Absturz vor Augen

  08 November 2016    Gelesen: 995
Absturz vor Augen
In der US-Gesellschaft wird die Kluft zwischen Arm und Reich tiefer und tiefer. Die Mittelschicht schrumpft - und ausgerechnet die Boomregion San Francisco ist das Symbol einer neuen sozialen Spaltung.
Ein Bild für San Francisco? Vielleicht dies: Auf einer Kreuzung an der Market Street im Herzen der Stadt halten hintereinander an einer Ampel: ein Porsche Carrera, ein Ferrari Testarossa, ein Tesla. Nur ein paar Meter weiter lässt ein Obdachloser die Hose herunter und entleert im Stehen seine Fäkalien auf den Bürgersteig. Die Passanten in der morgendlichen Rushhour schauen kaum auf. Gleichmütig zieht der Penner seine Hose wieder hoch.

San Francisco ist ein seltsamer Ort, selbst in einem extremen Land.

Die Weltmarken des Internetzeitalters - Twitter, Google, Airbnb, Uber - errichten hier neue, kühne Hauptquartiere und Niederlassungen. Die Lobbys sind aus Marmor, der Blick geht weit über die blaue Bucht. Für die Mitarbeiter gibt es in der Mittagspause kostenlos Bioerdbeeren und frische Austern. Vor den Eingängen liegen zerbrochene Crackpfeifen, lungern Junkies herum. Die heben den Müll auf und bewerfen damit Angestellte, die auf 2000-Dollar-Rennrädern an ihnen vorbeirasen.

San Francisco boomt, Zehntausende ziehen jedes Jahr neu in die Metropolregion, Softwareentwickler, Ingenieure, Designer; sie verdienen 150.000 Dollar aufwärts. Tausende aber verlassen jedes Jahr die Stadt, Lehrer, Polizisten, Arzthelferinnen, sie verdienen 70.000 Dollar oder weniger. Einfache Dreizimmerwohnungen kosten knapp 5000 Dollar Miete im Monat, in guter Lage über 7000. Es gibt in der Bay Area 55 Restaurants mit Michelin-Sternen und allein in San Francisco 56 Suppenküchen. Es gibt fast 3000 Start-ups und mindestens 7500 Obdachlose.

spiegel.de




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