Sexy Fitnessfotos wie dieses finden sich überall im sozialen Netzwerk Instagram. Knapp 100.000 Bilder sind allein mit dem Suchbegriff "Whey" veröffentlicht. Wer fit sein will, zeigt nicht nur seinen definierten Waschbrettbauch, nein, er posiert auch dabei, wie er seinen Eiweißshake für noch stärkeres Muskelwachstum nach dem Sport trinkt oder während der Paketbote gerade die neue Lieferung "Designer Whey" ablädt.
Für die Hersteller ist es die perfekte Werbung. Mit Gratis-Produkten ausgestattete Instagramer veröffentlichen nicht nur Bilder der Whey-Artikel, sie verteilen an ihre Follower auch Rabattgutscheine ihrer Sponsoren, damit ihre Fans selbst bestellen.
Sportlernahrung hat die Nische verlassen
Aus früheren Abfallprodukten wie Molke sind heiß begehrte Superfoods geworden, die nicht mehr nur in Fitnessstudios das Geschäft aufbessern. Vor allem im Netz binden Ketten wie Myprotein oder Mister Fit eine riesige Kundschaft mithilfe von sozialen Netzwerken an sich. Eine Entwicklung, die Eiweißprodukte in den verschiedensten Variationen auf den Markt spült, von deren Sinn viele Gesundheits- und Sportexperten allerdings nicht überzeugt sind.
Bremsen lässt sich der Boom nicht – und neue Hersteller stehen mit ihren Produkten parat: Erst im Januar gingen Jannik Stuhlmann und Julius Wolf dank ihrer Instagram-Fans mit einer eigenen Marke "Hej" an den Start. Neben ihrem Fitnessportal "Protein-Projekt", das für den Deutschen Gründerpreis 2016 nominiert war, verkaufen die beiden nun auch Whey und Fitnessriegel – nur eben anders. Denn das hatten sich ihre Fans gewünscht. "Das Produkt sollte anders aussehen, weniger Chemie enthalten und nicht mehr so süß sein", erklärt Jannik Stuhlmann die Ansprüche der Kunden. Nach wenigen Wochen war die erste Produktion ausverkauft, obwohl Stuhlmann und Wolf ihre Produkte nur im Netz verkaufen.
Andere Anbieter und Ketten haben ihre Vertriebsnetze bereits weiter gesponnen. Denn fitnessbegeisterte Verbraucher ordern nicht nur online: "Der Markt der Sportlernahrung hat es im Lebensmitteleinzelhandel und in den Drogeriemärkten inzwischen aus der Nische geschafft und erreichte in 2015 erstmals einen Umsatz von über 100 Millionen Euro", sagt Gordon Finlay, Lebensmittelexperte bei Nielsen. In Fitnessstudios vermuten die Marktforscher einen weiteren "wahrscheinlich sehr großen Teil" des Umsatzes. Und der kann bereits seit Längerem zulegen – vor allem in den vergangenen zwei Jahren. "Ursachen für das Wachstum sind deutlich mehr Anbieter im Markt und eine kontinuierliche Ausweitung des Sortimentes", sagt Finlay.
Ein Eiweiß-Riegel für drei Euro
Absurd groß ist die Auswahl zum Beispiel bei Marken wie ESN. In knapp 30 verschiedenen Geschmacksrichtungen können Fitnessfans mittlerweile ihre Eiweißshakes anrühren. Geschmacksprobe? Aromen im Pulver sorgen für einen Cocktailgeschmack (Sorte: Pina Colada) oder die Erinnerung an den letzten Kinoabend (Popcorn). Ähnlich abenteuerlich verläuft die Geschmacksreise bei Eiweißriegeln wie dem "Quest Bar" für knapp 2,20 Euro. Neben 20 Gramm an Proteinen schmecken sie zum Beispiel nach Gebäck namens Banana Nut Muffin oder Pumpkin Pie.
