Bitte keinen Bundesstaat verhandeln!

  07 April 2016    Gelesen: 572
Bitte keinen Bundesstaat verhandeln!
Wenn in Genf eine Staatsstruktur für Syrien ausgelotet wird, sollte nicht wie im Fall Libyens ein föderales System debattiert werden. Das blockiert den Friedensprozess.
Fünf Jahre nach Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs diskutiert der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nun die Idee, das Land in einen föderalen Staat umzuwandeln. Was sich zunächst nach einem plausiblen Ansatz zur Aufrechterhaltung der territorialen Integrität Syriens anhört, könnte sich negativ auf die ab dem 9. April weitergeführten Friedensgespräche in Genf auswirken: Die mit den Plänen konfrontierten Gesprächsparteien werden in zwei Lager gedrängt – für oder gegen das föderale System.

Ein Dazwischen gibt es nicht, eine Seite wird verlieren. Anstatt ein Stichwort wie Föderalisierung in den Raum zu stellen, wäre es daher sinnvoller, mit den Parteien konkret darüber zu sprechen, wie man den syrischen Staat dezentralisieren kann.

Die Debatte im Sicherheitsrat hat prompt Kontroversen ausgelöst. Kurdische Gruppen haben schon jetzt eine bundesstaatliche Struktur für die von ihnen kontrollierten Gebiete ausgerufen, während in Genf die Regierungs- wie auch die Oppositionsunterhändler eine Bundesstaatlichkeit ablehnen. Die Sorge herrscht vor, dass eine Föderalisierung die gegenwärtigen Fronten festschreiben wird. Zusätzlich ist das Misstrauen gegenüber grenzziehenden Großmächten im Nahen Osten groß, seit Briten und Franzosen durch das Sykes-Picot-Abkommen 1916 die Region neu gestalteten.

Viele Syrer fürchten auch, dass die Föderalisierung eine territoriale Einhegung konfessioneller und ethnischer Gruppen bedeuten könnte, also die Einteilung in alawitische, sunnitische oder kurdische Regionen. Obgleich die Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom vergangenen Dezember betont, dass Syrien kein konfessioneller Staat werden soll, wird eine solche Einteilung häufig diskutiert.
Föderalismus insinuiert die Abspaltung von Gebieten

Verlierer eines solchen Staatsumbaus wären die zahlreichen Syrer, die sich kein konfessionelles Label anheften lassen wollen. Ganz abgesehen davon, dass eine jede Neueinteilung auch zur Entstehung neuer Minderheiten und neuer Probleme beiträgt.

Ein Blick nach Libyen genügt, um zu erkennen, welch schädliche Folgen die Diskussion um Föderalisierung in einem Friedensprozess haben kann: Dort spalteten sich nach Gaddafis Fall die politischen Lager in Föderalisten und Antiföderalisten. Im Zuge steriler Debatten um diese Begrifflichkeit kam es zu politischen Blockaden. Das Land versank zusehends tiefer im Bürgerkrieg. Eine sinnlose Kontroverse, wie der gegenwärtige Verfassungsprozess in Libyen nun zeigt: Im Verfassungsentwurf fordert keine der beiden Seiten ein System, das im engeren Sinne ein Bundesstaat wäre.

Der Begriff Föderalismus ist in Konfliktszenarien vor allem deshalb so umstritten, weil er mit der Abspaltung von Teilgebieten assoziiert wird. In der Ukraine etwa, die aufgrund ihrer Größe durchaus als Bundesstaat konzipiert werden könnte, ist Föderalismus ein schmutziges Wort. Kiew betrachtet ihn als Vorstufe zu Annexionsbestrebungen oder Okkupation seitens Russlands. Dass die Krim vor der russischen Besatzung einen Sonderstatus besaß, wird nun als Beweis für die Gefährlichkeit von zu viel Autonomie für Teilgebiete angeführt. Die Rufe Russlands nach einer Föderalisierung der Ukraine haben ein Übriges getan, die Diskussion vollständig von der politischen Agenda zu verbannen.

Natürlich ist es kein Zufall, dass die Idee der Föderalisierung im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen immer wieder auf den Verhandlungstisch kommt: Die Bundesstaatlichkeit ist eine naheliegende Möglichkeit, ethnischen oder religiösen Gruppen ein hohes Maß an territorialer Autonomie zu gewähren. Mitunter ist die föderale Struktur auch ein Minimalzugeständnis an eine kriegsführende Partei, die sich eigentlich ganz abspalten will – wie etwa im Fall von Bosniens Republika Srpska.

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