"Es ist nur möglich, eine neue Ermutigung auszudrücken zu einer verantwortungsvollen persönlichen und pastoralen Unterscheidung der je spezifischen Fälle", heißt es in dem Dokument. Auch Gläubige, die nach einer Scheidung wieder zivil geheiratet haben, ihren Platz in der Kirche hätten. "Sie sollen sich nicht nur als nicht exkommuniziert fühlen, sondern können als lebendige Glieder der Kirche leben und reifen."
Reformer suchten in den vergangenen Jahren einen Kompromiss zwischen der katholischen Doktrin und dem Versuch, wiederverheiratete Geschiedene nicht pauschal von der Kommunion auszuschließen.
Konservative Kirchenvertreter bestanden dagegen darauf, dass die Regeln unveränderlich seien; die Ehe sei unauflöslich, diese Lehre dürfe nicht aufgeweicht werden. Das bedeutet, dass wiederverheiratete Geschiedene nur an der Kommunion teilnehmen dürfen, wenn die erste Ehe kirchenrechtlich annulliert wird oder die Kirche sie für ungültig erklärt. Nun schreibt der Papst, diese Haltung entspreche nicht der von Jesus vorgelebten Barmherzigkeit. Franziskus hatte es 2015 einfacher gemacht, Ehen zu annullieren.
Kein Rütteln am katholischen Status quo
Die Frage des Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen ist der umstrittenste Punkt in dem Schreiben des Papstes. Es stellt die Schlussfolgerungen des Kirchenoberhauptes aus zweieinhalb Jahren Debatte innerhalb der katholischen Kirche dar. Im Zentrum steht die Liebe mit all ihren Facetten. Dabei spricht der 79-Jährige auch Themen wie Leidenschaft, Zärtlichkeit und Erotik an, die bisher in der katholischen Kirche meist ausgespart wurden.
Eine Abkehr von der gültigen Doktrin ist das Dokument nicht. So enthält das Schreiben keine klaren Vorgaben zum Umgang mit Homosexuellen oder Geschiedenen. Wegen der zahllosen Unterschiede konkreter Situationen sei es klar, "dass man von der Synode oder von diesem Schreiben keine neue, auf alle Fälle anzuwendende generelle gesetzliche Regelung kanonischer Art erwarten durfte".
In Bezug auf homosexuelle Paare spricht sich der Papst wie schon bei früheren Gelegenheiten gegen jegliche Diskriminierung aus. Die Kirche solle nicht mehr über jene urteilen, die den Idealen der Lehre zu Ehe und Familie nicht entsprächen. Er fordert einen respektvollen Umgang, rüttelt aber nicht am katholischen Status quo: Gleichgeschlechtliche Partnerschaften stünden keineswegs auf einer Stufe mit der Ehe zwischen Mann und Frau, heißt es in dem Lehrschreiben.
Das fast 200 Seiten lange Papier baut auf mehreren Erkenntnissen auf:
Den Ergebnissen einer Umfrage unter Laien in aller Welt. Der Papst hatte sie zu den Themen Ehe und Familie befragen lassen, etwa über den Umgang mit Homosexuellen und wiederverheirateten Geschiedenen - mit für die Kirche teils verheerenden Ergebnissen. Viele Gläubige sehen sie demnach als welt- und beziehungsfremd an und scheren sich nicht um die kirchliche Sexualmoral.
Den Debatten bei zwei Synoden im Herbst 2014 und 2015. Bischöfe aus aller Welt hatten sich getroffen, um über die Streitthemen zu sprechen. Auf grundlegende Reformen einigten sie sich aber nicht.
Die Reformbewegung "Wir sind Kirche" hatte den Bericht im Vorfeld als "Nagelprobe für die Reformfähigkeit der gesamten Kirche" bezeichnet. Das Schreiben könne "ein erster, aber hoffentlich wegweisender Schritt sein, die jahrhundertealte Fixierung der katholischen Lehre auf eine rechtlich rigorose Sexualmoral zu verändern".
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