Die Kreativität der Hersteller ist kein Zufall. Bei diesem Fitnessfood wächst die Nachfrage am schnellsten: "Ganz besonders positiv entwickelt sich die Kategorie Eiweiß, getrieben durch den Fitnesstrend sowie dem Wissen darüber, dass in der Ernährung allgemein Produkte mit hohem Eiweiß-Anteil bevorzugt werden sollten", erklärt Gordon Finlay. Allein 2015 stieg der Umsatz im stationären Handel laut Nielsen um zehn Millionen Euro auf 69,2 Millionen Euro – ein Plus von 17,4 Prozent.
Die Eiweiß-Belohnung nach dem Sport lassen sich die Deutschen etwas kosten: Riegel für zwei bis drei Euro und Großrationen an Molkenproteinpulver für 20 bis 25 Euro. Kein Schnäppchen für ein Nahrungsergänzungsmittel, das früher als Abfallprodukt galt.
"Inzwischen ist Molke aber ein Wertprodukt, das heiß begehrt ist", erklärt Lebensmitteltechnologe Jörg Hinrichs von der Universität Hohenheim. Bei bestimmten Wirkungen müsse das Produkt definierter zusammengesetzt sein. Die dafür notwendige Reinheit sei in der Produktion aufwendig und kostspielig. "Die Gewinnspannen sind nach wie vor gut, wenn auch nicht mehr so gut wie vor Jahren", sagt Hinrichs. Die Firmen hätten den Vorteil, dass sie die Wirkung der Ergänzungsmittel im Gegensatz zu Lebensmitteln nicht nachweisen müssten. Hinrichs vergleicht den Trend mit Produkten von Apple. Auch bei Fitnessnahrung würden die Hersteller neben dem Produkt auch Emotionen verkaufen, so dass die Konsumenten gerne etwas mehr ausgeben würden.
Droht die Eiweiß-Überversorgung?
Ein Ende dieses Trends ist für den Ernährungswissenschaftler Malte Rubach nicht absehbar: "Je mehr das zum Lifestyle wird, umso mehr Selfies gemacht werden und äußerliche Merkmale wichtiger werden, umso stärker wird auch der Absatz steigen." Für ihn sind die Produkte "keine Innovation im klassischen Sinne, sondern vor allem eine Vertriebsinnovation" mit neuen Designs und guten Slogans. Keiner habe da den neuen heiligen Gral gefunden. "Die Nachfrage wird getrieben durch den Wunsch nach mehr Attraktivität und Fitness."
Rubach hält den Einsatz von Eiweißprodukten im Breitensport außerdem für überflüssig. Durch eine normale Ernährung könne der Körper mit genügend Eiweiß versorgt werden. Eine Studie der Hochschule Niederrhein zeigt, dass normale Sportler bei einer typischen Kraftsportlerernährung den Eiweißbedarf, den die Deutsche Gesellschaft für ihre Ernährung empfiehlt, durch weitere Shakes und Riegel insgesamt um bis zu 286 Prozent übertreffen. Selbst Kraftsportler für die höhere Werte gelten, nehmen 62,6 Prozent zu viel Protein zu sich.
Die Folgen einer dauerhaften Proteinschwemme im Körper sind bislang allerdings kaum erforscht. Klar ist, dass das Eiweiß die Harnstoffausgabe übermäßig belastet, weil dadurch auch unnötiger Stickstoff im Organismus landet. Langfristig könne das die Nieren stark belasten.
Ein Ende des Eiweißbooms ist aber nicht abzusehen. Auf Instagram wimmelt es mittlerweile nicht nur von Selfies mit Shakes oder Eiweißriegeln, sondern auch von neuen Proteinkreationen. Ob Pfannkuchen, Kuchen, Muffins, Cookies oder Brot – statt Mehl backen und kochen Fitnessfans jetzt einfach mit Eiweißpulver. Das Ziel: weniger Kohlenhydrate und damit weniger Körpergewicht.
Dass die Produkte von "Hej" vom Meta-Trend der Selbstoptimierung profitieren, wissen auch die beiden Gründer. Sie raten zu einem bewussten Konsum: "Das ist ein Genussmittel, das man sich mal zwischendurch als Ergänzung gönnen kann und kein Ersatz in der Ernährung", sagt Jannik Stuhlmann, der "Hej" noch weiter entwickeln will – natürlich auch auf Instagram.
Quelle : welt.de
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