Chaosstunden im demokratischen Südkorea: Der in einem Umfragetief steckende Präsident Yoon Suk Yeol hat das von ihm überraschend verhängte Kriegsrecht binnen Stunden wieder aufgehoben. Zuvor hatten sämtliche 190 anwesenden Abgeordneten in der Nationalversammlung den Präsidenten in einer Abstimmung dazu aufgerufen, den Ausnahmezustand wieder zurückzunehmen. Die größte Oppositionspartei forderte Yoon zum sofortigen Rücktritt auf. Anderenfalls werde man ein Amtsenthebungsverfahren einleiten.
In einer Fernsehansprache hatte Yoon der Nation zunächst erklärt, dass das Kriegsrecht notwendig sei, um das Land vor dem atomar bewaffneten Nordkorea und staatsfeindlichen Kräften aus dem Norden zu schützen und die freiheitliche verfassungsmäßige Ordnung zu bewahren, obwohl er keine konkreten Bedrohungen nannte.
Die Ausrufung des Kriegsrechts sei ein "klarer Verstoß gegen die Verfassung", erklärte die Demokratische Partei. Der Präsident habe sich nicht an die Voraussetzungen für die Ausrufung gehalten. "Es war ein schwerwiegender Akt der Rebellion", hieß es in der Erklärung weiter. Für ein Amtsenthebungsverfahren des wäre die Unterstützung von zwei Dritteln des Parlaments erforderlich. Die Demokratische Partei und andere kleine Oppositionsparteien halten zusammen 192 der 300 Sitze. Yoon reagierte zunächst nicht auf die Forderung der Opposition.
Nach Informationen der südkoreanischen Nachrichtenagentur Yonhap haben aber ranghohe Berater geschlossen ihren Rücktritt angekündigt. Zu ihnen sollen unter anderem der Stabschef des Präsidenten sowie der Nationale Sicherheitsberater gehören. Insgesamt wollen demnach zehn ranghohe Berater Yoons zurücktreten.
Die USA als wichtigster Verbündeter und Schutzmacht Südkoreas zeigten sich über die kurzzeitige Verhängung des Kriegsrechts durch Yoon zutiefst besorgt, ebenso wie Deutschland. Auch das benachbarte Japan reagierte überrascht. US-Außenminister Antony Blinken begrüßte die Kehrtwende Yoons und mahnte, politische Differenzen müssten "friedlich und im Einklang mit den Prinzipien des Rechtsstaats" ausgeräumt werden.
Kritik aus den eigenen Reihen
In Seoul waren in der Nacht Tausende Demonstranten vor das vom Militär abgesperrte Parlament gezogen, um lautstark gegen Yoons Vorgehen zu protestieren. Kritik kam auch aus seiner eigenen Regierung: "Die Republik Korea ist eine liberale demokratische Nation, und wir stehen an der Seite des Volkes, um die liberale Demokratie zu verteidigen, und werden uns dieser Erklärung des Kriegsrechts entschieden widersetzen", erklärte der Chef der Regierungspartei, Han Dong Hoon.
Es war das erste Mal seit Südkoreas Übergang zur Demokratie Ende der 1980er Jahre, dass der Präsident des Landes das Kriegsrecht verhängte. Nach Erlangung seiner Unabhängigkeit von Japan im Jahr 1945 bis in die späten 1980er Jahre war Südkorea überwiegend von Militärdiktaturen regiert worden. Im Frühjahr 1980 verhängte der damalige Militärdiktator Chun Doo Hwan das bislang letzte Mal in Südkorea das Kriegsrecht.
Südkorea befindet sich seit dem Ende des Korea-Krieges 1953 formell weiter im Kriegszustand mit dem nördlichen Nachbarn, da der Krieg mit einem Waffenstillstand und nicht mit einem Friedensvertrag endete. Für die politische Rechte, der Yoon angehört, ist es ein gängiger Vorwurf, das linke Lager als kommunistisch und "pro-nordkoreanisch" zu diffamieren. Infolge des Schritts waren kurzzeitig sämtliche politischen Aktivitäten verboten. Auch die Tätigkeit von Medien und Verlagen schränkte Yoon dadurch faktisch ein.
Quelle: ntv.de, ino/AP/dpa
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