Vielleicht weiß jemand wie Felix C., der in dieser Geschichte keinen vollen Namen tragen soll, die Antwort. Wenn er dort im Modergeruch seine Augen schließt, steigen sie in ihm auf: bruchstückhafte Bilder rauschender Feste, wie sie hier einst stattgefunden haben müssen. Elegant gekleidete Frauen mit Pagenkopf und Perlenkette, die Absinth trinkenden Männern zuzwinkern. Der Kronleuchter funkelt, auf der Bühne spielt das Orchester. Öffnet ein Besucher wie Felix C. dann im Jahr 2015 wieder die Augen, sieht er vergilbte Tapeten, zerfetzt und von der Wand hängend, das Holzgerippe, wo einst die Bühne war und ein Graffito, wo einmal das Orchester saß. "Es ist schade, dass ein Gebäude, das einmal die Massen angezogen hat, völlig verlassen ist", sagt Felix C.
Geschichtliches Interesse und Hoffnung
Der Student ist Urban Explorer, so werden Menschen genannt, die auf eigene Faust leer stehende Gebäude in Städten erkunden. Geschichtliches Interesse und die Hoffnung, längst verloren geglaubte Motive mit der Kamera einzufangen, haben den 27-jährigen Hobbyfotografen in das ehemalige Ausflugslokal klettern lassen, das die Berliner Oberschicht seit dem ausklingenden 19. Jahrhundert in Scharen angezogen hat und das nun seit 24 Jahren vor sich hin verfällt.
Natürlich ist Urban Exploration nicht auf Berlin beschränkt. Es tritt weltweit überall dort auf, wo es "Lost Places" gibt, vergessene Orte also. Das können geschlossene Krankenhäuser sein, stillgelegte Bahnanlagen oder Botschaftsgebäude, die bei Kriegsausbruch in aller Hektik verlassen wurden. Zu den wohl bekanntesten Zielen der "Urbexer"-Szene gehört Buzludzha, ein Ufo-ähnliches sozialistisches Monument mitten in der Einöde des bulgarischen Balkangebirges. Wie viele Menschen das Hobby weltweit betreiben, weiß niemand.
Passiert sei ihm zum Glück noch nie etwas, sagt Felix C. Und auch geschnappt wurde der Student bei seinen Streifzügen bisher nicht. Denn legal ist das, was er da tut, natürlich nicht. Ganz gleich, aus welchem Grund Urban Explorer ein leer stehendes Gebäude betreten - nach deutschem Gesetz begehen sie Hausfriedensbruch. Zumindest theoretisch müssen sie mit einer Geld- oder gar Freiheitsstrafe rechnen.
Allerdings müssen sich Urban Explorer keine allzu großen Sorgen machen: Die Polizei ermittelt nur, wenn der Eigentümer Anzeige erstattet. Also in der Regel nicht. "Welches Interesse sollten die Eigentümer denn haben herauszufinden, ob sich jemand illegal dort aufhält?", fragt ein Berliner Polizeisprecher. Legale Ausflüge in die Vergangenheit kann man beispielsweise in die unterirdischen Anlagen von Berlin machen, in ehemalige Luftschutzbunker, nie vollendete U-Bahnhöfe und die Kanalisation.
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