Um das Ausmaß von Antisemitismus in Deutschland analysieren zu können, waren die Erfassung von Straftaten ebenso entscheidend, wie die Erhebung von persönlichen Einstellungen durch repräsentative Umfragen, so die federführende Expertin Juliane Wetzel bei der Vorstellung der Ergebnisse in Berlin:
„Die Zustimmungsrate zu klassischer Judenfeindlichkeit liegt nur noch bei rund fünf Prozent. Auch die Zustimmung zu dem so genannten sekundären Antisemitismus – alles, was mit dem Holocaust und mit der Aussage zusammenhängt, Juden würden uns daran hindern, endlich zur Normalität zurückzufinden, weil sie uns angeblich ständig an den Holocaust erinnern — ist deutlich rückläufig. Hier stimmen nur noch 26 Prozent der Befragten eindeutig zu.“
Der Expertenkreis warnt zugleich vor der Verharmlosung judenfeindlicher Strömungen unter Rechtsextremen, Rechtspopulisten oder in der gesellschaftlichen Mitte. Die Zustimmung zu Positionen der AfD, die völkische Denkmuster in die Debatte zurückbringe, sei laut Bericht ebenfalls eindeutig mit Antisemitismus verknüpft.
Nach wie vor sei das rechtsextremistische Lager der bedeutendste Träger von Antisemitismus in Deutschland – auch wenn Judenfeindlichkeit unter Muslimen ein wachsendes Problem sei. Gleichzeitig gebe es aber kaum Untersuchungen, die muslimische Verbände und Moscheegemeinden tatsächlich als Hort antisemitischer Hetze und Imame als Hassprediger charakterisieren würden, so Juliane Wenzel:
„Eine von uns in Auftrag gegebene Pilotstudie zur Haltung von Imamen konnte keinen radikalen Antisemitismus identifizieren. Eine Gleichsetzung des Holocausts mit der israelischen Politik ist jedoch deutlich erkennbar. Jetzt gilt es, den Antisemitismus unter Muslimen zu beobachten und auch hier verstärkt Präventionsmaßnahmen zu unternehmen.“
Der Expertenkreis fordert darüber hinaus eine verbesserte Erfassung und Bestrafung antisemitischer Straftaten. Auch solle es mehr Beratungsangebote für die von Antisemitismus Betroffenen geben. Die Sachverständige Wenzel warnt zugleich vor voreiligen Schlussfolgerungen:
„Es gibt insgesamt viele Hinweise für die Verbreitung von Antisemitismus bei Geflüchteten aus arabisch-muslimisch geprägten Ländern. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass die Lage komplex ist. Die Gefahr besteht, den Blick zu einseitig nur auf die muslimische Bevölkerung als Träger antisemitischer Einstellungen zu richten.“
Im Zeitraum zwischen 2001 und 2015 sind in Deutschland laut Expertenkommission pro Jahr im Durchschnitt 1522 antisemitische Straftaten verübt worden, darunter durchschnittlich 44 Gewalttaten. Vor allem in den Jahren des eskalierten israelisch-palästinensischen Konflikts 2002, 2006, 2009 und 2014 habe es einen deutlichen Anstieg von Straftaten im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr gegeben.
Ein weiterhin aktuelles Problem, ist die Linke-Politikerin Petra Pau überzeugt. Sie will sich als Bundestags-Vizepräsidentin für eine Antisemitismus-Debatte im Bundestag einsetzen:
„40 Prozent der deutschen Bevölkerung stimmen Aussagen zu, die über den Umweg von Israel-feindlichen Äußerungen jüdische Menschen attackieren. Dabei zeigt sich eine erschreckende Unkenntnis über Israel und die israelische Gesellschaft. Es werden Israelis nämlich mit Juden gleichgesetzt, obwohl es in Israel Christen, Muslime, Atheisten und anders Gläubige gibt.“
Dabei habe Judenfeindlichkeit viele verschiedene Facetten, Experten nennen dies auch Eskalationsspirale. Angefangen bei kleinen beleidigenden Randbemerkungen, bis hin zu Diskriminierung, Verfolgung und körperlicher Gewalt. Petra Pau sieht den Expertenbericht deshalb auch als Warnung:
„Menschen jeder Herkunft und aller möglichen Bildungsschichten können antisemitisch handeln. Oft ohne dass sie dies selbst von sich denken. Hass auf Juden ist kein spezielles Problem von Arabern oder Muslimen. Aber — und das sagt uns der Bericht auch — es gibt spezifische Muster in bestimmten Gruppen mit muslimischem Hintergrund und wir wissen noch viel zu wenig darüber.“
Der in Berlin vorgestellte 300 Seiten starke Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus soll nun als Grundlage für weitere Studien dienen. Fraktionsübergreifend sollen außerdem weitere Maßnahmen gegen Antisemitismus zunächst im Bundestag diskutiert und im Folgenden auch beschlossen werden. Einen groben Zeitplan dafür gibt es bereits: Noch vor der Bundestagswahl wollen die Parteien erste Ergebnisse präsentieren.
Quelle : sputnik.de
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