Glas S 1204 Coupé im Fahrbericht - unscheinbar, aber cool

  19 Januar 2025    Gelesen: 77
  Glas S 1204 Coupé im Fahrbericht - unscheinbar, aber cool

Der Glas "04" ist heute quasi nicht mehr vertreten auf unseren Straßen. Das macht ihn zumindest aus der Sicht der Individualisten spannend. Ansonsten handelt es sich um einen recht einfach gestrickten Klassiker für Leute mit Lust auf Bodenständigkeit.

Wer an klassische Autos denkt, hat oft teure Raritäten im Kopf. Irgendwelche Ferrari oder Porsche zu unbezahlbaren Kursen. Dann gibt es noch die Fraktion der Alltagsklassiker. Man kann jede Menge an bodenständigen Fahrzeugen kaufen für übersichtliches Geld. Man denke an die ganzen erschwinglichen Mercedes der (gehobenen) Mittelklasse oder auch an den Volkswagen Käfer. Ebenso inzwischen der Golf. Solche Modelle führen die Statistik der Zulassungen mit H-Kennzeichen an.

Aber was, wenn es bodenständig und gleichzeitig rar sein soll? Wenn man einfach keine Autos mag, die in der Saison quasi an jeder Straßenecke stehen? Auch davon gibt es etliche Modelle - jedes für sich genommen ziemlich selten. Der Glas 04 beispielsweise ist so ein Typ. Dazu muss man wissen, dass er schon zu Bauzeiten eher unbeliebt war - es entstanden nicht mehr als 40.000 Exemplare. Ein Witz im Vergleich zu den Wettbewerbern, die 100.000-fach produziert wurden.

Um diesen Glas heute zu testen, führt der Weg fast unweigerlich in den Einbecker PS.Speicher. Denn entweder man findet einen Fan der Baureihe (was schwierig genug ist), oder man geht einfach zu Karl-Heinz Rehkopf und wirft einen Blick in seine Sammlung, die jede Menge diverser einfacher Klassiker enthält neben einigen Preziosen.

Moderner Vierzylinder mit Zahnriemen

Jetzt muss das Wunschmodell bloß noch intakt sein. Denn beim ersten Produktionsbesuch von ntv.de stand der Kompakte nicht zur Verfügung wegen technischer Probleme. Vielleicht war es der Zahnriemen, denn der zählte zumindest damals zu den Schwachpunkten des in den Sechzigerjahren modernen Triebwerks mit obenliegender Nockenwelle.

Konstruiert hat ihn BMW-Entwickler Leonhard Ischinger. Welche Ironie, dass Glas im Jahr 1966 ohnehin von BMW übernommen wurde. Aber die Werkstatt des Speichers ist immer fleißig mit ihrem Team und hat den Glas - hier als S 1204 - rasch wieder fit gemacht.

Da steht der kompakte Zweitürer nun also für eine ausgiebige Fahrt bereit. Und das Adjektiv "kompakt" ist hier wirklich Programm, denn mit 3,84 Metern Länge fällt der Dingolfinger (in Dingolfing produziert heute übrigens BMW) im Vergleich zum damaligen Wettbewerb besonders klein aus. Denn auch damals schon waren über vier Meter absolut üblich. Noch verrückter ist der kurze Radstand von gerade mal 2,10 Metern - das klingt schwer nach konstruktiver Verwandtschaft zum deutlich kleineren Isar.

Für einen Kompaktwagen knapp bemessen

Aus heutiger Sicht fällt das mit dem innerhalb der Klasse knapper bemessenen Platzangebot kaum auf, jedenfalls nicht, wenn man von einem modernen Fahrzeug umsteigt. Da stehen nämlich eher andere Kriterien im Vordergrund. Beispielsweise die frappierende Übersichtlichkeit oder die Einfachheit der Armaturentafel. Außerdem lässt es sich vorn ganz gut sitzen, ausgemachte Enge ist in der zweiten Reihe das größere Thema.

