Dieser Neonazi-Trip ist schwer zu ertragen

  30 März 2016    Gelesen: 872
Dieser Neonazi-Trip ist schwer zu ertragen
Rechtsextremismus, Versagen und Mitwisser: Die ARD hat mit der NSU-Trilogie "Mitten in Deutschland" Fernsehgeschichte geschrieben. Die drei Spielfilme sind ein Prozess mit den Mitteln der Kunst.
In welchem Verhältnis stehen Kunst und Justiz, Fiktionalität und Forensik? Man kommt an dieser Frage nicht vorbei, wenn man sich mit der Spielfilmtrilogie "Mitten in Deutschland: NSU" beschäftigt. Während sich in München der Prozess gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe zäh dahinschleppt und schon jetzt abzusehen ist, dass das zu erwartende Indizienurteil, wie auch immer es ausfällt, als unzulängliche Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) empfunden werden wird, bietet das öffentlich-rechtliche Fernsehen die ihm zu Gebote stehenden Mittel der Aufklärung mit aller Entschiedenheit auf, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen.

Drei Spielfilme und eine Dokumentation widmet die ARD dem NSU-Komplex. Das Attribut "öffentlich-rechtlich" bekommt damit eine ganz neue Bedeutung. Denn die drei Spielfilme sind nichts anderes als ein Prozess mit den Mitteln der Kunst, ein Prozess allerdings, der nicht auf ein Urteil abzielen kann.

Aber das unfassbare Geschehen aus unterschiedlichen Perspektiven durchleuchten, das kann er. Und die Kunst filmischen Erzählens spielt dabei ihre Fähigkeit zur fiktionalen Verdichtung, zum "Herausarbeiten" der Wahrheit triumphal aus.

Die Trilogie geht weiter als das Dokudrama "Letzte Ausfahrt Gera", das schon einmal Beate Zschäpe zur Filmfigur machte. Wahrhaftig wird "Mitten in Deutschland" dadurch, dass die unterschiedlichen Wahrheiten, die sich aus den Perspektiven der Täter, der Opfer, der Ermittler ergeben, nicht von einer höheren Instanz harmonisiert werden. Die sich daraus ergebenden Spannungen muss der Zuschauer aushalten. "Mitten in Deutschland: NSU" mutet und traut ihm sehr viel zu. Die ARD schreibt hier Fernsehgeschichte.

Man muss inständig hoffen, dass die Zuschauer nach dem ersten Teil, Christian Schwochows Film "Die Täter – heute ist nicht alle Tage", nicht aussteigen. Denn dieser Trip in die thüringische Neonazi-Szene der Nachwendezeit ist schwer zu ertragen. Schwochow hält diese Szene nicht mit dem sozialpsychologischen Sezierbesteck auf Distanz. Er erörtert nicht intellektuell die sozialen Ursachen von Rechtsextremismus, Fremdenhass und Gewaltbereitschaft, sondern er setzt den Zuschauer der Erfahrungswelt dieses Milieus mit seinen Partys, seinen Ritualen, seinen Gesängen aber auch seiner Entwurzelung und Orientierungslosigkeit direkt aus.

Viel mehr als Gesinnungskumpanei

Die drei Protagonisten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begleitet er durchaus mit Empathie. Sie kommen nicht von einem anderen Stern, sondern könnten Klassenkameraden gewesen sein. Gespielt wird das künftige mörderische Trio von Anna Maria Mühe, Albrecht Schuch und Sebastian Urzendowsky mit einem feinen Gespür für diese Dreiecksbeziehung, die viel mehr ist als Gesinnungskumpanei. Ihr Gemeinschaftsbund sollte künftige Volksgemeinschaft vorwegnehmen. In linkem Kontext würde man von gelebter Utopie sprechen. Das tut ziemlich weh.

Schwochows Film begleitet die drei bis zu ihrem Abgang in den Untergrund 1998. Die Polizei hatte Sprengstoff in einer von Zschäpe gemieteten Garage gefunden. Zwei Jahre später begehen Mundlos und Böhnhardt den ersten Mord und eröffnen damit eine Verbrechensserie, die erst mit dem Selbstmord der beiden im November 2011 in Eisenach und einem Bekennervideo in ihrem rechtsterroristischen Zusammenhang erkannt wird.

