Kein Frieden für Syrien? – Westlicher Wirtschaftskrieg und neuer Terror

  29 April 2019    Gelesen: 876
  Kein Frieden für Syrien? – Westlicher Wirtschaftskrieg und neuer Terror

Die großen militärischen Auseinandersetzungen in Syrien werden für beendet erklärt. Dennoch kommt das Land nicht zu Ruhe. Über die Ursachen dafür berichtet Karin Leukefeld, die sich derzeit in Syrien aufhält.

Das in London erscheinende arabisch-englisch sprachige Internetportal „The New Arab“ („Der neue Araber“) sieht bereits den nächsten „Aufstand gegen Assad“ vor der Tür.  Am Freitag wurde ein entsprechender Beitrag dazu veröffentlicht. Danach nehmen Berichte über Angriffe auf Stützpunkte der syrischen Armee zu. Das weise auf den „Beginn eines neuen niedrigschwelligen Aufstandes gegen Bashar al-Assad“ hin.

Zwar stellten „einige Kommentatoren“ das in Frage, so das Portal. Jedoch zeigten die Angriffe, dass Syrien weit von Stabilität entfernt sei. „Armut, Rechtlosigkeit und Korruption lasten schwer auf dem Land“, heißt es weiter. Die ökonomische Lage sei hart, Benzinmangel führe zu kilometerlangen Schlangen vor den Tankstellen, Lebensmittelpreise seien „astronomisch“ gestiegen.

Iran und Russland hätten mit eigenen Problemen in Wirtschaft und Innenpolitik zu kämpfen. Die beiden Länder, die Damaskus unterstützen, zeigten „wenig Interesse, in einen neuen Krieg gegen einen Aufstand verwickelt zu werden.“

Was der Text verschweigt ist, dass auch die Syrer „wenig Interesse“ an einem neuen Aufstand in ihrem Land haben. Sie wissen sehr wohl, dass der Grund für Preiserhöhungen und Benzinmangel ausländische Sanktionen und ein Ölembargo sind, für die die Europäische Union (EU) und die USA verantwortlich sind. Nach dem Krieg der Waffen habe nun ein Wirtschaftskrieg begonnen, der „Krieg in Syrien sei ein Krieg gegen das Land“ und habe zum Ziel, Syrien zu zerstören.

„Aber wir werden zurückkommen, die Syrer sind stark“, sagt ein Mann aus Aleppo, um dessen Augen tiefe, dunkle Ringe liegen. „Unser Land ist die Wiege der Zivilisation, wir sind mehr als 10.000 Jahre alt. Man kann uns nicht vernichten.“ Er hoffe, dass die Deutschen und all die Ausländer, die Syrien vor dem Krieg besuchten, zurückkämen und er heiße sie schon jetzt willkommen. „Aber Sie müssen ohne Waffen kommen, sonst können wir nicht in guter Nachbarschaft leben.“

Die Provinz Idlib, um die im September 2018 unter Kontrolle der Türkei, Russlands und Irans eine Deeskalationszone gezogen wurde, kommt nicht zur Ruhe. Die Kämpfer zogen nicht, wie vereinbart aus der Pufferzone ab, sondern verstärkten im Gegenteil ihre Stellungen und Waffen in dem Gebiet.

Täglich kommt es zu Angriffen und Gegenangriffen, berichtet Aboud F. aus Skalbieh, der sich nach seinem Militärdienst den Nationalen Verteidigungskräften angeschlossen hat. „Sie greifen uns an, wir schießen zurück“, betont er. Opfer sei die Zivilbevölkerung im Zentrum des Ortes.

Der hochgewachsene 30-Jährige besucht mit der Autorin drei Familien, deren Häuser am gleichen Nachmittag von Mörsergranaten der Nusra-Front aus dem nahe gelegenen Qalat al Mudiq getroffen wurden. In einem Haus wurde das Wohnzimmer getroffen, in dem die beiden Töchter der Familie, ein Mädchen schwer behindert, zusammensaßen. In einem weiteren Haus wurde die Solaranlage auf dem Dach zerstört und ein Teil der Granate schlug durch die Decke einer Wohnung. Im dritten Haus schlug die Granate in einem Hinterzimmer ein, in dem die Familie die Aussteuer für die Tochter lagerte, die bald heiraten will. Alles ist zerstört: Teppiche, Waschmaschine, Ventilatoren, Geschirr, Wäsche.

