Auf der Bühne des World Market Center in Las Vegas stand Nick Sampson, Entwicklungsleiter beim Fahrzeughersteller Faraday Future, und verkündete nicht weniger als eine "neue Ära der Mobilität". Dass außer ein paar Brancheninsidern und Hardcore-Auto-Nerds bislang kaum jemand seine Marke kennt, hielt ihn nicht von weiteren, ähnlich vollmundigen, Ankündigungen ab. Er versprach den Hunderten Gästen, dass sie gleich Zeugen der Enthüllung des ersten Exemplars "einer neuen Spezies von Auto" würden.
Jeder von Sampson Sätzen wurde dabei von einem Teil der Zuschauer frenetisch bejubelt. Faraday Future hat nach eigenen Angaben mehr als 1400 Mitarbeiter, und viele von ihnen schienen es an diesem Abend nach Las Vegas geschafft zu haben. Dort suchte der Auto-Newcomer im Rahmen der Computermesse CES die große Bühne: Auf der tennisfeldgroßen Leinwand hinter Sampson erschien ein Zeitstrahl, auf dem die Erfinder wegweisender Technologien aufgeführt wurden, unter anderem Carl Benz, Vater des Automobils, und Tim Berners-Lee, Vater des Internet. Am Ende des Strahls: Faraday Future.
Der schnellste seiner Art
Wie kommt eine neu gegründete Marke dazu, sich aus dem Stand in eine solche Ahnengalerie einzusortieren? Die Antwort des Herstellers auf diese Frage ist der FF91: Ein Elektroauto, oder, wie es der Hersteller sagen würde, das Elektroauto. Das mit der angeblich schnellsten Beschleunigung und größten Reichweite der Welt - in 2,39 Sekunden von null auf Tempo 100, eine Akkuladung soll für rund 700 Kilometer reichen.
Unter den Zuschauern saßen an diesem Abend auch einige leitende Angestellte eines deutschen Autoherstellers. Zu Beginn der Veranstaltung ähnelte ihre Mimik dem Gesichtsausdruck Angela Merkels während einer Rede von Dietmar Bartsch im Bundestag: zur Schau getragenes Desinteresse. Aber als statt großer Worte große Zahlen fielen, wurden die etablierten Konkurrenten aufmerksam. War da gerade wirklich von 783 kW (1065 PS) Leistung die Rede?
Dabei hatte die Firma an ähnlicher Stelle schon vergleichbare Zahlen in den Raum gestellt: Anfang 2016 kündigte der US-Hersteller ebenfalls auf der CES einen elektrischen Superflitzer an und prahlte mit Fabelwerten für Beschleunigung und Reichweite. Damals wurde der Auftritt des Branchenneulings, der erkennbar dem Konkurrenten Tesla nacheifert, allerdings noch vornehmlich belächelt: Kaum jemand glaubte daran, dass das neu gegründete Unternehmen ein Jahr später überhaupt noch existieren würde.
Plötzlich steht ein Ferrari auf der Bühne. Und zwei Tesla.
Doch das tut es, mischt weiterhin die Branche auf, und gefällt sich erkennbar in dieser Rolle: Denn in Las Vegas brach der Newcomer bei seiner Show gleich mal mit einem ungeschriebenen Gesetz: Bei Autoherstellern gilt es schon als Tabubruch, die Modellnamen anderer Marken öffentlich in den Mund zu nehmen. Bei Faraday Future aber fuhren nacheinander auf die Bühne: ein Bentley Bentayga, ein Ferrari 488 GTB, ein Tesla Model X und ein Tesla Model S.
Die Moderation des Abends hatte zu diesem Zeitpunkt der Chef der Antriebsentwicklung bei Faraday Future, Peter Savagian, übernommen. "Nett", spöttelte er, als der Ferrari im Zeltpavillon aus dem Stand mit Vollgas startete und zum Seitenausgang rausraste. "Nicht so schüchtern", sagte er zum Model S, als es angerollt kam. Jeder Wagen durfte kurz zeigen, was er in Sachen Beschleunigung drauf hat, bis der FF91 (sprich FF nine-one) kam und - natürlich - den rasantesten Start hinlegte.
Eine Zirkusnummer, die sogar in der Showmetropole Las Vegas schräg wirkte. Gleichzeitig passte sie zu einer Weltpremierenfeier, die in ihren besten Momenten an "Wetten, dass.. ?" erinnerte: Um zu demonstrieren, zu was der Wagen mit seinen 13 Radars, zwölf Sensoren, zehn Kameras und einem Lidar-System fähig ist, wurden auf der Leinwand Aufnahmen von vor dem Zelt gezeigt - so wie einst bei den "Außenwetten" in der großen Samstagabendshow.
Vor dem Zelt war Peter Savagian in seinem FF91 vorgefahren, ausgestiegen, und hatte auf sein Smartphone getippt. Anschließend schaute er zu, wie sich das Auto alleine einen Parkplatz suchte und rückwärts einparkte. Der Stellplatz war kurz zuvor noch belegt gewesen und nach Zufallsprinzip ausgewählt und freigeräumt worden. Als Edelstatist diente dabei der im Publikum anwesende Bürgermeister von Las Vegas (Nick Sampson hatte ihn den Parkplatz aussuchen lassen: "Nennen Sie eine Zahl zwischen eins und sechs!").
