Die digitale Revolution auf dem Acker

  16 November 2019    Gelesen: 1060
Die digitale Revolution auf dem Acker

Preisdruck, höhere Anforderungen an die Qualität von Lebensmitteln und an Umweltschutz zwingen die Landwirtschaft, effizienter zu werden. Für die Branche ist die Digitalisierung eine große Chance. Ob ein Bauer erfolgreich ist, entscheidet sich nicht mehr nur auf dem Acker oder im Stall.

Globalisierung, Klimawandel, Ressourcenknappheit, Umwelt- und Tierschutz. Die Anforderungen an die Landwirtschaft wachsen. Auf viele neue Herausforderungen kennt die Digitalisierung bereits Antworten. Hochautomatisierte Prozesse oder autonome Maschinen ermöglichen Bauern schon heute flexiblere Arbeitszeiten und höhere Erträge.  Ob ein Landwirt erfolgreich ist, entscheidet sich nicht mehr allein auf dem Acker oder im Stall. Inzwischen erfasst, dokumentiert, analysiert und verbessert das sogenannte Farming 4.0 aufwendige Produktionsschritte.

Eine Chance, die sich auch Landwirt Dirk Nienhaus nicht entgehen lassen wollte. Seit Anfang des Jahres fährt sein neuer Traktor komplett selbstständig über das 300 Hektar große Feld im westlichen Münsterland: 150.000 Euro hat ihn die Investition gekostet. "Das Smartphone ist jetzt mein ständiger Begleiter", sagt der 40-Jährige n-tv.de.

Auch sein Stall mit insgesamt 4000 Schweinen funktioniert längst vollautomatisch. Individuell per Hand gefüttert wird auf seinem Hof schon seit Jahren nicht mehr. Eine Software erkennt jedes einzelne Tier über einen Chip im Ohr. Entsprechend den hinterlegten Daten wird dann individuell gefüttert. "Gerade durch die Technik im Stall sparen wir unglaublich viel Zeit ein", sagt Nienhaus. Früher habe seinen Vater die Fütterung der Schweine mindestens fünf Stunden gekostet. Heute nehmen die neuen digitalen Lösungen Nienhaus mindestens 50 Prozent seiner Arbeit ab. "Die körperliche Arbeit ist inzwischen komplett weggefallen. Landwirte werden immer mehr zum Bürohockern", sagt er.

Digitaler Wandel als Chance für Landwirte

Nienhaus ist nicht allein. Immer mehr Landwirte erkennen die Chancen und investieren in neue Entwicklungen. Das zeigt auch eine Umfrage des Branchenverbands Bitkom. Demnach betreibt bereits jeder zweite Landwirt Farming 4.0. "Die Landwirtschaft steht derzeit vor riesigen Herausforderungen: hoher Preisdruck, harte internationale Konkurrenz, weltwirtschaftliche Zwänge sowie steigende Anforderungen an die Qualität von Lebensmitteln und Umweltschutz", sagt Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Eine effiziente und ressourcenschonende Bewirtschaftung sei deshalb wichtiger denn je.

In welchem Maß Farming 4.0 einen Beitrag zum Umweltschutz leisten kann, sei allerding schwer zu beziffern, sagt Peter Pickel vom Landmaschinenbauer John Deere. Als Leiter des European Technique Innovation Centers und Experte für Zukunftstechnologien beschäftigt er sich unter anderem mit der Verbesserung der Umweltfolgen durch die Landwirtschaft. "Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer erwartet eine Reduktion der kraftstoffverbrauchsbedingten CO2-Emissionen von bis zu 40 Prozent bis 2030", sagt Pickel.

Fast alle von Bitkom befragten Landwirte sehen dank digitaler Technologien eine umweltschonendere landwirtschaftliche Produktion. Denn empfindliche Sensoren können neben Standort und Zustand einer Pflanze auch den exakten Bedarf an Pflanzenschutz- und Düngemitteln ausrechnen. Das ist nicht nur kostensparend, sondern auch nachhaltiger. Die Pflanzenschutzspritze von Landwirt Nienhaus erkennt zum Beispiel auf 15 Zentimeter genau, wo auf dem Acker sich das Fahrzeug befindet. Sie zeichnet auf, an welchen Stellen Mais und Getreide schon behandelt worden sind und schaltet die Düse gegebenenfalls automatisch aus.

Künstliche Intelligenz, hochautomatisierte Technik und Agrarroboter können auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft auf die Sprünge helfen. "Wir sehen, dass smarte Technologien grundsätzlich notwendig sind, damit Landwirte in einem hochtechnologisierten Land wie Deutschland überleben können", sagt Pickel. Er sehe in der Landwirtschaft ein nicht ausgeschöpftes wirtschaftliches Potenzial. Dabei ließe sich Experten zufolge beispielsweise der Gemüseanbau schon heute fast vollständig automatisch abwickeln. Roboter können nicht nur das Saatgut auf dem Acker verteilen, sondern auch den Standort der Pflanze dokumentieren, während Drohnen das Wachstum überwachen. Mithilfe von Ernterobotern ließe sich erkennen, ob das Gemüse oder Getreide schon reif ist, und automatisch ernten.

Nicht nur die Erträge werden allerding mit der Verbreitung von Farming 4.0 wachsen. Auch die Hersteller vernetzter Landwirtschaftstechnik profitieren von der Entwicklung. Das Beratungsunternehmen Markets and Markets schätzt, dass sich das Umsatzvolumen von 1,8 Milliarden US-Dollar bis 2023 auf 4,1 Milliarden Dollar mehr als verdoppeln wird. Bis 2025, so die Schätzung der Experten, wird das Volumen sogar auf 10 Milliarden steigen.

Macht Technik den Landwirt überflüssig?

Um das bislang brachliegende Potenzial nutzen zu können, braucht Farming 4.0 allerdings ein leistungsstarkes mobil verfügbares Netz. Wenn bei Nienhaus auf dem Hof einmal das Internet ausfällt, kann der Rechner nicht mehr auf die erhobenen Daten aus dem Stall zugreifen. "In so einem Moment merke ich immer wieder, wie abhängig man sich gemacht hat und wie bequem die Arbeit als Landwirt geworden ist", sagt Nienhaus.

Mit Farming 4.0 soll die Nahrungsmittelproduktion transparenter, rückverfolgbar und sicherer werden. "Das geht nur, wenn alle Daten korrekt erfasst und erhalten werden. Unter Umständen könnten Block Chains hier eine Rolle spielen", sagt Pickel. Zum anderen müssten die Systeme selbst gegen ein Eindringen von außen gesichert werden. Bislang spielt Cybersicherheit in der Landwirtschaft allerdings noch keine besonders große Rolle.

Auch wenn der Landwirt der Zukunft immer weniger Zeit auf dem Acker oder im Stall verbringen wird, ist sich Nienhaus sicher, dass die Technik ihn nie überflüssig machen wird. Zwar können Sensoren sogar schon den Gesundheitszustand von Tieren überwachen. Doch Nienhaus' Anspruch ist es, jedes seiner Schweine mindestens einmal am Tag gesehen zu haben. Als Landwirt trage er die Verantwortung für seine Tiere, die er besser als jede Künstliche Intelligenz kennt. "Smarte Technologien werden niemals das Auge ersetzen können", ist er sich sicher.

Quelle: n-tv.de


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