"Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten!" Gegenwärtig scheint diese Albert Einstein zugeschriebene Erkenntnis beim Daimler-Konzern fröhliche Urstände zu feiern. Denn dort ist 2019 eine Neustrukturierung geplant, die in ihrer Tragweite selbst die unglückselige "Hochzeit im Himmel" mit Chrysler Ende der 1990er-Jahre noch übertrifft: Nach dem Willen von Finanzinvestoren soll auf der Hauptversammlung im Mai 2019 die Auflösung und Zerlegung des bisherigen Automobildenkmals Daimler beschlossen werden. Ein Stück deutscher Automobilgeschichte wäre damit beendet - geopfert auf dem Altar des schnöden Mammons.
Das Ganze läuft bezeichnenderweise unter dem Projektnamen "Zukunft". Ob aus dem "nomen" tatsächlich auch ein "omen" wird, kann, darf, muss bezweifelt werden. Was ist geplant und wo liegen die Knackpunkte?
Die heute aus fünf Divisionen bestehende Konzernstruktur wird in drei rechtlich selbständige Unternehmenseinheiten unter dem Dach einer Holding aufgespalten: Mercedes-Benz AG (Autos und Vans), Daimler Truck AG (Lkw und Busse), Daimler Mobility AG (Financial und Mobility Services). Die Mutter firmiert als Daimler AG weiterhin als allein börsennotierte Holding mit einem geplanten Stammpersonal von 6000 Mitarbeitern in der Holding-Zentrale.
Am Personal-Karussell wird heftig gedreht. Der heutige Konzernchef Dieter Zetsche tritt nach der Hauptversammlung 2019 zurück, um nach zweijähriger "Auskühlphase" den Aufsichtsratsvorsitz von Manfred Bischoff in der neuen Holding zu übernehmen. Ola Källenius, seit 1. Januar 2017 Vorstand Konzernforschung & Mercedes-Benz Cars Entwicklung, soll Zetsche nachfolgen.
Finanzvorstand Bodo Uebber, Miterfinder der Reorganisation der Konzernstruktur, seit 1985 im Daimler Konzern und immer und ausschließlich in Sachen Controlling und Finanzen unterwegs, verlässt den Konzern nach Vertragsende Ende 2019. Er hat sich aber inzwischen bei Aufsichtsratschef Bischoff für den Daimler Aufsichtsrat beworben. Quasi als Wettbewerber zu seinem heutigen Chef Zetsche!
Die gesamte Operation soll nach Unternehmensangaben rund eine Milliarde Euro kosten! Myriaden von Beratern und Anwaltskanzleien reiben sich schon freudig erregt die Hände!
Kritik an diesen Plänen wird von Aktionären einerseits an der geplanten Konzernstruktur, andererseits an der Personalplanung geübt. Sie kommt nicht von den langfristig orientierten Anker-Investoren wie Katar oder Geely, sondern von kleineren Finanzinvestoren:
Die Finanzinvestoren wollen keine Tochtergesellschaften unter dem Dach der Holding-Mutter, sondern die totale Zerschlagung des Konzerns durch eine börsennotierte Verselbständigung der drei neuen Unternehmen. So lässt sich dann prima Kasse machen.
Zetsche als erfahrener "Petrol Head" wird die Eignung abgesprochen, die künftige Holding als Aufsichtsrat zu führen. Als Beleg dafür wird die aktuelle Absatz- und Ertragsverschlechterung bei Daimler sowie die zweimaligen Gewinnwarnungen im laufenden Jahr angeführt.
Man hält die Holding mit 6000 Mitarbeitern für hoffnungslos überdimensioniert.
Sieht man einmal vom Argument der Überdimensionierung ab, so sind die konkreten Kritikpunkte teilweise fadenscheinig, sachlich fragwürdig und aus volkswirtschaftlicher Sicht extrem kontraproduktiv.:
Die Welt-Automobilkonjunktur kühlt sich ab. Aktienkursrückgänge und Gewinnwarnungen sind in der Branche an der Tagesordnung, so etwa bei BMW, Audi, Porsche oder Conti. Grund: hohe Investitionen und Vorlauf-Kosten bei allen Premium-Herstellern für Roboter-Autos und Elektroantriebe. General Motors hat bereits Massenentlassungen angekündigt, andere werden folgen.
Gerade in Zeiten technologischer Umbrüche ("Disruptions") durch Vernetzung, Autonomisierung und Elektromobilität ist auf der Leitungsebene von Automobilunternehmen "technologische Denke" gefragt und nicht reine Controlling- und Finanzdenke. Wenn der Wind von vorne bläst, sind Macher und Gestalter gefragt, nicht aber Verwalter.
Eine völlige Zerschlagung des heutigen Daimler-Konzerns wäre für die deutsche Wirtschaft aber auch für die deutsche Automobilindustrie als Ganzes mehr als fatal. Damit würde ohne Rücksicht auf technische/materielle, soziale, gesellschaftliche und kulturelle Synergieeffekte eine gewachsene Unternehmensstruktur zerstört - Stichwort: "Mir schaffe beim Daimler!" Die "schwäbische Seele" des Landes kurzsichtigen Wünschen von Kapitalanlegern den zu opfern, müsste die Politik auf den Plan rufen!
Nicht beantwortet ist damit die Frage, ob es grundsätzlich Sinn hat, eine solche "Operation am offenen Herzen" in Zeiten aufziehender Konjunkturgewitter und absehbar anhaltender hoher Anspannung aller personeller und finanzieller Ressourcen durchzuziehen. Oder ob es nicht besser wäre, zu vertagen, bis der Sturm vorbei ist. Eine Milliarde Euro Restrukturierungskosten sind viel Geld! Damit lassen sich saubere Dieselmotoren und manches Elektroauto entwickeln. Und frustrierte Mitarbeiter sind noch teurer.
Quelle: n-tv.de
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