Ein härteres Urteil ist unmöglich

  26 Juni 2018    Gelesen: 1217
Ein härteres Urteil ist unmöglich

Mit einem Gürtel schlug ein 19-Jähriger auf einen Kippa-Träger ein. Nun wird der Syrer schuldig gesprochen. Allerdings darf er das Gefängnis verlassen. Auch den verhängten Arrest muss er nicht antreten. Ist die Strafe zu mild?

Schuldig wegen Beleidigung und gefährlicher Körperverletzung, so lautet das Urteil im bundesweit beachteten sogenannten Kippa-Prozess in Berlin. Der Richter sah es als erwiesen an, dass der 19-jährige angeklagte Syrer im April einen jungen, Kippa tragenden Israeli mit einem Gürtel mehrmals geschlagen und beleidigt hat.

Doch das Strafmaß scheint auf den ersten Blick recht milde zu ein: Das Amtsgericht Tiergarten verhängte einen Arrest von vier Wochen. Da der Syrer bereits zweieinhalb Monate in Untersuchungshaft saß, gilt der Arrest als verbüßt, das heißt der Verurteilte kommt frei. Zudem wird der Flüchtling für ein Jahr unter Erziehungsaufsicht gestellt. "Damit er wieder in die richtige Spur kommt", wie der Richter sagt. Und der Syrer muss er an einer Führung im Haus der Wannsee-Konferenz teilnehmen, wo die Nationalsozialisten 1942 den Völkermord an den Juden Europas beschlossen. Das ist also das Urteil für eine politisch motivierte, antisemitische Tat?

Tatsächlich fällt der Schuldspruch des Richters ganz und gar nicht milde aus. Im Gegenteil. Beim genaueren Hinsehen wird deutlich: Er hat alles geltend gemacht, was geltend zu machen war. Tatsächlich kommt der Richter mit seinem Schuldspruch in vielen Teilen den Forderungen der Staatsanwaltschaft nach. Den vierwöchigen Dauerarrest, der nicht zu vollstrecken ist und ein Jahr Erziehungsaufsicht kamen bereits im Plädoyer des Oberstaatsanwaltes vor. Einzig die 40 Arbeitsstunden von dessen Erlös das Opfer entschädigt werden sollte, wurde nicht in den Schuldspruch aufgenommen. Der Richter erläutert: Der Angeklagte bekomme keine Arbeitsauflage, da er bereits mehr als die jetzt verhängten vier Arrestwochen in U-Haft gesessen habe.

Urteil nach Jugendstrafrecht


Warum plädierte nun die Staatanwaltschaft für dieses scheinbar geringe Strafmaß? Ganz einfach: Weil der junge Mann nicht nach Erwachsenenstrafrecht, sondern nach Jugendstrafrecht verurteilt wurde. Und dafür gibt es gute Gründe. Zuvor hatte die Jugendgerichtshelferin den 19-Jährigen psychologisch begutachtet und kam zu dem Schluss: Der Syrer ist alles andere als erwachsen. Er befinde sich in einer "jugendtypischen Entwicklungsphase", wie sie in ihrer Stellungnahme formuliert. Bei Auseinandersetzungen reagiere er oft trotzig und pubertär.

Fakt ist: Der Richter bewertet die Tat des Syrers als eindeutig antisemitische Tat. Und das, obwohl die Verteidigerin zwei Verhandlungstage darauf hingearbeitet hatte, die Tat als eine "situationsbedingte Spontantat" darzustellen. Soll heißen: Der Angeklagte habe eigentlich seinen Cousin, der mit ihm am Tattag unterwegs war "aus Spaß" beleidigt. Das Opfer habe diese Beleidigung falscherweise auf sich bezogen und sich verbal gewehrt. Seine Worte seien wiederum so anmaßend gewesen, dass ihr Mandant die Fassung verlor und zuschlug. Mit der Kippa, die der junge Israeli trug, habe der Angriff nichts zu tun gehabt, beteuert der Angeklagte bis zum Schluss.

"Das war nicht so", ist sich der Richter indes sicher. Er glaubt an die Fassungen der Zeugen. "Ich bin überzeugt davon, dass der Beschuldigte die Kippa gesehen hat." Denn die beiden jungen Männer hätten beide dunkle Haare. Darauf seien eine hellblaue und eine weiße Kippa gut zu erkennen gewesen. Am Tattag sei der Angeklagte allgemein frustriert gewesen. Er war arbeitslos und ohne Perspektive, das Jobcenter hatte ihm das Geld gekürzt. Zudem habe er gekifft und Ecstasy genommen. Das hatte der Angeklagte in der Vernehmung selber gesagt. Und er erklärte auch: Er sei "müde" gewesen und hatte eigentlich gar keine große Lust, seinem Cousin beim Umzug zu helfen. Der Richter glaubt: Als der 19-Jährige die beiden Männer mit Kippot sah, brach sich dieser ganze Frust Bahn. Erst verbal und dann mit Hilfe eines Gürtels. "Wer sich so benimmt und dann auch noch meint, er fühle sich im Recht, der braucht ein deutliches Stoppsignal", so der Richter. Doch für eine Jugendstrafe würde es nicht reichen. "Dafür fehlt dem Angeklagten die schädliche Neigung."

Filmen und Verbreiten ist auch Form der Selbstjustiz


Mit dem Urteil geht ein Fall zu Ende, der vermutlich nicht dieselbe Aufmerksamkeit erlangt hätte, wenn das Opfer die Tat nicht gefilmt und verbreitet hätte. Er habe gehofft, auf diese Weise den Täter schneller als die Polizei identifizieren zu können, erklärte einer der beiden Kippa-tragenden Zeugen.

Immerhin sind durch den Fall antisemitische Taten einmal mehr in den Fokus gerückt. Denn die Statistik zeigt: Es werden mehr. Die Zahl antisemitischer Vorfälle in der Bundeshauptstadt hat laut Jahresbericht der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS) 2017 im Vergleich zum Vorjahr um 60 Prozent zugenommen. Auch die der antisemitischer Straftaten in Berlin ist 2017 gestiegen. Neuere Erhebungen gibt es nicht. Vergangenes Jahr wurden bei der Polizei 288 antisemitisch motivierte Fälle registriert, was einer Verdopplung seit 2013 entspricht.

Nun weiß die Allgemeinheit, dass antisemitische Straftaten durchaus streng geahndet werden. Soweit es das deutsche Gesetz eben zulässt.

Quelle: n-tv.de


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