"Keine Zeit für Höhenflüge", hatte der Arbeitgeberverband Gesamtmetall schon vorab zu Protokoll gegeben. Die wirtschaftliche Großwetterlage erlaube nun mal keinen ganz großen Schluck aus der Pulle. So weit, so rituell.
Diese Tarifrunde könnte aber eine andere Qualität gewinnen. Nach einer längeren Durststrecke ist die IG Metall seit ein paar Jahren nämlich wieder im Aufwind. Die Zahl der Mitglieder wächst, und ordentliche Lohnabschlüsse haben die Gewerkschaftskassen gut gefüllt.
Braucht die Branche einen Weckruf?
Was liegt da näher, als in der neuen Tarifrunde mal die Muskeln spielen zu lassen und den Mitgliedern zu zeigen, wozu die - laut Eigenwerbung - "größte freie Einzelgewerkschaft der Welt" so in der Lage ist? Denn so komfortabel die Lage der IG Metall derzeit auch sein mag: Die neue Spitze um den Baden-Württemberger Jörg Hofmann glaubt, dass die Branche einen kleinen Weckruf vertragen könnte.
Der oft bespöttelte "Daimler-Abschluss" habe zu einer regelrechten Lethargie geführt, diagnostiziert man im Frankfurter Hauptquartier. Will heißen: in Pilotbezirken wie Baden-Württemberg, die über starke Betriebe und einen hohen Organisationsgrad verfügen, wird gekämpft, gestreikt und gut abgeschlossen. Und der Rest der Tarif-Republik übernimmt das Ergebnis mit Wohlgefallen und legt sich dann schlafen.
Neues Konzept für den Arbeitskampf
In den vergangenen Jahren seien zu viele Tarifrunden abgesagt worden, moniert ein Abteilungsleiter. Man könne Bezirke wie Niedersachsen, Küste oder den Osten nicht in der Zuschauerrolle belassen. Und so haben die Metaller ein neues Konzept für den Arbeitskampf entwickelt, das die Beschäftigten wieder mobilisieren soll.
Neben den üblichen zwei Streikstufen - erst Warnstreiks, dann Urabstimmung und Flächenstreik - soll nun eine weitere Eskalationsstufe eingezogen werden. Ein Art "Warnstreik nach dem Warnstreik", bezirks- und konzernübergreifend. Eine deutliche Breitseite gegen die Arbeitgeber und ein Signal an die eigene Klientel: Eure Jahre an der Seitenlinie sind vorbei.
Nicht schon vorab Atmosphäre vergiften
Jörg Hofmann, der seine erste Tarifrunde als IG-Metall-Chef führt, könne damit durchaus eine starke Duftmarke setzen, sagt Arbeitsmarkexperte Guido Friebel von der Frankfurter Goethe-Universität. Die Gewerkschafter müssten allerdings aufpassen, dass sie nicht schon im Vorfeld der Verhandlungen die Atmosphäre vergiften.
Die neue Streitlust wird von Gewerkschaftsseite denn auch eher vorsichtig kommuniziert. Über Arbeitskampf zu reden, bevor man sich überhaupt mit den Arbeitgebern zusammengesetzt hat – das sei unprofessionell. Und doch: die IG Metall probiert ihre neue Warnstreik-Taktik womöglich schneller aus, als den Arbeitgebern lieb sein kann. Für Jörg Hofmann, den neuen Chef, wäre es jedenfalls der Beweis: Er kann nicht nur Zahlen - er kann auch Strategie.
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