Was gut, was überraschend und was extrem zäh lief

  31 Dezember 2019    Gelesen: 406
Was gut, was überraschend und was extrem zäh lief

Ob sich in Deutschlands Schulen zu viel oder zu wenig ändert, darüber wird immer wieder gestritten. Fest steht: 2019 gab es bemerkenswerte schulpolitische Entscheidungen - aber auch einige, die für Kopfschütteln sorgten.

Die CSU aus Bayern sorgte mit einer bildungspolitischen Volte dafür, dass manchem vor Staunen der Mund offenstehen blieb. Zuerst setzte sie durch, dass sich SPD und Union im Koalitionsvertrag für die Bundesregierung auf die Gründung eines Nationalen Bildungsrates festlegten.

Das geplante Gremium sollte die Zusammenarbeit einerseits zwischen den 16 Bundesländern und anderseits zwischen Bund und Ländern verbessern. Denn in der Bildungspolitik tobt sich der Föderalismus aus. Das heißt: Überall gelten etwas andere Regeln, egal ob es um Termine für Sommerferien, Standards beim Abitur oder Lehrergehälter geht.

Der Nationale Bildungsrat sollte dazu beitragen, dass sich die Länder besser vernetzen und Regeln angleichen. Daraus wurde jedoch nichts. Denn ausgerechnet aus Bayern kamen Vorbehalte gegen das Gremium. Dies werde "ein bürokratisches Monstrum, das am Ende aus Berlin in die kleinen Schulstuben hineinregiert und in die Klassenzimmer", warnte Ministerpräsident Markus Söder im Oktober.

Im November verkündete Söder dann, Bayern sei raus aus dem Projekt. Kurz darauf zog Baden-Württemberg nach. Berlin schlug vor, man könne ja ohne die Abtrünnigen ein Gremium schaffen. Wenig später ein neue Überraschung: Die Kultusminister einigten sich auf einen wissenschaftlichen Beirat - aber ohne den Bund.

Vor allem Wissenschaftler sollen darin zusammenkommen, um Empfehlungen zu erarbeiten. Ob das am Ende zu einer besser koordinierten Schulpolitik und einer Angleichung der Regeln führt, bleibt abzuwarten.

Die klügste Entscheidung: Gleicher Beruf, gleicher Lohn

Gewerkschaften prangern seit Jahren an, dass Grundschullehrer weniger Gehalt bekommen als Lehrkräfte anderer Schulformen, insbesondere Gymnasien. Das wurde unter anderem mit kürzeren Ausbildungszeiten begründet, die inzwischen aber oft angeglichen worden sind.

In Zeiten akuten Lehrermangels fällt der Gehaltsunterschied den Bildungsministerien nun erst recht auf die Füße. Während an Grundschulen in einigen Regionen besonders viele Lehrkräfte fehlen, gibt es zum Beispiel an Gymnasien mancherorts sogar "Überkapazitäten". An diesem Ungleichgewicht wird sich wohl auch in den kommenden Jahren nichts ändern, prognostizierte die Kultusministerkonferenz.

Das Gehalt höher, die Arbeitsbedingungen oft besser: Kein Wunder, dass sich überdurchschnittlich viele Lehramtsanwärter fürs Gymnasium entscheiden.

An manchen Schulen hat der Lehrermangel dramatischen Folgen. In Berlin etwa können viele Grundschulen ihren Bedarf nur noch decken, indem sie überwiegend Quer- und Seiteneinsteiger ohne echte schulpädagogische Ausbildung einstellen.

Mehrere ostdeutsche Länder bieten Zulagen an, wenn Lehrer in Schulen außerhalb der großen Städte arbeiten. Verbeamtungszusagen sind ein weiteres Mittel der Länder im Kampf um die seltene Spezies Lehrer. Und anderswo betteln die Kultusminister, dass Pensionäre noch einmal in den Schuldienst zurückkehren und Teilzeitkräfte ihre Stundenzahl aufstocken.

Vor diesem Hintergrund ist es eine gute Entscheidung, die Gehälter der Grundschullehrer anzuheben. Berlin gehört zu den ersten Bundesländern, die das umgesetzt haben. Seit 1. August 2019 gilt hier: Voll ausgebildete Grundschullehrer verdienen so viel wie Studienräte an Gymnasien. Sie rücken in die Gehaltsstufen E13/A12 auf. Von einer "Wertschätzung für die tägliche Arbeit in den Grundschulen" sprach Bildungssenatorin Sandra Scheeres.

Anfang Dezember zog Hamburg nach. Bildungssenator Ties Rabe kündigte an, Grundschullehrer in der Hansestadt sollten in den kommenden Jahren finanziell mit den Lehrkräften anderer Schulformen gleichgestellt werden.