Wenig später stellt sich Beate Zschäpe der Polizei. Mit der Frage, warum es so lange dauerte, bis die rechtsterroristische Mordserie des NSU erkannt wurde, beschäftigt sich der dritte Film der Trilogie: "Die Ermittler – Nur für den Dienstgebrauch" von Florian Cossen setzt ein, wo "Die Täter" aufhört. Nach dem Untertauchen von Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe setzt sich Florian Lukas als Zielfahnder Paul Winter auf die Spur der drei.

Er muss bald die Erfahrung machen, dass in diesem Fall mit der üblichen Ermittlungsroutine nichts auszurichten ist. Die Strukturen der rechten Szene sind vom Verfassungsschutz durchsetzt. Der Dienst will Information und Kontrolle, stabilisiert aber auch die organisatorischen Strukturen des Rechtsextremismus, die sich verselbstständigen.

Beamte des Verfassungsschutzes verweigern die Herausgabe wichtiger Informationen und behindern Winters Arbeit systematisch. Gleichzeitig verrennen sich die zuständigen Ermittler der Landeskriminalämter bei den Morden an Ausländern in die Hypothese, es handele sich um "milieuspezifische" Verbrechen der organisierten Kriminalität.

Mindestens zehn Menschen fielen dem NSU zum Opfer. Diese fürchterliche Bilanz ist auch Ergebnis eines Staatsversagens, an dem viele Schuld hatten. Cossen tut gut daran, sich nicht an großen Verschwörungstheorien zu versuchen. Aber er fragt ziemlich bohrend nach dem politischen Tabu des rechten Terrorismus. Es kann nicht sein, was nicht sein darf – nach diesem Prinzip handelten die Behörden. Aktive Vertuschung und verinnerlichte Denkverbote wirkten zusammen. Hinzu trat jener Ermittlungsrassismus, der in einem ermordeten Ausländer hartnäckig ein Opfer ausländerspezifischer Kriminalität sehen will.

Die Kraft einer Familie

Für die Angehörigen der Opfer wird diese Ermittlungsschablone zur Tortur, die ihre Würde und Identität bedroht. Semiya Simsek, die Tochter des im September 2000 mit acht Schüssen in seinem Lieferwagen ermordeten Blumenhändlers Enver Simsek, hat darüber in ihrer Autobiografie berichtet. Wesentlich auf ihrem Buch beruht der Mittelteil der Trilogie: "Die Opfer – vergesst mich nicht".

Dieser Film von Züli Aladag ist zum emotionalen Zentrum des Gesamtwerks geworden. Er erzählt nicht nur von einem kaltblütigen Mord, von voreingenommenen Ermittlungsbeamten und dem unsagbaren Leid der Angehörigen, sondern auch von der Kraft einer Familie, die sich für ein Leben in Deutschland entschieden hat und doch innig an ihrer türkischen Heimat hängt.

Der Blumenhändler Simsek erzählt seiner Tochter von den Hirten und ihren Schafen in seinem Dorf und von seinem Traum, sich dort zur Ruhe zu setzten. Das Dorf wird auch zum Hafen, in den sich Semiya, gespielt von Almila Bagriacik, nach den demütigenden Erfahrungen mit der deutschen Polizei flüchtet. Die Ermittler dichten Enver Simsek (Orhan Kilic) eine Drogenhändlerkarriere an und erfinden eine Affäre mit einer blonden Geliebten, um seine Ehefrau Adile (Uygar Tamer) zu verunsichern und zu belastenden Aussagen zu veranlassen. Adile erleidet einen Zusammenbruch. Während sie im Krankenhaus ist, sorgt die 15-jährige Semiya für die Familie und beginnt sich dagegen zu wehren, dass sich die Kriminalpolizei auf einer Ermittlungsspur festsaugt, die sie durch Selbstsuggestion selbst gelegt hat.

Als die Serie der immer mit derselben Waffe verübten Morde an Ausländern immer länger wird, betritt ein neuer Ermittler die Szene. Bronner (Tom Schilling) deckt Versäumnisse auf, kann belastende Zeugenaussagen widerlegen und ahnt wohl langsam die Ausmaße dieses Ermittlungsskandals, während die Angehörigen der Opfer beginnen, sich zu organisieren.

Aber auch Bronner kommt den NSU-Mördern nicht auf die Spur. Er ist doch nur Beamter. Umso mehr geht das Heldentum der Familie Simsek zu Herzen, das sich aus Liebe und unerschütterlichem Vertrauen speist. Selten hat das Fernsehen so ergreifend davon erzählt, welchen Reichtum Türken mit ihrem Familiensinn nach Deutschland bringen. Besser kann man nicht zeigen, wie irre die Projektion "Ausländer" ist.

Quelle : welt.de

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