Fußball-EM 2016: Ein merkwürdiges Turnier

  12 Juli 2016    Gelesen: 580
Fußball-EM 2016: Ein merkwürdiges Turnier
Die EM ist vorbei. SPIEGEL-ONLINE-Reporter schildern im Rückblick ihre persönlichen Eindrücke.
"Krawalle am Hafen, kannst du dir das ansehen?"

Für mich begann die EM in Marseille, vier Spiele sollte ich dort sehen, dazu drei in Toulouse und zwei in Nizza. Viele Stadien würde ich sehen, mich an vielen Bahnhöfen aufhalten, viel mit der Metro fahren. Eine intensive Tour stand bevor.

Vorfreude war dennoch da, vor allem auf Marseille. Ich war gerade gelandet, tippte auf meinem Telefon auf das Flugzeugsymbol und sah, wie sich das französische Netz aufbaute. Schon leuchtete die erste Nachricht aus der Redaktion auf: "Krawalle am Hafen, kannst du dir das mal ansehen?"

Und so begann die EM für mich nicht mit dem Besuch einer Pressekonferenz, dem Beobachten eines Trainings oder einem Spiel. Sondern damit, herauszufinden, wer jetzt eigentlich gerade wen durch die Altstadtgassen von Marseille jagte, Bierflaschen schmiss und mit Restaurantmobiliar um sich schlug.

Gewarnt worden war schon lange vor der Gefahr durch Hooligans bei dieser EM, in der Angst vor Terroranschlägen war die Furcht davor aber verblasst. Auch die Polizei schien zu Beginn nicht gerüstet für das, was sich rund um den Alten Hafen Marseilles abspielte, für die Massen an betrunkenen Engländern, die beängstigend kaltblütig und trainiert auftretenden Russen und die Marseiller Jugendlichen, die sich anscheinend nicht die Gewalthoheit in ihrer Stadt nehmen lassen wollten und mit drauflosprügelten.

Diese drei Tage in Marseille bescherten der EM furchtbare Bilder. Man kann nur mutmaßen, ob das Turnier in der Wahrnehmung der Fans in Frankreich und vor den Fernsehern ohne diesen furchtbaren Start schöner gewesen wäre. Ich glaube eher, die Zeit unbeschwerter Großereignisse ist einfach vorbei.

14 Spiele habe ich bei der EM im Stadion erlebt, und es waren einige Spiele darunter, die sich nicht so richtig nach EM anfühlten. Nordirland gegen die Ukraine zum Beispiel. Rumänien gegen Albanien. Oder auch Polen gegen die Schweiz. Sie standen symbolisch für das überschaubare Niveau des Turniers, für die allgemein beklagte Aufblähung des Teilnehmerfeldes und für vier Wochen voller Fußball, in denen sich der emotionale Rausch nicht einstellte.

Die EM hat nicht richtig gezündet, weil es zu viele dieser Spiele gab. Zu viele der Spiele, die man sich als normaler Zuschauer, als Fan, nur anguckt, weil sie eben zum Turnier gehören und weil ja irgendwie die Zeit bis zum nächsten Auftritt von Spaniern, Franzosen, Italienern oder dem DFB-Team überbrückt werden muss. Dass es in der Gruppenphase kaum Partien gab, bei denen es um alles oder nichts ging, weil ja auch der dritte Platz noch zum Weiterkommen reichte, verstärkte den trüben Eindruck.

Ich fand es interessant und abwechslungsreich, ein paar Mannschaften zu sehen, die man sonst nicht sieht. Zu denen einem sonst der Zugang fehlt. Alleine das hat die EM für mich persönlich zu einem Gewinn gemacht. Doch vom spielerischen Niveau und dem Flair, das viele Spiele des Turniers umwehte, fühlte man sich teilweise ins Hamburger Volksparkstadion versetzt, zu den Bundesliga-Partien des HSV.

Quelle : spiegel.de

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