Meine Reisen in Aserbaidschan von Peter Gruber

  13 Juli 2016    Gelesen: 3059
Meine Reisen in Aserbaidschan von Peter Gruber
Alle guten Dinge sind drei

Baku – Nachitschewan – Xinaliq

Jahrgang 1955.
Aufgewachsen auf dem Bergbauernhof der Eltern
(Kunagrünberg bei Pruggern im Ennstal). Verbrachte dort die ersten
Lebensjahrzehnte (bis 1989). Lebte danach (1990-2004) in Aich im
Ennstal. Seit 2005 in Wien wohnhaft.

1970-1996: Ausbildung zum Bürokaufmann und Marketing-Assistent,
Marketing-/Werbetätigkeiten bei Großunternehmen im Ennstal/Stmk,
in den Branchen: Lebensmittelindustrie, Winter-/Sommer-Tourismus.
Seit 1996 ist Peter Gruber selbständig erwerbstätig.
Zahlreiche schriftstellerische Arbeiten (seit 1981):
Natur-Feuilletons, Lyrik, Sagen, Märchen, Essays, Beiträge für Fotobände,
Anthologien, Symposien, Vorträge, Literaturzeitschriften, Schreibwerkstätten

Bücher 1998-2008:
Roman „Notgasse“ (1998)
Roman „Schattenkreuz“ (2001)
Roman „Tod Am Stein“ (2006)
Porträt eines Almlebens „Sommerschnee“ (2008)


Land der Feuer. Wie im Märchen fühlte ich mich. Drei Reisen waren es bislang. Einige Höhepunkte dieser drei Reisen möchte ich festhalten. Trotz aller Wirklichkeit überwog tatsächlich das Märchenhafte. Das mag am grundsätzlichen Reiz des Reisens liegen, in einem fremden Land, auf unbekanntem Terrain. Es ist das hautnah Erlebte, was in meinen Erinnerungen abrufbar ist, als sei alles erst gestern gewesen. Begegnungen und Augenblicke, die ich nicht missen möchte. Drei Reisen, die mich vom Alpenostrand an den Kaukasusostrand führten, an den Kreuzungspunkt zwischen Orient und Okzident, Ost und West, Asien und Europa, Märchen aus 1001 Nacht und Realität des 21. Jahrhunderts. Ein kontrastreiches Land. Verhältnismäßig klein.

Es bietet bemerkenswerte neun der insgesamt elf weltweit vorherrschenden Klimazonen. Würde ich, so wie in den großen Märchen der Welt, drei Wünsche frei haben, wäre mein erstgenannter, wieder hierher kommen zu dürfen. Dorthin, wo mich ein liebenswerter junger Aserbaidschaner darin bekräftigte, dass es zugleich möglich ist, seine Heimat zu lieben und weltoffen zu sein. Diese „Stimme Aserbaidschans“ möge mit dem Wind von Baku aus übers ganze Land wehen und über alle Grenzen hinweg getragen werden.



Meine erste Reise führte mich nach Baku (dank der Österreichischen Botschaft und der ÖsterreichBibliothek).Die schmucke 2-Millionen-Hauptstadt ist Ziel und Ausgangspunkt für jede AserbaidschanReise. Baku ist längst kein unbeschriebenes Blatt mehr. Ganz im Gegenteil. Der Franzose Alexandre Dumas schrieb 1858: „Die Stadt Baku – der Name bedeutet: Nische der Winde – würde vergebens in die Reihe der europäischen Städte einzuordnen sein. Sie ist asiatisch, vor allem persisch wegen ihrer Lage, ihrer Bauart, ihrer Produkte und der Tiere, die in den Wäldern hausen.“ Seit Dumas ist hier kein Stein auf dem anderen geblieben. Baku weist heute ein sehr europäisches Gesicht auf, nur die Winde dürften gleich geblieben sein. Dank reichlicher Öl- und Gasvorkommen hat sich die Hauptstadt einen Namen in der Welt gemacht. Der Bekanntheit förderlich waren auch der Eurovisions-Songcontest(2012), die Europaspiele (2015) und das erste Formel-I-Rennen auf dem Baku-City-Circuit (2016).
Die drei „Flame Towers“ sind allgegenwärtig, schimmern tagsüber dominierend, faszinieren mit Lichtspielen nachts. Zig moderne Wahrzeiten prägen die Metropole am Kaspischen Meer. Allem voran das Heydar-Aliyev-Kulturzentrum, eine Kreation der Star-Architektin Zaha Hadid. Blitzblank zeigt sich die Altstadt mit dem legendenumwobenen Jungfrauturm. Beachtenswert ist das „Museum of Modern Art“ ob der umfangreichen Sammlung aserbaidschanischer Kunst. Einzigartig ist der Boulevard, ein beliebter Treffpunkt in der Metropole, vor allem abends, für tausende Einheimische, die Jugendlichen vor allem. Hier herrscht eine besonders charmante Art des Pulsierens. Unaufgeregt. Freundlich.

