In St. Petersburg will eine Gruppe von Abgeordneten einen Appell in der Staatsduma einbringen, der das Unterhaus des russischen Parlaments dazu auffordert, Russlands Präsident Wladimir Putin des Hochverrats anzuklagen und ihn des Amts zu entheben. Einer der Initiatoren, Nikita Juferew, erklärt im Interview mit dem "Stern", dass man mit dem Vorstoß der allgegenwärtigen Propaganda in Russland etwas entgegensetzen wollte. "Mit solchen Aktionen zeigen wir Menschen, die Putin nicht unterstützen, dass sie nicht allein sind", sagte Juferew.
Am 7. September beschloss die Gruppe kommunaler Abgeordneter bei einer Sitzung, ihren Appell einzureichen. Es handelt sich um den Rat des St. Petersburger Bezirks Smolninskoje - ausgerechnet dort, wo Putin aufgewachsen ist. "Unserer Meinung nach zeigen sich seit dem Beginn der Sonderoperation auf dem Gebiet der Ukraine in den Handlungen des Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, Anzeichen einer Straftat, die im Artikel 93 der Verfassung der Russischen Föderation beschrieben wird - Hochverrat", heißt es in dem Appell.
Juferew erklärt, dass man sich bei den Formulierungen an Putins eigener Rhetorik orientiert habe, die für dessen Publikum somit auch verständlich sei. "Damit diese Menschen vielleicht ins Nachdenken geraten." So etwa das Argument, Russland sei durch die NATO bedroht. "Also sagen wir: Schaut doch. In Folge der Entscheidung des Präsidenten wird sich die Landgrenze zwischen den NATO-Staaten und Russland verdoppeln, nachdem nun Finnland dem Bündnis beitritt", erklärt Juferew.
"Hoffen auf gewissen Effekt"
Zu der Sitzung des Rates seien zehn der insgesamt 20 Abgeordneten erschienen. Die Mitglieder der Regierungspartei "Einiges Russland" und der Vorsitzende hätten die Sitzung boykottiert, sagte Juferew. Sieben Abgeordnete hätten schließlich für den Hochverrats-Appell an die Duma gestimmt - zwei von ihnen gehörten der Partei Jabloko an, fünf seien parteilos, darunter auch er selbst.
Allerdings hat Juferew wenig Hoffnung, dass er und seine Mitstreiter mit dem Antrag Erfolg haben. Sie hofften aber auf einen gewissen "Effekt": "Die Propaganda trichtert den Menschen ein, dass alle in Russland Putin unterstützen, dass alle in Russland die Fortsetzung der Sonderoperation wollen", so Jurefew. Jene, die anders dächten, wären somit im Glauben, allein zu sein. "Mit solchen Aktionen zeigen wir diesen Menschen, dass sie nicht allein sind. Dass wir viele sind. Dass es eine ganze Regierungsbehörde in Sankt Petersburg gibt, die die Sonderoperation nicht gutheißt und in diesem Zusammenhang den Rücktritt Putins will."
Er verweist auf eine Umfrage des Levada-Instituts von Anfang September, laut der nur noch 48 Prozent der Befragten militärische Aktionen auf dem Gebiet der Ukraine unterstützten. "Im Mai sprachen sich noch 72 Prozent der Befragten für militärische Tätigkeiten aus. (...) Das ist eine kolossale Entwicklung." Deswegen dürfe man nicht der Propaganda-Rhetorik folgen und glauben, dass alle die Sonderoperation unterstützten.
"Halten uns an alle Regeln und Vorschriften"
Ob er keine Angst habe? "Wir sind tatsächlich sehr vorsichtige Menschen", erklärte Jurefew. Man verwende keine Begriffe, die gegen russische Gesetze verstießen. "Wir benutzen bewusst das Wort Sonderoperation, wie das vorgeschrieben ist." Zudem hielten sich er und seine Gruppe an alle Regeln und Vorschriften. "Und in dieser Anfrage verlangen wir auch nicht, etwas Illegitimes gegen den Präsidenten zu unternehmen. Wir schlagen nur vor, das vom Gesetz vorgesehene Prozedere gegen ihn anzuwenden." Das Prozedere der Amtsenthebung sei in der Verfassung festgelegt. "Aus juristischer Sicht sind wir sauber."
Dennoch ermittelt die Polizei bereits gegen fünf der Unterstützer des Antrags wegen angeblicher "Diskreditierung der russischen Streitkräfte". Jurefew sieht dennoch eine kleine Chance, nicht verurteilt zu werden. "Aber für den Fall, dass eine Geldstrafe verhängt wird, sind wir vorbereitet. Das ist es wert."
Quelle: ntv.de, Stern
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