Warum schauen wir so gern eingesperrte Tiere an?

  06 April 2016    Gelesen: 367
Warum schauen wir so gern eingesperrte Tiere an?
Es ist wieder Frühling und alle rennen in den Zoo. In Berlin wurden gar alle Besucherrekorde gebrochen. Aber was suchen die Menschen eigentlich zwischen den Gehegen? Ein philosophischer Rundgang.
Eine der größten Illusionen überhaupt ist der Zoo. Vielleicht noch vor dem Zirkus oder der Travestie. Aber das würde jetzt zu weit führen.

Zoos sind auf jeden Fall sehr erfolgreich. Besonders in Berlin. Bis 2030 werden über 150 Millionen Euro in den Umbau von Zoo und Tierpark gesteckt. Letztes Jahr reisten so viele Leute wie noch nie nach Berlin, um sich eines der 25.187 Tiere aus 2142 Arten anzuschauen. 4,5 Millionen Besucher. Rekord! Da müssen wir auch hin. Der Frühling ist da. Das große Versprechen der Liebe liegt in der Luft. Wir wollen die Reinform der Liebe sehen: den Trieb.

Nierenstein am Nierenbecken

Die Pelikane und die Reiher im Zoologischen Garten von Berlin teilen sich ein nierenförmiges Gehege, in dessen Mitte auf Steininseln einige Baumstämme übereinander geworfen liegen. Wenn man auf der Bank mit dem Messingschild von Dr. Ruth Chatterjee vor dem Pelikangehege sitzt, hört man kein helleres Schnattern als das der erwachsenen Reiher, die eigentlich nichts tun, außer nichts zu tun.

Im Geäst der umliegenden Bäume sitzen die Reiherdamen, die mit jedem Blick auf uns herabschauen. Auf die Besucher, die Eintritt dafür bezahlen, diese Aufregung zu sehen, die für die Reiher Normalität bedeutet. Fressen. Paaren. Schlafen. Und das Ganze wieder von vorne. Jedenfalls haben die Pelikane heute keinen Sex. Wer könnte es ihnen übel nehmen. Vom Nierenbecken ist es nicht weit zum Nierenstein, und wer denkt da ans Vögeln?

Dabei ist der Zoo eigentlich genau dafür gemacht. Für den Sex. Also für den Erfolg von Sex. Zu den wichtigsten Aufgaben eines Zoos gehört, neben seinem Bildungs-, Bespaßungs- und Forschungsauftrag, der Arterhalt. Die ganze Welt schaut nach Berlin, wenn ein kleiner Eisbär geboren wird.

Er kann 40 Mal am Tag

Der Zoo ist ein Kinderort. Es kommen ja vor allem Menschenkinder, um Tierkinder zu sehen. Die Kindergartenkinder, die in die Gehege mit dem Nachwuchs schauen. Sie rufen "Da ist ja ein Baby", und sie fühlen sich alt und erwachsen, obwohl sie erst fünf sind. Und dann sind da natürlich noch die Schulklassen.

Die Schüler stehen im Raubtierhaus. Ein sehr dicker Junge mit einem Motto-T-Shirt ("6 Jahre habe ich nicht geraucht, nicht gesoffen und keinen Sex gehabt und dann wurde ich eingeschult!") steht vor dem Gehege der Sandkatze und meint: "Boah, ist die hässlich." Er fotografiert sie dann mit seinem Smartphone. Und die Sandkatze, die wie ein schlecht gelaunter, aber sehr eleganter Oberkellner einer Pariser Brasserie durch ihr Gehege schleicht, die Braue tadelnd hebt, die schaut den Jungen lange an, als würde sie sagen: "Selber."

Die Löwinnen hinter den Stäben laufen auf und ab, als ob sie auf den Bus warten, der niemals kommt. Wussten Sie, dass sich die Männchen bis zu 40-mal am Tag paaren können? Schön wär`s. Seit Paule, der stolze König, letztes Jahr eingeschläfert wurde, können die Königswitwen nur noch davon träumen und so schnurren sie alleine vor sich hin.

Auf Büffel schießt man nicht

Jeder Zoo ist eine Enttäuschung, die man sich schönlügt, weil nichts schöner ist als eine Lüge, die man glaubt. Der Mensch schaut sich gefangene Tiere an, um sich frei zu fühlen. Um vor einem Grünstreifen und einem Graben zu stehen, hinter dem zwei Zebras auf Berliner Rollsplitt regungslos auf bessere Zeiten hoffen. Dann hat der Mensch das Gefühl mit Khakishorts und Tropenhelm am Fuß des Kilimandscharo in die unendliche Weite zu blicken.

