Die deutsche Industrie hat im Dezember überraschend den stärksten Auftragszuwachs seit rund dreieinhalb Jahren verbucht. Das Neugeschäft legte um 8,9 Prozent im Vergleich zum Vormonat zu, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Ökonomen hatten nur mit einer Stagnation gerechnet. Zurückzuführen ist das kräftigste Plus seit Juni 2020 auf ungewöhnlich viele Großaufträge in einer Reihe von Branchen. "Insbesondere wurden außergewöhnlich viele Flugzeuge bestellt", hieß es dazu.
"Airbus profitiert von der Misere bei Boeing", erklärte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der liechtensteinischen VP Bank. Ohne diese Effekte wären die Bestellungen um 2,2 Prozent gefallen. Im vierten Quartal 2023 lag der Auftragseingang um 0,1 Prozent höher als in den drei Monaten zuvor, während er im Gesamtjahr um 5,9 Prozent niedriger ausfiel als 2022.
"Verspäteter Silvesterböller" mit Wermutstropfen
"Eine Zahl wie ein verspäteter Silvesterböller", kommentierte LBBW-Ökonom Jens Oliver Niklasch die unerwartete Entwicklung. "Damit konnte man nicht rechnen." Allerdings ist nicht alles Gold, was glänzt. "Die Produktion wird dank Großaufträgen über Wasser gehalten", sagte der Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank, Alexander Krüger. "Dass ohne Großaufträge nicht viel los ist, unterstreicht die unterliegende Schwäche der Industrie."
Auch ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski rät dazu, die Daten "trotz der ersten Begeisterung mit einer großen Prise Salz" aufzunehmen. "Betrachtet man den längerfristigen Trend, so ist die Auftragslage in der deutschen Industrie in den letzten zwei Jahren weiterhin rückläufig", sagte Brzeski. "Es bedarf noch vieler weiterer positiver Daten, um eine deutliche Erholung der Wirtschaft zu signalisieren."
Die Bestellungen aus dem Inland stiegen im Dezember um 9,4 Prozent zum Vormonat. Die Auslandsnachfrage nahm um 8,5 Prozent zu. Ein Großteil der insgesamt positiven Entwicklung ist auf den Bereich des sonstigen Fahrzeugbaus - Flugzeuge, Schiffe, Züge et cetera - zurückzuführen: Hier waren die Auftragseingänge im Dezember mehr als doppelt so hoch (plus 110,9 Prozent) wie im Vormonat.
Autoindustrie und Maschinenbau schwächeln
Zusätzlich wirkten sich Großaufträge in den Bereichen Herstellung von Metallerzeugnissen (plus 18,0 Prozent) und bei den Produzenten von elektrischen Ausrüstungen (plus 38,7 Prozent) positiv aus. In den gewichtigen Bereichen Automobilindustrie (minus 14,7 Prozent), Maschinenbau (minus 5,3 Prozent) und chemische Industrie (minus 3,7 Prozent) ging das Neugeschäft dagegen zurück.
Der Auftragsmangel in diesen wichtigen Bereichen der Industrie droht dem IFO-Institut zufolge immer mehr zu einer Belastung für die deutsche Konjunktur zu werden. Im Januar berichteten 36,9 Prozent der Industriefirmen von fehlenden Aufträgen, wie die Münchner Forscher zu ihrer monatlichen Umfrage mitteilten. Zum Vergleich: Ein Jahr zuvor lag der Anteil nur bei 20,9 Prozent. "Der Auftragsmangel hat sich im letzten Jahr merklich verschärft. Kaum eine Branche bleibt davon verschont", sagte der Leiter der IFO-Umfragen, Klaus Wohlrabe. "Zudem schmelzen die Auftragsbestände."
Quelle: ntv.de, chl/rts/DJ
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