Für immer reich - einmal Medici, immer Medici
Ein ziemlich einzigartiges Dokument aus dieser Epoche, ein Schatz für Historiker – und für Ökonomen. Zwei Forscher der italienischen Notenbank haben sich nun darüber gebeugt und mit den Daten des Florentiner Fiskus im Jahr des Herrn 2011 verglichen. Ihre Frage: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Lage der Familien von damals und der ihrer Nachfahren von heute? Eine verwegene Vermutung, die den Stand der Wissenschaft herausfordert. Wenn nämlich Volkswirte die soziale Mobilität untersuchen, vergleichen sie meist nur Kinder mit Eltern, allenfalls noch mit Großeltern. Nach drei Generationen, so die allgemeine Überzeugung, sind die Karten des wirtschaftlichen Erfolgs neu gemischt. Mathematisch gesprochen: Die Elastizitäten gehen nach einer geometrischen Reihe zurück. Und das heißt: ziemlich rasant. Freilich ist das empirisch nicht erprobt, weil es kaum verlässliche ältere Daten gibt. Wie auch immer: Über 20 Generationen, hätten bis vor Kurzem fast alle unterschrieben, lässt sich kein Zusammenhang mehr nachweisen.
Aber von wegen! Ihr Resultat hat Guglielmo Barone und Sauro Mocetti selbst überrascht: Die Familiennamen der aktuellen Top-fünf-Verdiener fanden sie auch auf der 600 Jahre alten Liste weit oben. Drei gehörten zu den obersten zehn Prozent der Einkommensbezieher, alle fünf lagen bei Einkommen und Vermögen über dem Mittelwert (als Median). Spiegelbildlich gilt das auch für die Vorfahren der heute am wenigsten Verdienenden – aber nur beim Vermögen; beim Einkommen ist das Ergebnis durchwachsen.
Nomen est omen. Über den ganzen Datensatz ergibt sich: Der Zusammenhang ist positiv und signifikant. Die Einkommenselastizität liegt bei 0,04. Griffiger gesagt, mit einem Beispiel: Unterteilt man die Haushalte von 1427 nach ihrem Einkommen in 100 gleich große Gruppen, dann gehörten die Bernardis zum 90. Perzentil. Sie waren also ziemlich wohlhabend. Die Grassos waren im zehnten Perzentil, also ziemlich arm. Ein Bernardi von heute kann mit einem Einkommen rechnen, das um fünf Prozent höher ist als das eines heutigen Grasso. Beim Vermögen ist der kalkulierte Unterschied zehn Prozent (die Namen sind, wie in der ganzen Studie, aus Gründen des Datenschutzes geändert). Zudem fanden die Forscher eine Art „gläsernen Fußboden“: Wer aus einer Familie kommt, die einmal viel besaß, ist recht gut davor geschützt, tief zu fallen. Das Fazit lautet also, zugespitzt: Sag mir, wie du heißt, und ich sage dir, wie viel du hast.
Dass die Autoren – für 900 Nachnamen und 52.000 heutige Steuerzahler – überhaupt familiäre Verbindungen zu früher annehmen konnten, liegt an einer ethnischen Besonderheit: Es gibt in Italien sehr viel mehr Familiennamen als bei den meisten anderen Völkern der Welt. Zudem finden sich auch in den einzelnen Städten sehr charakteristische Namen – anders als bei uns, wo Leute im ganzen Land Huber oder Meier heißen und damit Zugezogene die Vergleiche verfälschen. Das bedeutet: Es stammen zwar nicht alle Florentiner Grassos notwendigerweise von den Grassos von 1427 ab, aber doch mit großer Wahrscheinlichkeit die meisten.
Aber ist Florenz typisch genug für das Thema soziale Mobilität? Die Autoren meinen: Ja. Aus einer anderen Studie, die mit dem Zensus arbeitet, weiß man: Die Einkommen waren unter den Florentinern von 1427 ähnlich hoch und ähnlich verteilt wie in England und Holland zu dieser Zeit. Heute ist das Pro-Kopf-Einkommen in der Toskana leicht über dem EU-Schnitt. Zumindest für Europa sollte die Untersuchung also recht repräsentativ sein.
Wie aber lässt sich das verblüffende Ergebnis erklären? Barone und Mocetti machen einen Vorschlag: Man weiß, dass die Pro-Kopf-Einkommen in Florenz bis etwa 1900 konstant blieben. Sehr plausibel ist, dass sich bis dahin auch an den sozioökonomischen Strukturen nichts änderte: Reiche Familien blieben reich, arme Familien arm. Dafür sorgten schon die Gilden und Zünfte, die den Zugang zu privilegierten Berufen rigoros versperrten.
Doch dann setzte sich (in Italien verspätet) die industrielle Revolution durch – und damit der Kapitalismus. Er sorgte für einen freien Arbeitsmarkt, auf dem jeder seinen Fähigkeiten gemäß ein Einkommen erzielt. Die allgemeine Schulpflicht tat ihr Übriges: Die soziale Mobilität stieg rasant an. Dennoch sind 100 Jahre im Vergleich zu den 500 Jahren Stillstand davor nicht viel, weshalb sich immer noch Abhängigkeiten nachweisen lassen. Die historische Studie widerlegt also nicht die üblichen Ein-Generationen-Vergleiche mit aktuellen Daten, sie ergänzt sie eher. Und sie überrascht nicht nur mit neuen Erkenntnissen, sondern auch mit einer impliziten Pointe: dass sich der Kapitalismus als Segen für die soziale Gerechtigkeit erwiesen hat.
Quelle: diepresse.com