreaktion, indem er Wahrnehmungen wie Schmerz oder Affekte wie Angst oder Hilflosigkeit abspaltet. Andernfalls würde es das Opfer emotional nicht verkraften." Es sei eine angeborene Fähigkeit, die der Mensch dann reaktiviere.
Wie es möglich ist, dass ein Hypnotisierter selbst bei einer Operation keinen Schmerz empfinde, ist allerdings auch 25 Jahre nach der ersten Hypnose-Operation noch ungeklärt. "Es gibt ein paar wenige und gute Daten, die zeigen, dass sich im Gegensatz zum Wachbewusstsein bestimmte Regionen im Frontalhirn entkoppeln, die sonst zusammenarbeiten", sagt Ewald Naumann, Leiter des Psychophysiologischen Labors an der Universität Trier. "Wir wissen aber nicht, was sich neu koppelt und was zum Beispiel dazu führt, dass es keinen Schmerz gibt."
Mit seinem Team und in Kooperation mit der Universität Jena will der Forscher in den kommenden zwei Jahren bisher erhobene Daten auswerten. Egal was dabei rauskommt: Für Patientin Rewerski ist Hypnose auch so "wie ein kleines Wunder".
Quelle : spiegel.de
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