Verurteilter Nato-Spion: Herr K. und das Staatsgeheimnis

  12 April 2016    Gelesen: 390
Verurteilter Nato-Spion: Herr K. und das Staatsgeheimnis
Wegen Landesverrats schickte das Oberlandesgericht Koblenz einen früheren Nato-Mitarbeiter für sieben Jahre in Haft. Manfred K. wehrt sich gegen das Urteil - hat er eine Chance?
Es begann mit einem Ermittlungsbericht der Nato-Spionageabwehr. Auf drei Seiten informierte das Allied Command Counterintelligence (ACCI) die Polizei im Juli 2012 darüber, dass der auf dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein arbeitende Computerspezialist Manfred K. sich unerlaubt "eingestufte Nato-Informationen" verschafft haben sollte.

Aus dem Vermerk entwickelte sich einer der größten Spionagefälle, mit denen sich das nordatlantische Verteidigungsbündnis in den vergangenen Jahren auseinandersetzen musste. Die Bundesanwaltschaft klagte den damals 60-Jährigen wegen landesverräterischer Ausspähung an. Und das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz verurteilte K. deshalb im November 2013 zu sieben Jahren Gefängnis. Zum Vergleich: Auch der russische Agent Andreas Anschlag, der mehr als 20 Jahre lang in Deutschland spioniert hatte, erhielt vom OLG Stuttgart sechseinhalb Jahre Haft.

Dabei will sich K. als Whistleblower verstanden wissen, der auf Sicherheitslücken bei der Nato aufmerksam machte und an der Ignoranz seiner Vorgesetzten scheiterte: "Man hat mir nicht zugehört", empörte sich K. vor Gericht. Inzwischen hat sein Kölner Rechtsanwalt Ulrich Sommer eine Menschenrechtsbeschwerde in Straßburg eingelegt. Die Revision vor dem Bundesgerichtshof und der Gang zum Bundesverfassungsgericht blieben erfolglos.

Causa "Netzpolitik"

Der Fall des Manfred K.s ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Vor allem wirft er nach Recherchen von SPIEGEL ONLINE und dem ARD-Magazin "Fakt" ein Schlaglicht auf den schwierigen rechtlichen Begriff des Staatsgeheimnisses, der auch in der Netzpolitik-Causa eine entscheidende Rolle gespielt hat. Welche Information so geheim ist, dass ihr Offenbaren einen "schweren Nachteil für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" verursacht, wie es im Gesetz heißt, definiert fast immer das Opfer der Tat - nämlich die Behörde, der die Information abhanden gekommen ist.

Auch in der Sache Manfred K. halten sich Zweifel, ob die elf von K. entwendeten Excel-Dateien tatsächlich die Qualität eines Staatsgeheimnisses erfüllten. Zwar kam das OLG in seinem ebenfalls als geheim eingestuften Urteil zu dem Schluss, dass die Informationen "einen hohen militärischen Wert" haben. Mit ihrer Hilfe hätte das IT-System der Nato infiltriert und manipuliert werden können, so der Senat.

Nach Auffassung von Rechtsanwalt Sommer verließ sich der Senat bei der Beantwortung dieser Frage aber "auf die schlichte Behauptung der als Zeugen vernommenen Nato-Angehörigen", die als Geschädigte das Verfahren erst in Gang gesetzt hätten. Dabei stehe dem der tatsächliche Umgang der Nato mit den eigenen Dateien entgegen, so Sommer. Das Verteidigungsbündnis habe sie zu keinem Zeitpunkt für besonders sensibel gehalten und daher auch nicht entsprechend gesichert. Es sei daher unzulässig, dass deutsche Strafgerichte diese Dateien plötzlich als Staatsgeheimnisse einstuften, so Sommer.

Wie erkennt man ein Staatsgeheimnis?

Möglicherweise konnte K. also gar nicht ahnen, dass er einen Landesverrat begehen würde, als er sich die Dateien über einen Nato-Clearingdesk zuleiten ließ, an seinen privaten GMX-Account mailte und anschließend abspeicherte. Weil ihm nicht klar war, dass es sich bei den Excel-Tabellen um Staatsgeheimnisse handelte. Entsprechend gekennzeichnet waren sie nicht.

Experten kritisieren seit Längerem, dass es dem Normalbürger in diesem Bereich des Strafgesetzbuchs kaum möglich ist, Recht von Unrecht zu unterscheiden. Gerade für Whistleblower kann das hochproblematisch sein. Der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele fordert daher eine Reform der antiquierten Paragrafen rund um den Landesverrat. "Wir müssen im Interesse der Rechtsordnung die Sachverhalte so definieren, dass jeder erkennen kann, wann er sich strafbar macht und wann nicht", sagt Ströbele.

Doch selbst wenn Manfred K. wusste, dass er mit Staatsgeheimnissen hantierte, muss er sie sich zudem noch verschafft haben, um sie einer feindlichen Macht zu übergeben. Nur dann handelt es sich um eine landesverräterische Ausspähung. Die Ermittlungen konnten aber keine Belege dafür zu Tage fördern, dass K. tatsächlich Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten gesucht oder unterhalten hat. Trotzdem unterstellt das OLG in seinem Urteil K. eine Verratsabsicht: "Der Angeklagte wollte die Dateien einem Angehörigen eines ausländischen Geheimdienstes zuspielen." Beweise? Fehlanzeige.

"Gravierende Schwachstelle"

"Ich halte das für eine gravierende Schwachstelle", kritisiert der Kölner Strafrechtler Nikolaos Gazeas. "In dieser Hinsicht grenzt die Entscheidung des Senats an Spekulation." Womöglich hätten fünf andere Richter nach derselben Hauptverhandlung "ganz anders entschieden", so Gazeas. Das Problem für Manfred K. sei indes, dass er nicht beweisen könne, keinen Kontakt zu einem ausländischen Nachrichtendienst gehabt zu haben - etwa um ein Wiederaufnahmeverfahren zu erreichen. "Das ist logisch eben unmöglich", sagt Gazeas.

Ironischerweise gingen die Ermittler mit vermeintlichen Staatsgeheimnissen sehr lax um, als sie am Fall K. arbeiteten. Da wurden Schriftstücke, die sie nachträglich als "geheim" klassifizieren, erst einmal ohne entsprechende Vorkehrungen über offene Leitungen gefaxt. Da durften auch Beamte mit dem brisanten Material umgehen, obwohl ihnen eine entsprechende Ermächtigung eigentlich fehlte. Alles kein Problem.

Die letzte Hoffnung des Manfred K. ruht nun auf dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, den sein Rechtsanwalt Ulrich Sommer angerufen hat. Groß ist die Hoffnung nicht. Und bis zu einer Entscheidung in Straßburg können Jahre vergehen.

Der verurteilte Nato-Spion bleibt weiter in Haft.

Quelle : spiegel.de

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