Panne beim Auftritt des Milliardärs
Die Premierenfeier des ersten Serienmodells war sicherlich auch deshalb so überdreht, weil Faraday Future als angeschlagen gilt und Ablenkung von seinen Problemen gut gebrauchen kann. Auf die enttäuschende Präsentation einer Supersportwagen-Studie bei der CES vor einem Jahr folgten zahlreiche Berichte über Geldschwierigkeiten und eine Abwanderungswelle von Führungskräften bei dem US-Hersteller. Der Investor hinter dem Projekt, der 44-jährige chinesische Internetmilliardär Jia Yueting, hatte sich anscheinend finanziell verhoben.
Bei der ersten Vorstellung von Faraday Future im Januar 2016 hatte Jian noch gefehlt. In diesem Jahr zeigte er jedoch Präsenz. Als Überraschungsgast des Abends kam er mit dem FF91 auf die Bühne gefahren und hielt in Jeans und schwarzem Kapuzenpulli eine Rede. "Schmeißen Sie die anderen Autos aus Ihrer Garage", forderte er. Mehr als das Premierenmodell seiner Marke brauche es nicht. Der Auftritt des Milliardärs verlief dabei nicht ganz pannenfrei: Jia hielt kurz vor der Bühnenmitte, die letzten Meter sollte das Fahrzeug von alleine ins Scheinwerferlicht rollen. Aber der Wagen bewegte sich keinen Zentimeter. Erst beim zweiten Anlauf klappte der Trick.
Die Szene passte letztlich zur ganzen Vorstellung: Was Faraday Future da zeigte, war ein überraschend gutes Auto. Keine überdrehte Supersportwagenstudie wie noch vor einem Jahr, sondern ein Auto, wie es in die Zeit passt. Elektrisch angetrieben und mit SUV-Charakter. Nur wie serienreif dieses E-Mobil am Ende wirklich ist, bedarf angesichts der noch extremen Leistungswerte weiterer Beweise.
2018 soll der FF91 auf den Markt kommen. Mit einer Anzahlung von 5000 Dollar - da geht Faraday Future den gleichen Weg wie Tesla mit dem Model 3 - können Kunden sich bereits jetzt ein Modell reservieren. Wie viel dann aber noch fällig wird, darüber gab es keine präzisen Auskünfte. "Es ist ein Luxusauto", lautet die knappe Antwort von Peter Savagian auf die Preisfrage.
"Newcomer aus China unterschätzen oft die Komplexität"
Jia verwies bei der Premiere stolz darauf, dass man es innerhalb von zwei Jahren geschafft habe, ein Auto zu entwickeln. Aber Marktbeobachter macht dieses Tempo eher skeptisch: "Newcomer aus China unterschätzen oft die Komplexität bei der Produktion eines Autos, vor allem wenn sie aus der IT-Branche stammen", sagt Martin Stahl, der Geschäftsführer der Unternehmensberatung Stahl Automotive Consulting. "Sie glauben, dass man innerhalb von zwei Jahren ein Modell auf den Markt bringen kann. Aber dazu muss erst einmal passendes Werkzeug gefertigt werden, es gibt unzählige Hardware-Teile. Die Kosten sind viel höher als bei IT-Produkten."
Nach Ansicht von Wolfgang Bernhart, Autoexperte bei der Unternehmensberatung Roland Berger, hängen die Erfolgsaussichten von frisch gegründeten Fahrzeugherstellern von einigen wesentlichen Faktoren ab: "Zum einen davon, wie gut ihr Baukastenkonzept ist, um möglichst viele verschiedene Modelle auf der Basis einer Plattform zu fertigen. Zum anderen muss das Auto eine spezielle Nachfrage bedienen. Wer braucht noch einen zusätzlichen Autotyp, den es bereits gibt?"
Zumindest diese beiden Punkte könnte Faraday Future erfüllen: Nach eigenen Angaben kann die Plattform des FF91 als Basis für weitere Modelle dienen. Und eine klare Position bezieht der Hersteller mit seinem ersten Serienwagen auch: Der FF91 ist ein Über-Tesla, der schneller und weiter fährt als jede Batterielimousine des kalifornischen Konkurrenten. Im Luxussegment sind die Margen bekanntlich besonders hoch - reiche Elektroenthusiasten, die sich von Besitzern eines Model S oder eines Model X abheben wollen, könnten künftig eine Alternative haben.
Aber dazu muss der Wagen erst einmal erhältlich sein. Über das Interieur des FF91 wurde bei der Präsentation nicht viel geredet, und auch das Konzept einer "FF-ID", die sich jeder Besitzer anlegen könne, um damit zum Beispiel Einkäufe im Auto zu tätigen, wurde bei der Präsentation in Las Vegas nicht vertieft.
"Das war noch nicht alles "
Am Ende des Spektakels wandte sich noch mal Nick Sampson ans Publikum: "Wir haben Ihnen heute bereits viel gezeigt", hob er an, und fuhr nach einer kleinen Kunstpause fort: "Aber das war noch nicht alles " Einen Augenblick lang hielt man den Atem an, dachte an Steve Jobs und dessen legendäre Apple-Präsentationen.
Doch der alles in den Schatten stellende Trumpf kurz vor Schluss, er kam nicht. " In den nächsten Monaten", sagte Sampson stattdessen, "kommen noch mehr Infos".
Quelle : spiegel.de
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