Simbach, Ende Juni. Die Kleinstadt ähnelt einem Kriegsgebiet. Aufgerissene Straßen, verlassene Häuser, vollgestopfte Container. Eine Regenflut hatte den niederbayerischen Ort verwüstet. Die Bilder gingen um die Welt. Weil es Bürokraten aber bis heute nicht geschafft hätten, den Leuten wirklich effektiv zu helfen, stellte die sogenannte Identitäre Bewegung (IB) kurzerhand einen Trupp von 30 jungen Leuten aus Bayern und Österreich zusammen, um aufzuräumen. Bald gibt es Bilder davon im Netz. Über 13.000 Aufrufe sammelt das Video auf Facebook.
Ein Familienvater berichtet darin vom Aufprall der Welle und wie er noch versuchte, Hab, Gut und Kinder irgendwie zu retten. IB-Aktivisten schippen Schlamm, räumen Schutt weg. Die Botschaft ist klar: Wir packen an! "Die Gemeinschaft wächst zusammen, und man tut was Sinnvolles", verkündet der Vorsitzende der Identitären Bewegung Bayern, Sebastian Zeilinger. "Uns geht`s ja schließlich um unsere Heimat, um unser Volk."
Neuer Player am rechten Rand
So weit, so harmlos? Gutes tun und darüber reden ist schließlich nicht verwerflich. Die Identitären, wie sich die Mitglieder kurz nennen, räumen aber nicht nur Dreck weg, sondern laden ihn auch ab. Etwa vor der Parteizentrale der Münchner Grünen. Sie organisieren Demonstrationen unter dem Motto "Wir sind die Grenze" in Freilassing oder "Schützt unsere Frauen und Kinder" in Traunstein.
Ihre bislang spektakulärste Aktion geht auf das Konto der IB Wien, wo ein Theaterstück von Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, bei dem Flüchtlinge auf der Bühne standen, gestürmt und Kunstblut vergossen wurde. Was im ersten Moment nach Schülerstreich klingt, versetzt Politik und Behörden in Alarmbereitschaft. Denn hier gibt es einen neuen Player am rechten Rand – und der ist so ganz anders.
"Die Aktionen sind nicht harmlos"
"Die Identitäre Bewegung ist rechtsextremistisch", sagt Miriam Heigl von der "Fachstelle für Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit" im Münchner Rathaus ganz deutlich. Die Politologin beobachtet die rasante Entwicklung der Gruppierung, die seit Anfang 2016 auch bei den Pegida-Aufmärschen in München immer vorn dabei ist, mit Sorge.
"Die Aktionen sind nicht harmlos – sie haben im Gegenteil eine ganz klare Botschaft", so Heigl. Und die lautet: "Multikulti Endstation." Oder anders formuliert: Deutschland den Deutschen, Italien den Italienern. Syrien den Syrern.
"Heimat, Freiheit, Tradition" sind für die Identitäre Bewegung laut Selbstauskunft nicht nur Worte, sondern eine Lebenseinstellung. "Wir lieben das Leben und die unvergleichliche Schönheit unserer Heimat." An anderer Stelle heißt es: "Wir erhalten unsere Kultur und bewahren unsere Identität." Extremismus und Faschismus lehnen die Identitären dezidiert ab. Doch ist dem wirklich so?
"Die Identitäre Bewegung ist ganz klar gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet", erklärt Markus Schäfert vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz. Seit Beginn des Jahres wird die Gruppe deshalb auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet.
Mitglieder sind jung, gebildet, internetaffin
"Die IB ist ethnopluralistisch, nicht nationalistisch, unterm Strich haben wir es hier aber mit einem neu verpackten Rassismus zu tun." Sie sehe sich selbst als Elite, eine Elite, die die Aufgabe habe, die europäische Kultur zu bewahren.
Tatsächlich zitieren die Identitären, die zur neuen Rechten gezählt werden, auffallend häufig Vordenker der konservativen Revolution wie Oswald Spengler oder Ernst Jünger. "Die IB ist, anders als die meisten Neonazi-Kameradschaften, kein Sammelbecken für Gescheiterte", sagt Schäfert. "Sie wirken nicht so verstaubt wie klassische Rechtsextreme, die Hakenkreuzflagge und Hitler-Büste im Wohnzimmer haben." Ihre Mitglieder sind jung, gebildet, internetaffin.