Die konsequenteste Entscheidung: Verbot des "Lehrer-Prangers"

Anfang Dezember schob das Schweriner Verwaltungsgericht einem "Lehrer-Pranger", wie Kritiker das AfD-Meldeportal "Neutrale Schule" nennen, einen Riegel vor. Es entschied, dass die Plattform der rechtspopulistischen Partei in Mecklenburg-Vorpommern in weiten Teilen verboten bleibt. Das Gericht folgte damit den Vorgaben des Landesdatenschützers und lehnte einen Eilantrag der AfD ab.

Im September war das AfD-Portal an den Start gegangen. Schüler sollten der Partei Lehrkräfte melden, die sich ihrer Meinung nach politisch nicht neutral verhalten. Es ging um Vorfälle, bei denen sich Lehrer pauschal abwertend gegenüber der AfD oder ihren Positionen geäußert haben sollen.

AfD-Politiker hatten zuvor auch schon in anderen Bundesländern Meldeportale eingerichtet. Kritiker warnten, sie wollten eine kritische Auseinandersetzung mit ihrer Partei verhindern und Lehrer "mundtot" machen. Von einem "Aufruf zur Denunziation" war die Rede. Denn die Überwachung des sogenannten Neutralitätsgebotes, wonach Lehrkräfte ihren Schülern keine Meinung aufdrängen dürfen, ist Sache von Behörden, nicht von einzelnen Parteien.

Das Schweriner Gericht urteilte, die AfD habe personenbezogene Daten erhoben, aus denen politische, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen hervorgingen. Dies stehe im Widerspruch zur Datenschutz-Grundverordnung. Die hochgradig sensiblen Daten der betroffenen Lehrer seien als ein im besonderen Maße schützenswertes Gut anzusehen. Unklar ist, wie sich der Beschluss auf andere Bundesländer auswirkt.

Die zäheste Entscheidung: der Digitalpakt

Am 17. Mai war es so weit, endlich: Die "Verwaltungsvereinbarung DigitalPakt Schule 2019 bis 2024" zwischen den 16 Bundesländern und der Bundesregierung trat in Kraft, eine fünf Milliarden Euro schwere Übereinkunft, die die Schulen in Deutschland digital nach vorne bringen soll.

Die Idee dazu stammte aus dem Jahr 2016: Damals hatte die amtierende Bildungsministerin Johanna Wanka das digitale Unterstützungsprogramm für die Schulen angekündigt - und vergessen, die notwendigen Mittel im Haushalt zu beantragen. So geisterte der Digitalpakt zweieinhalb Jahre lang wie ein Untoter durch die Bildungspolitik: Mal gab es das notwendige Geld angeblich, mal fehlte es. Mal sollte für das Programm das Grundgesetz geändert werden, dann sollte es wieder ohne einen Umbau des Bildungsföderalismus gehen.

Am Ende gab es schließlich Finanzzusage und Grundgesetzänderung - und das zähe Ringen geht trotzdem weiter: Theoretisch können die Gelder zur Digitalisierung bereits genutzt werden. Praktisch allerdings haben sich etliche Bundesländer mit den Förderrichtlinien so viel Zeit gelassen, dass vielerorts noch unklar ist, nach welchen Kriterien das Geld vergeben werden kann. Richtig rund läuft der Digitalpakt damit auch Anfang 2020 noch nicht. Er stottert erst einmal weiter vor sich hin.

Das Frühlingsritual: Klagen über das Abitur

Zu den offiziellen Prüfungsfächern des Abiturs scheint in den vergangenen Jahren ein weiteres, inoffizielles hinzugekommen zu sein: Protest per Petition. Im Mai war es wieder so weit, als sich bundesweit Abiturienten per Online-Petition gegen ihrer Meinung nach zu schwere Aufgaben im Fach Mathematik wehrten und eine veränderte Benotung forderten.

In Bayern und Hamburg, Berlin und Bremen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt hatten Schüler Unterschriften gesammelt - mitunter so erfolgreich, dass etwa die rund 39.000 Abiturienten in Bayern von mehr als 70.000 Unterzeichnern unterstützt wurden. Bayerns Kultusminister Michael Piazolo jedoch beeindruckte das nicht: Das Mathe-Abitur sei "anspruchsvoll, aber insgesamt angemessen" gewesen, beschied er den Abiturienten und lehnte eine Neubewertung ab.

Die Auseinandersetzung mit Schülerprotesten allerdings gehört für Kultusministerinnen und -minister mittlerweile zum Jobprofil, nicht nur wegen des Umgangs mit streikenden "Fridays for Future"-Teilnehmern. Schon 2018 hatte es bundesweite Petitionen wegen Abituraufgaben gegeben, damals ging es um das Fach Englisch.

Auch 2016 hatten Schüler gegen gefühlt zu schwere Mathe-Aufgaben protestiert - und damit zumindest in Niedersachsen Erfolg: Das Kultusministerium ließ sich überzeugen, dass die Aufgaben zu anspruchsvoll waren, und senkte den Bewertungsmaßstab um 12,5 Prozent ab.

spiegel


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