Auf einer Sicherheitskonferenz in Moskau in der vergangenen Woche hieß es, der von den USA geführte Westen nutze neuerdings eine Mischform gewaltsamer Interventionen gegen Staaten, deren Politik ihnen nicht gefalle. Mit wirtschaftlichen und politischen Sanktionen sowie Druck gegen deren Regierungen würden UN-Entscheidungen und die Regeln des Völkerrechts umgangen. Der russische Verteidigungsminister Sergei Shoigu verwies bei Syrien auf massiven Ölschmuggel aus den Gebieten östlich des Euphrat, die nicht unter syrischer Regierungskontrolle seien. Er zeigte Fotos, auf denen Kilometerlange Öltransporte zu sehen waren.

Die Frage sei, „wohin das Geld aus dem illegalen Ölverkauf fließe.“ Shoigu forderte die USA auf, ihre Truppen aus Syrien abzuziehen und die Gebiete um die Flüchtlingslager Rukban und Al Hol der Kontrolle der Syrischen Streitkräfte zu unterstellen. Die humanitäre Situation der insgesamt rund 110.000 Menschen in den beiden Lagern sei besorgniserregend.

Der russische Generalstabschef Valery Gerasimov betonte, dass Syrien als Staat nicht mehr existieren würde, hätte Russland 2015 – auf Bitten der syrischen Regierung – nicht den Krieg gegen den Terror des „Islamischen Staates“ (IS) aufgenommen. Heute sei das Kalifat zerstört und der militärische Konflikt in Syrien sei beendet. Allerdings benötige das Land Unterstützung beim Wiederaufbau und weiterhin eine politische Lösung, für die der Astana-Prozess, die Genfer Gespräche und die UN-Sicherheitsratsresolution 2254 die Grundlage seien.

Bei einem Treffen in Nur Sultan (ehemals Astana), der Hauptstadt von Kasachstan, fand am Wochenende erneut ein Treffen der Astana-Gruppe (Russland, Iran, Türkei) statt. Daran nahmen auch die syrische Regierung, Vertreter der in Istanbul ansässigen Opposition und der neue UN-Sonderbeauftragte Geir Pederson teil. Schwerpunkt war die Arbeit eines Verfassungskomitees, das aus drei Gruppen – Regierungsvertreter, Opposition, Zivilgesellschaft – bestehen soll. Vor dem Treffen wurden als vertrauensbildende Maßnahme bei Al Bab im Norden Syriens Gefangene ausgetauscht. 

Gleichwohl kommt das Land nicht zur Ruhe. Autobomben in Damaskus, Angriffe gegen Latakia und auf syrische Armeestellungen im Süden von Idlib lösen jeweils massive Reaktionen seitens der syrischen Armee aus. Aus dem Osten des Landes wird ebenfalls über Angriffe auf syrische Armeestellungen berichtet, für die westliche Medien Restgruppen des IS verantwortlich machen.

In der Provinz von Deir Ez Zor kommt es zu Konflikten zwischen SDF-Kräften und lokalen Stämmen. Um Afrin beginnen türkische Söldner eine Mauer zu bauen, die den Ort  mit seinen mehr als 300 Dörfern von Syrien und Aleppo abtrennen soll. Für Kurden aus Afrin ist das eine Katastrophe. Die kurdische Führung steht unter Druck.

„Unsere Freunde in Bulbul erzählen uns, wie diese Söldner vorgehen“, erzählt Haidar, dessen Familie aus einem Dorf bei Bulbul stammt. Er arbeitet in einem Hotel in Aleppo, sein Heimatdorf mit Tausenden von Olivenbäumen hat er seit Jahren nicht gesehen. Die kurdische Bevölkerung werde von Kämpfern der so genannten „Freien Syrischen Armee“ (FSA) bedroht, berichtet er.

„Sie sagen, sie haben von der Türkei den Auftrag, größtmöglichen Druck auf die kurdische Bevölkerung von Afrin auszuüben. Das, was jetzt geschieht, soll nur 25 Prozent von dem sein, was sie gegen die Kurden unternehmen sollen.“ Junge Männer würden festgenommen und die Bevölkerung bedroht. Den Bewohnern, ihr Land, ihre Olivenbäume würden ihnen weggenommen. Die Berichte über den Bau einer türkischen Mauer um Afrin bestätigen verschiedene kurdische Medien.

 „Angeblich soll ein großes Flüchtlingslager nördlich von Aleppo entstehen“, weiß Haidar zu berichten. Dort sollen Zehntausende Flüchtlinge untergebracht werden, die noch bei Tell Rifaat und Shaba in Zelten auf den Feldern leben. „Wird es uns wie den Menschen ergehen, die von Israel vor 50 Jahren von den Golan Höhen vertrieben wurden“, fragt Haidar. Sowohl die syrische Regierung als auch Russland, der Westen und die UNO schweigen bisher über das, was dort geschieht.

sputniknews


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