Geht es um wichtige Entscheidungen, können Aufsichtsratssitzungen bei der Lufthansa schon mal bis spät in den Abend dauern. So gesehen war der Mittwoch dieser Woche eine rare Ausnahme, denn es ging ruck zuck. Die Kontrolleure brauchten am Vormittag gerade mal zwei Stunden, um festzustellen, dass sie dem geplanten Sanierungspaket der Bundesregierung die Zustimmung verweigern - obwohl es der stark angeschlagenen Fluggesellschaft neun Milliarden Euro bringen soll.
In ungeahnter Eintracht wettern Arbeitnehmer- und Kapitalvertreter seither gegen geplante Auflagen der EU-Kommission aus Brüssel, wonach die Fluglinie an ihren Verkehrsdrehscheiben in Frankfurt und München rund ein Dutzend Jets aus dem Verkehr ziehen und die dazugehörigen Start- und Landezeitfenster, im Branchenjargon Slots genannt, an Billigkonkurrenten wie Ryanair oder Wizzair abtreten soll. Sonst, so die Argumentation der Wettbewerbshüter, werde die staatlich gepimpte Lufthansa im Heimatmarkt zu dominant.
Lufthansas wichtige Zubringerflüge
Was sind schon zwölf Maschinen, wo die Lufthansa doch 763 Flugzeuge besitzt und ohnehin den größten Teil davon aktuell wegen der Coronakrise stillgelegt hat? So könnte man fragen.
Doch die Sorgen der Kontrolleure sind durchaus berechtigt. Schließlich sind ausreichende Start- und Landerechte zu attraktiven Tageszeiten die Voraussetzung dafür, dass das Geschäftsmodell der Lufthansa überhaupt funktioniert. Anders als Billigflieger wie Ryanair oder Wizzair, die nur im Punkt- zu Punkt-Verkehr operieren, muss die Lufthansa an ihren Hauptdrehkreuzen in Frankfurt und München im Vorfeld bis zu 60 Zubringerflüge durchführen, um einen Großraumjet vom Typ A380 oder Boeing 747 rentabel etwa nach San Francisco betreiben zu können. Von dem sogenannten Hub-and-Spoke-Modell mit großen Drehkreuzen und vielen Zubringerstrecken profitieren auch deutsche Passagiere. Sie können so zu attraktiven Preisen Fernziele in aller Welt ansteuern, die für sie sonst unbezahlbar wären.
Fiele nun ein Teil der Auffüllflüge weg, rechnen sich bestimmte Langstreckenverbindungen nicht mehr und müssten deshalb gestrichen werden. Für die Lufthansa wäre das ein Fiasko. Deshalb reagierten die Aufsichtsratsmitglieder auf die geplanten Auflagen der EU-Kommission auch so allergisch.
Ein Rechenbeispiel macht deutlich, wie massiv der erzwungene Slot-Verlust in die künftige Streckenplanung des Konzerns eingreifen würde. Mit einer Maschine kann die Lufthansa pro Tag bis zu acht Flüge abwickeln, also vier mal Passagiere aus Rom, Warschau oder Budapest herantransportieren und angekommene auch wieder dorthin zurückbringen. Bleibt es bei der EU-Forderung, wonach in Frankfurt und München bis zu einem Dutzend Jets aus dem Verkehr gezogen werden sollen, fehlen der Lufthansa dort künftig täglich fast 100 Transferflüge. Und das in einer Phase, in der der Konzern wegen des geplanten Rettungspakets im großen Stil Zinsen zahlen und Schulden an die Bundesregierung abstottern soll.
Die Situation ist so festgefahren, dass vor Pfingsten kaum noch eine Entscheidung fallen dürfte. Vielleicht nutzen die Streitparteien ja die kommenden Feiertage, um sich doch noch auf einen Kompromiss zu einigen. Sollte er ausbleiben, droht das, was alle Beteiligten eigentlich vermeiden wollten: die Insolvenz der Lufthansa.
spiegel
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