Gehirnstimulation: Schlau im Schlaf

  21 Mai 2016    Gelesen: 869
Gehirnstimulation: Schlau im Schlaf
Lernen im Schlaf - klingt traumhaft. Tatsächlich scheint es möglich, die Gedächtnisbildung nachts gezielt zu fördern.
Das Vokabelheft unter dem Kopfkissen nützt wenig für den Test am nächsten Morgen - außer man paukt kurz vor dem Einschlafen noch einmal die neuen Wörter. Dann sind sie das Letzte, woran man abends denkt und werden besser im Langzeitgedächtnis abgespeichert.

Studien zeigen, wie wichtig Schlaf für die Bildung des Gedächtnisses ist. Damit wir uns an neu erworbene Informationen langfristig erinnern, müssen sie wiederholt, sortiert, stabilisiert und in bereits bestehende Wissensnetzwerke eingebunden werden. Während wir beim Lernen und Erinnern wach und aufmerksam sein müssen, ist für die Verfestigung der Lerninhalte der Tiefschlaf von besonderer Bedeutung.

Es liegt also nahe zu versuchen, die Leistungsfähigkeit durch Eingriffe in den Schlaf zu steigern. Das einfachste wäre, den Schlaf selbst zu verbessern. Doch der Einsatz von Schlafmitteln zeigte in Studien nicht den erhofften Erfolg. Herkömmliche Substanzen hätten den Tiefschlaf nicht wirklich intensiviert, sodass eine Verbesserung der Gedächtnisbildung ausgeblieben sei, erklärt Jan Born, Leiter des Instituts für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen.

Manipulation im Schlaf

Mehr Einfluss auf die Gedächtniskonsolidierung, also die Verfestigung von Erinnerungen oder Lerninhalten im Langzeitgedächtnis, hatten die Forscher mit anderen Formen der Manipulation. "Man vermutet, dass die natürliche Gedächtnisbildung im Schlaf auf der sogenannten Reaktivierung beruht", erklärt Susanne Diekelmann, die mit Born zusammen forscht. Am Tag Gelerntes werde im Schlaf vom Gehirn in Form neuronaler Aktivitäten wiederholt und so langfristig gespeichert. Dieser Prozess lässt sich von außen gezielt fördern, wie mehrere Experimente zeigten.

Testpersonen, die beim Memoryspielen Rosenduft einatmeten und diesem Geruch auch während des Tiefschlafes ausgesetzt waren, erinnerten sich etwa am nächsten Tag deutlich besser an die Lage der Bildpaare als nach einer Vergleichsnacht ohne Rosenduft. "Und das lag nicht daran, dass diese Personen einfach besser geschlafen haben", so Diekelmann. Vielmehr führte der Duft dazu, dass das Gelernte im Gehirn reaktiviert werde. Den gleichen Effekt haben Töne und Wörter, die erst mit bestimmten Lerninhalten verbunden und dann im Tiefschlaf erneut abgespielt werden.

Wer sich beim Vokabelnlernen in Vanilleduft hüllt und diesen Geruch auch nachts einatmet, schneidet beim Test am nächsten Tag wahrscheinlich besser ab, glaubt Diekelmann. Und ein Klavierspieler könnte davon profitieren, wenn er das Geübte im Tiefschlaf noch einmal hört. Unklar ist, ob sich diese Reize beliebig oft einsetzen lassen. "Man weiß nicht, ob der Vanilleduft jedes Mal funktioniert oder ob sich der Effekt abnutzt", sagt die Forscherin.

Stimulierte Schwingungen im Hirn

Eine andere Möglichkeit der Manipulation ist, bestimmte Schlafparameter zu beeinflussen. Der Tiefschlaf ist durch langsame Hirnschwingungen gekennzeichnet, die sich mit einem EEG messen lassen. Bei der Gedächtnisbildung spielen vor allem hohe, langsame Wellen, die sogenannten Slow Oscillations, eine zentrale Rolle. Sie lassen sich über Töne, die im selben Rhythmus abgespielt werden, oder über elektrische Reize durch auf die Stirn geklebte Elektroden von außen stimulieren.

Studien zeigen, dass sich dadurch die Erinnerungsleistung verbessert. "Ich halte es für aussichtsreich, auf diese Weise Gehirnaktivität zu beeinflussen", sagt Christoph Nissen, Ärztlicher Leiter des Schlaflabors der Universitätsklinik Freiburg.

Er sieht das Potenzial schlafbezogener Interventionen vor allem in der Behandlung von Krankheiten, etwa bei der Rehabilitation nach einem Schlaganfall. Müssten die Betroffenen zum Beispiel das Sprechen neu lernen, könnten Manipulationen im Schlaf - Töne, Gerüche, Stromstimulation - die Neuverknüpfungen stärken, glaubt Nissen, der die Forschungsgruppe "Schlaf und Plastizität" leitet. Noch werden diese Techniken aber nur im Rahmen von Experimenten an Patienten erprobt. Doch das wird sich ändern.

Schon jetzt gibt es freiverkäufliche Geräte, die mittels Elektroden Hirnaktivitäten stimulieren sollen. Nissen sieht das skeptisch. Zu viele Parameter seien noch unbekannt. Aber über kurz oder lang werden diese Methoden massentauglich, und das wirft Fragen auf. Führt Neuro-Enhancement zu mehr Produktivität, Erfolg und Glück? Oder setzen die Möglichkeiten zur Leistungssteigerung den einzelnen unter Druck, sich immer weiter zu optimieren? Und darf man einen Menschen im Schlaf, diesem Zustand großer Verwundbarkeit, derartig manipulieren?

Es sind Fragen, die schon jetzt diskutiert werden müssen, findet Diekelmann.

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