Mit keinem europäischen Großstadtgetöse vergleichbar, nicht zu grell, nicht zu laut.Baku beherbergt eine der weltweit größten Mauersegler-Populationen. Die unentwegt in den Lüften befindlichen Dauerflieger scheinen mir Symbol für die Träume der Baku-Bewohner zu sein.Baku ist auch die Stadt, in der eine bezaubernde Geschichte spielte, die Liebesgeschichte von „Ali und Nino“ aus der Feder von Kurban Said (Pseudonym). Die Geschichte des temperamentvollen Muslimen Ali und der schönen Christin Nino. Dass ich dieses Buch in jenem Baku-Haus überreicht bekam, in dem der Autor selbst lebte, hat für mich eine weitere sinnbildliche Bedeutung (ich durfte
Gast in der hierorts residierenden Norwegischen Botschaft sein). Gerne wollte ich auf den Spuren von Ali und Nino wandeln, was aber nur fiktiv möglich sein würde. Deshalb konzentrierte ich mich lieber auf die Begegnungen mit den Jugendlichen, die in der Sprachenuniversität Deutsch studieren. Ich hatte die Ehre, dort einen Workshop zu gestalten. Was mich besonders beflügelt hat, denn so durfte ich aufgeschlossene, wissensbegierige, neugierige Menschen kennenlernen, allem voran den bereits eingangs erwähnten jungen Aserbaidschaner, der mit mir so wundervoll Weises teilte. Dreimal Baku reicht nicht aus, um alles gesehen zu haben. Es würde noch vieles geben, was mich
auch interessieren würde, beispielsweise in der näheren Umgebung der Stadt: die Jahrtausende alten Höhlenmalereien von Qobustan, ebenso den Nationalpark auf der kaspischen Halbinsel Abseron.



Meine zweite Reise führte mich nach Nachitschewan. Anlass der Reise war die Einladung zum „Baku International Humanitarian Forum“, bei dem ich über „Nationale Identitäten in der postmodernen Ära“ referieren durfte. Meinen Beitrag widmete ich den meines Erachtens größten Nomadengruppen der Menschheitsgeschichte: Hirten, Dichter und Fußballspieler im Spannungsfeld von nationalen Gefühlen. Ein Thema, das mir viel Echo bescherte. Im Anschluss an das offizielle Forum-Programm schloss ich mich dem Reisetross in die autonome aserbaidschanische Republik Nachitschewan an.

Nachitschewan liegt eingebettet zwischen den Ländern Türkei, Armenien und Iran. Eine Exklave, die noch kaum Touristen gesehen hat. Ich war vom ersten Moment an fasziniert. Von der gepflegten Hauptstadt (Herkunftsort des aserbaidschanischen Präsidenten), von der Landschaft vor allem. Ein karges Hochland, von Gebirgszügen nach allen Seiten hin abgeschirmt. Nichts könnte für mich interessanter sein, als ein nahezu unberührtes Land. Auf der Fahrt in die alte Handelsstadt Ordubad, unmittelbar an der Staatsgrenze zum Iran gelegen, sticht ein Berg ins Auge, den der Schöpfer der Welt kaum trefflicher situieren hätte können, den Berg „Ilandag“, mit dessen Gipfel seinerzeit Noahs Arche kollidiert sein soll, wie es die Legende besagt. Nachitschewan ist nach Noah benannt. Es ist das Land Noahs. Ich staune nicht gering, weil offenbar Noah hier beheimatet war, es sogar ein Grabmal zu besichtigen gibt. Dieser biblische Ur-Vater wird sowohl von Muslimen als auch Christen verehrt.

In Ordubad lädt ein historisches Museum zum Besuch ein, diese Stadt der Gärten, angeschmiegt an die Berge. Hier am lauschigen Platz Tee zu trinken, war ein Genuss. Auf dem Programm stand auch ein Besuch einer der ältesten Salzminen der Welt: Duzdag. Salz wird hier nicht mehr abgebaut, aber als Heilmittel verwendet. Der Ort bietet gegenwärtig ein physiotherapeutisches Zentrum.

Eine besondere Ehre wurde uns zuteil. Der Besuch einer Ur-Stätte des Korans: Ashabi-Kalf. Hier verbirgt sich eine Höhle, die den Ursprung der achtzehnten Sure des Korans begründet. Der Legende nach versteckten sich hier sieben Hirten, die wegen ihres Glaubens verfolgt worden waren. Sie schliefen 300 Jahre. Danach wurden sie entdeckt und wiedererweckt. Anhand ihrer längst nicht mehr gültigen Münzen ließ sich feststellen, wie lange sie geschlafen haben. Dass die Legende eine parallele
Geschichte im Christentum hat, finde ich bemerkenswert, nämlich als „Legende der Siebenschläfer“. Dass ich hierorts offensichtlich auch einem Kreuzungspunkt der Religionen begegnete, stimmt mich fröhlich. Die Höhle selbst betrat ich nicht, aus Respekt vor den nach Schutz suchenden Gläubigen.