"Die Identitären haben ein popkulturelles Auftreten, passen sich der Jugendkultur an und greifen auch immer wieder auf Symbolik und Zitate aus dem Film `300` zurück." In dem Streifen wird die Geschichte der 300 Spartaner erzählt, die sich bei der Schlacht an den Thermopylen 480 v. Chr. der persischen Übermacht entgegenstellten, um das Abendland zu verteidigen. Auf den Schildern der Spartaner war der elfte Buchstabe des griechischen Alphabets abgebildet. Das Lambda ziert heute auch die gelb-schwarzen Fahnen der Bewegung.
Der Regensburger Thomas Witzgall verantwortet das Informationsportal "Endstation Rechts – Bayern", ein Projekt der Bayern-SPD und Jusos. Er sagt, die Identitäre Bewegung setze auf klassische Verschleierungstaktik. "Ihr Menschenbild unterscheidet sich aber von dem anderer Rechtsextremisten und Nazis nicht, weil auch hier die Zugehörigkeit des Menschen von außen bestimmt wird und nicht der freien Entscheidung unterliegt, wie bei der Rasse."
Gerade in Oberbayern scheinen ihre Botschaften anzukommen
Das Ziel der Identitären seien Staaten mit einheitlicher Kultur, sozusagen eine globale Form der Apartheid. "Sie sprechen nicht von Rassentrennung, sondern propagieren das mit harmlos klingenden Botschaften, wie die Vielfalt der Völker erhalten."
Gerade in Oberbayern scheinen die harmlos verpackten Botschaften anzukommen. In Bad Tölz und Mühldorf gründeten sich zuletzt Ortsgruppen. Auch im Schwäbischen soll demnächst ein Ableger entstehen. Der Ursprung der Bewegung liegt indes in Frankreich, wo sie zu Beginn des Jahrhunderts im Dunstkreis des Front National entstand.
Durch "Tarnkappentaktik" gesellschaftlich andocken
Sehr aktiv ist die Gruppe bei unseren Nachbarn. "Die österreichischen Identitären sind sowohl was Anhänger als auch Aktionen betrifft einen Schritt weiter und strahlen aufgrund der geografischen Nähe auch nach Bayern aus", erklärt Verfassungsschützer Markus Schäfert. "Der Wiener Jurastudent Martin Sellner ist die bedeutendste Stimme der IB im deutschsprachigen Raum. Er war auch bei den Demos `Wir sind die Grenze` in Freilassing dabei."
Bei diesen Antiflüchtlingsdemos nahmen im Herbst 2015 und Frühjahr 2016 neben Neonazis auch sogenannte besorgte Bürger teil. Letztere womöglich ohne zu wissen, wem sie da hinterherlaufen. "Die Identitären versuchen gesellschaftlich anzudocken – mit ihrer Tarnkappentaktik", sagt die Münchner Landtagsabgeordnete Katharina Schulze. "Sie schüren Angst vor Fremden, vor Flüchtlingen, insbesondere vor Muslimen."
Die Grünen-Politikerin findet es gut, dass der Bayerische Verfassungsschutz die IB jetzt beobachtet. Gleichzeitig kritisiert sie die Staatsregierung. "Die CSU hat eine rechte Gruppierung mal wieder viel zu lange gedeihen lassen." In anderen Bundesländern wie Bremen, Niedersachsen oder Hessen habe sie der Verfassungsschutz schon länger im Visier. "Die IB ist nicht aus dem Nichts gekommen", so Schulze.
Außerdem sehe man, dass sie sich mit anderen rechtsextremistischen Gruppen vermische, wie Pegida, und auch enge Anbindungen zur AfD habe. Schulze sieht den politischen Diskurs insgesamt nach rechts gedriftet. Die Saat der Rechten trage bereits Früchte. Dem stimmt auch Thomas Witzgall zu. "AfD, Pegida und IB sind eine Baustelle, auf der jeder für sich zwar verschiedene Tätigkeiten übernimmt, aber letztlich alle gemeinsam an einem Haus bauen." Einem ziemlich braunen.
Quelle: n24.de
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