Konflikt im Vatikan

  30 Oktober 2017    Gelesen: 1101
Konflikt im Vatikan
Skandale um Missbrauch, veruntreute Spenden, Provinzpriester mit Doppelleben: Den Vatikan erschüttern gleich mehrere Affären. Und über allem schwebt ein Streit alter Traditionalisten mit Papst Franziskus.
Die "kindliche Zurechtweisung" wurde Papst Franziskus in schriftlicher Form zugestellt. Er verbreite "Häresien", also "Irrlehren", mahnten die Kinder ihren Vater, den katholischen Oberhirten. Schlimmer noch, er habe "eine große und unmittelbare Gefahr für die Seelen" der Gläubigen verursacht, schrieben mehr als 60 Theologen, Ordensleute und strengkatholische Laien Ende September in einem offenen Brief.

Kirchenrechtlich weniger Erleuchtete mögen dies als religiöse Spinnerei abtun. Im vatikanischen Milieu ist es dagegen ein unerhörter Akt offener Auflehnung. Franziskus' Widersacher wollen alle Türen wieder fest zusperren, die der Papst 2016 mit seinem Schreiben "Amoris laetitia" einen Spalt geöffnet hatte - etwa die Möglichkeit, wiederverheirateten Geschiedenen den Zugang zur Kommunion zu ermöglichen.

Dahinter steht ein Dauerkonflikt zwischen alten Dogmatikern und dem Papst, der die katholische Glaubenslehre offener, menschlicher interpretieren will. Niemand dürfe "auf ewig verurteilt werden", sagt er. Die "Mutter Kirche" dürfe doch nicht auf das "mögliche Gute verzichten, auch wenn sie Gefahr läuft, sich mit dem Schlamm der Straße zu beschmutzen".

Falsch, kontern seine Gegner. Eine Aufweichung des katholischen Glaubenskanons widerspreche "den von Gott offenbarten Wahrheiten, die Katholiken (...) zu glauben haben". Da ist jedes Wort in Stein gemeißelt und gilt für alle Ewigkeit.

Aber das ist nur ein Streitpunkt von vielen. Dem konservativen Block passt die ganze Ausrichtung der Kirche nicht. Der Ärger begann schon 1965 mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, als der damalige Papst Johannes XXIII. wie jetzt Franziskus versuchte, den Muff von zweitausend Jahren etwas auszulüften. Indem er zum Beispiel die Form der Messe radikal änderte: Statt in Latein, für die meisten Gläubigen unverständlich, sollten die Priester in der jeweiligen Landessprache reden. Und sie sollten der Kirchengemeinde das Gesicht statt den Rücken zuwenden. Darüber ärgern sich Traditionalisten bis heute.

Benedikt XVI. hatte den alten Ritus 2007 wieder erlaubt, freilich nur als "außerordentliche Form", nicht als Norm. Trotzdem jubelten Hardliner. Jetzt, so fürchten sie, will Franziskus ihnen diese Reminiszenz wieder wegnehmen oder stark eingrenzen.

Heftigste Kritiker gegen bissigste Verteidiger

Der ganze Stil des Papstes ist den Reformgegnern zuwider. Statt wie zuvor in Samt und Seide müssen die Kardinäle jetzt im Billig-Ornat durch Rom huschen, wenn sie nicht den Unmut ihres Chefs auf sich ziehen wollen. Gemütliche Dienstwagen, Einladungen in schicke Restaurants, alles weitgehend passé. Stattdessen soll man sich um Bettler und Flüchtlinge kümmern.

Vielen Kardinälen und Bischöfen gehen Franziskus' antikapitalistische Predigten auf die Nerven, in denen er ständig gegen die "Profitgier" wettert. Manche von ihnen, etwa in den USA, sind mit autoritär-konservativen Eliten eng verbunden. Franziskus klingt für sie wie der letzte Kommunist.

Doch auch auf dessen Seite sammeln sich jetzt die Truppen. Gerade hat sich ein länderübergreifendes Bündnis, "Pro Pope Francis" gegründet, das ihn bestärken will, "von seinem eingeschlagenen Weg nicht abzuweichen". Die Anhänger sind Wissenschaftler, Priester und Aktivisten katholischer Laiengruppen. Auch der ehemalige deutsche Bundestagspräsident Wolfgang Thierse unterstützt "Pro Pope Francis".

Zwischen den streitenden Parteien gibt es immer weniger Gemeinsamkeiten. Es habe sich "eine Schere aufgetan zwischen heftigsten Kritikern und bissigsten Verteidigern", sagt Kardinal Gerhard Ludwig Müller. Er muss es wissen, er mischt ja selbst kräftig mit - allerdings mit weniger Einfluss. Als am 2. Juli seine Amtszeit als Chef der vatikanischen Glaubenskongregation endete, verzichtete der Papst auf eine Verlängerung und teilte Müller das kurz, schnörkellos und ohne Begründung mit. "In einer Minute", empörte sich der Geschasste. Er mag Franziskus nun vermutlich noch weniger, kann aber ohne seinen Posten nicht mehr so viel anrichten.

Ständig neue Skandale

Unabhängig vom Richtungsstreit geht es im Vatikan ziemlich turbulent zu. Ständig neue Skandale nähren Zweifel der gläubigen Schäfchen, ob ihre Hirten wirklich immer an den Herrn und das Himmelreich denken.

Jüngst ging der Prozess gegen einen hohen Kirchenfunktionär zu Ende, der 400.000 Euro aus dem Spendentopf für das vatikanische Kinderkrankenhaus Bambino Gesù in die Luxussanierung des 400-Quadratmeter-Penthouses von Ex-Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone steckte.

In Australien steht Kardinal George Pell, der "Finanzminister" des Vatikans, im Zentrum einer Missbrauchsaffäre.

Kanada fordert wegen der Verbreitung von Kinderpornografie die Auslieferung eines vatikanischen Diplomaten.

Ein Pfarrer in der Toskana bekam den Spitznamen "Don Euro", weil er Spenden für "die Armen" sammelte, das Geld aber für Luxushotels, Drogen und Callboys ausgab.

Offen ist, ob sich Gläubige wegen dieser Skandale vom Papst und der Kirche abwenden. Bislang liegt die Zahl der katholischen Kirchenmitglieder weltweit bei rund 1,3 Milliarden, steigt sogar in manchen Regionen leicht an.

Und vielleicht nützen manche Verfehlungen der oberen Priesterkaste dem Papst ja sogar. George Pell, der die von Franziskus ermöglichte Eucharistie für Wiederverheiratete für ein Werk des Bösen hält, ist einer der mächtigsten Kritiker des Papstes. Ihn hat Franziskus für die Dauer der Anhörungen in der Missbrauchsaffäre freigestellt.

Quelle : spiegel.de

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