Aber jetzt wird gefahren. Mit 54 PS hat man es mit einer Leistung zu tun, die heute in diesem Segment belächelt würde. Aber die Autos waren früher ja auch viel leichter. So kommt es, dass das Gläschen (rund 800 Kilogramm) gar nicht so phlegmatisch wirkt, wie man denken könnte. Sofern du das quadratisch ausgelegte (Bohrung im Verhältnis zum Hub) 1,2-Liter-Solexvergasermotörchen mit 89 Newtonmetern fleißig drehst.

Und der Drehzahlmesser in dieser Klasse ist schon außergewöhnlich, allerdings hatte Glas auch sportliche Ambitionen und war teurer als der Wettbewerb. Zahlenmäßig täuschst du dich jedoch. In Wirklichkeit ist der Hecktriebler freilich langsam, er braucht laut Werk 18 Sekunden auf 100 km/h und läuft 141 Sachen in der Spitze. Aber du hast mit einem Oldie unterm Popo erstens ein ganz anderes Mindset. Und zweitens ist das Fahren viel weniger gefiltert als beim modernen Vehikel. Geräusche aller Art sind immer präsent, was das Tempo gefühlt verstärkt.

Besser nicht am Limit fahren

Wenn man alte Fahrberichte liest, wirkt es so, als seien die Autofahrer (vor allem Testredakteure) früher immer am Limit gefahren. Kein Autor der alten Garde verzichtet darauf, selbst beim einfachsten fahrbaren Untersatz über das Thema Lastwechsel zu sprechen. So soll der Glas besonders tückisch in Kurven sein, je nach Situation über- und dann wieder untersteuern. Also massiv in der Kehre entweder über die Hinter- oder Vorderräder schieben und nur mit gekonntem Gegenlenken wieder einzufangen sein. Aber ganz ehrlich? Ich habe den Glas sowieso behandelt wie ein rohes Ei und bin eher einen Zacken zu langsam als zu schnell durch die Kurve gefahren. Denn wie leistungsfähig soll ein Fahrwerk mit starrer Hinterachse in diesem Segment zu dieser Zeit schon sein?

Berührungsangst musst du aber keine haben, selbst als ungeübter Fahrer. Das Getriebe ist gutmütig, alle vier Gänge rasten verhältnismäßig leichtgängig ein. Und an sich fährt der Glas auch ganz fein im Rahmen seiner Möglichkeiten. Außerdem holst du das Auto ohnehin nur bei Trockenheit auf die Straße, da sind die Grip-Bedingungen zumindest besser. Denn immer mit Vorsicht zu genießen beim alten Auto: die Bremsen. Und das generelle Fahrverhalten wird bei Nässe schließlich nicht besser.

Der rare Glas ist eine coole Kiste

Eigentlich ist der Glas 04 eine coole Kiste mit seiner Mischung aus Bodenständigkeit und Seltenheit. Eine volkstümliche Rarität aus Niederbayern sozusagen. Designmäßig sticht er übrigens nicht wirklich aus dem Bild der damals üblichen Verdächtigen hervor, zumindest vordergründig betrachtet. Schaut man sich das Blechkleid genauer an, entdeckt man eine stylishe Kantigkeit. Generell wirkt der Süddeutsche indes unscheinbar, Betrachter mit gesundem Halbwissen könnten ihn bei flüchtigem Hinsehen mit einem damals viel häufigeren Ford 12 M verwechseln. Stylisher ist natürlich das hier besprochene Coupé, exklusiver das Cabrio (allerdings auch teurer).

Wer einen Glas 04 sucht, muss etwas Geduld mitbringen. Manchmal ploppt einer auf in den einschlägigen Internetbörsen (an der Grenze zur Fünfstelligkeit), manchmal aber eben auch monatelang nicht. Und dann kann man Pech haben und lediglich ein Restaurationsobjekt vorfinden. Aber in solchen Fällen hilft die Clubszene weiter. Die gibt es nämlich und sie ist rege. Schon allein wegen des wohl berühmtesten Glas: das kleine Goggomobil. Auch dieses hat ntv.de gefahren. Wie sagt man so schön - stay tuned.

Quelle: ntv.de


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