Aber man kann keiner exotischen Tierart gerecht werden, wenn man sie zwischen die Asphaltwüste vom Interconti Hotel und der Universität der Künste stellt. Natürlich ist das tierschutzrechtlich bestimmt alles astrein, aber Zoodirektor Andreas Knieriem sagte einmal der Berliner Morgenpost: "Die Besucher sollen sich mittendrin fühlen, nicht außen vor."

Dem Tierpark hat Knieriem schon eine Elektrobahn spendiert, mit der man vier Kilometer durch die Anlage fahren kann. Anders als in der nordamerikanischen Pionierzeit kann man im heutigen Berlin nicht auf Büffel schießen. Knieriem plant eine Himalaya-Gebirgswelt mit Seilbahn, eine Dschungellandschaft.

"Just a perfect day, feed animals in the zoo"

Das Konzept erinnert an die großen Völkerschauen, nur ohne Völker, dafür aber mit Tieren. Und auch im Zoo wird kräftig gebaut. Ein neues Raubtierhaus ist in Planung, das Elefantenhaus wird umgebaut. Und wenn die Konsequenz davon ist, dass sich der Besucher mittendrin fühlen soll, dass die Tiere auch mehr Platz haben, dann ist das doch auch gar nicht schlecht. Noch ist es im Zoo aber wie in der Kafka-Parabel "Auf der Galerie", wo die Realität im Konjunktiv und das, was man sehen will, im Indikativ formuliert ist.

Vor dem Lokal des Zoos, wo die verstaubten, gusseisernen Stühle mit den Holzstreben stünden, wo auf dem Dach müde "Zoo-Restaurant" geschrieben wäre, da wäre noch ein nicht so schöner Crêpes- und Eisstand. Drei Frauen würden dort behäbig arbeiten. Eine wäre tätowiert. Und die mit der Brille nähme die Bestellung entgegen, während die anderen irgendetwas über einen Kollegen sagen würden, dessen Gehalt zu wenig oder zu viel oder was auch immer wäre. "Einmal Tiramisu und Erdbeere mit Sahne, bitte." Die Kugeln kämen auf die Tüte, das Eis wäre bröckelig, die Sahne würde fehlen.

Da es aber nicht so ist: Alles ist ganz wunderbar. Die Sahne, erhaben wie eine Schaumkrone eines frisch Gezapften am Ammersee, ist natürlich oben drauf. Das Eis herrlich cremig. Alle Tiere sind gut drauf. Das Leben ist schön. Wir summen: "Just a perfect day/ feed animals in the zoo"

Aggressiv, früh geschlechtsreif und spricht kein Deutsch

Auch perfekt ist der Auftritt des Neuköllner Bezirksbürgermeisters a. D. Heinz Buschkowsky und seiner Frau Christina. Da ist eine Plakette. Sie haben die Patenschaft für Myrmecophaga tridactyla, den Großen Ameisenbären, übernommen.

Dieser Südamerikaner ist zwar schon mit zwei Jahren geschlechtsreif, es gibt blutige Kämpfe der Männer um Frauen, Begegnungen zwischen mehreren dieser Geschöpfe verlaufen immer aggressiv, aber bis heute hat noch keiner einen Ameisenbären gesehen, der ein vernünftiges Deutsch spricht. Buschkowsky schätzt ihn trotzdem und hat noch keinen abgeschoben.

Sie sollen jetzt nicht den falschen Eindruck bekommen. Der Zoo, das ist das Paradies. Das ist das wahre Arkadien, in einer Zeit, in der sich Leute ihre Träume mit einer Kerze in Busenform im Krimskramsladen "Nanu Nana" in den Erlanger Arcaden erfüllen. Im Zoo gibt es pinke Flamingos, Pfauen, die Räder schlagen, und die Nashörner haben ein eigenes Spa im mintgrünen Shabby Chic. "Heute kein Badetag", steht vor dem wasserleeren Becken. Spitzmaulnashorn Ine stört das nicht. Sie hält erst mal einen Mittagsschlaf und blinzelt den Besucher an, der für Ine nicht vor, sondern hinter den Stäben steht.


Quelle : welt.de


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