Meine dritte Reise führte mich nach Xinaliq. Hauptsächlicher Reisegrund war zunächst die Eröffnung einer Foto-Ausstellung der weltgereisten österreichischen Fotografin Inge Morath im „Museum of Modern Art“.

Vor allem dank der Bemühungen von Seiten der Österreichischen Botschaft in Baku durfte ich einen weiteren, nicht minder spannenden Abschnitt dieses Landes kennenlernen.

Es war eine kleine, aber feine Autoren- und Fotografengruppe, die von Yusif, einem aus Xinaliq gebürtigen (und als Lehrer in Quba tätigen) Mann begleitet wurde, und der uns das Bergdorf, die Bewohner, die Hirten und die Umgebung näherbrachte. Die Gegend wird militärisch kontrolliert, ob der Nähe zur Grenze nach Dagestan.

Ob „Ali und Nino“ auf ihrem Weg zu ihrem Zufluchtsort hier vorbeigekommen sind, vielleicht ebenso gastfreundschaftlich verköstigt und beherbergt wurden wie wir? Falls ja, werden sie ganz bestimmt kein Auge zugetan haben, nachts unterm kaukasischen Sternenhimmel, der hier über die Gipfel des Qizilkaya (3.726m) und des Sahdag (4.243m) wölbt.

Xinaliq ist ein exponiert gelegenes, malerisches Bergdorf in 2.360m Seehöhe. Im Frühsommer ist es von paradiesisch anmutenden Weideterrassen umgeben, die sich auf baumlosem Grund bis in Höhenlagen von 3.000 Metern ausdehnen. Insgesamt gehen hier bis zu 50.000 Schafe, mehrere hunderte kleinwüchsige Rinder und etwa 300 Pferde auf die Weide. Das vermeintlich Malerische wankt jedoch in Wahrheit auf einem schmalen Grat dahin, zwischen Sehnsüchten nach Bewahrung einer derart einzigartigen Lebenskultur und einer modern ausgerichteten touristischen Nutzung.

Dass wir urtümlicher Weidewirtschaft begegnen, hätten wir kaum für möglich gehalten. Umso mehr wiegen wir uns in Freude. Noch ziehen hier die Schafherden alljährlich von Mai bis Oktober über die Berge. Anfang Mai kommen sie aus dem Süden Aserbaidschans, wo die überwintern. 20 Tage lang sind sie unterwegs. Im Oktober kehren sie zurück. Die Schafe tragen keine Ohrmarken wie bei uns in den Alpen, ihre Ohren werden noch händisch gekennzeichnet, so wie früher auch bei uns. Geschnitten, gestanzt, gelocht. Von den Dorfrändern aus überblickt man dutzende Berghänge, auf denen sich die Schafherden geradezu wie ständig schwärmend fortbewegen (etwa 900 Schafe sind es pro Herde). Es ist bei Schafen so üblich, dass sie sich beim Fressen ständig vorwärts bewegen.

Das Dorf bleibt den Winter über bewohnt. Es gibt eine Schule und Elektrizität. Satellitenschüsseln prangen wie übergroße Häuserohren auf den niedrigen Lehmhäusern. Geheizt wird mit trockenem Mist. Kein Haus trägt eine Nummer, kein Weg ein Namensschild. Rund ums Dorf befinden sich mehrere Friedhöfe. Die älteren Bewohner sprechen eine eigene Sprache: Xinaliq. Monika, eine junge Deutsche, widmet sich dem Studium dieser Sprache. Sie berichtet, dass die Frauen davon träumen, nicht länger Mist für ihre Feuerstätten trocknen und Wäsche mit den Händen waschen zu müssen.

Träume ganz anderer Art hege ich als Besucher, als Autor. Vielleicht kann ich einmal den Zug der Schafe über die 600 Kilometer mitbegleiten, um diese Tatsache der Wanderweidewirtschaft aufs Papier zu bannen, literarisch und dokumentarisch. Denn ich ahne, dass so wie überall auf der Welt auch hier das urtümliche Nomandentum bald der industriellen Agrarwirtschaft weichen wird müssen.



Aserbaidschan. Drei Reisen, die mich um vieles bereichert haben. Auf dem Rückflug von Baku (via Istanbul) nach Wien hatte ich das Glück, vom Fensterplatz aus bei prachtvoller Fernsicht das Land südlich vom Großen Kaukasus aus der Perspektive von oben zu betrachten. Ich versuchte, die Bergmassive, Täler, Flüsse, Dörfer und Städte zu orten, was mehr schlecht als recht gelang. Noch einmal entsann ich mich der jugendlichen „Stimme Aserbaidschans“. Sie bleibt mir im Ohr, immerwährend, als Resümee meiner drei Reisen in Aserbaidschan. Ich wünsche und hoffe, dass möglichst viele Aserbaidschanerinnen und Aserbaidschaner auf diese Stimme hören mögen, die so schön besagt, was auch ich mir denke: Man kann zugleich die Heimat lieben und weltoffen sein.

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