Militärischer Umsturzversuch: Putsch gescheitert, Türkei beschädigt

  16 Juli 2016    Gelesen: 842
Militärischer Umsturzversuch: Putsch gescheitert, Türkei beschädigt
Der Versuch einiger Militärs, die türkische Regierung zu stürzen, ist gescheitert - das ist gut so. Aber der ohnehin autoritäre Staatspräsident Erdogan bleibt an der Macht und wird mächtiger denn je - das ist schlecht.
Teile des türkischen Militärs haben versucht, gegen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan zu putschen. Am Freitagabend erklärte das Militär, die Macht im Land übernommen zu haben. Inzwischen meldet die Regierung, der Putschversuch sei beendet.

• Laut dem kommissarischen Militärchef kamen 265 Menschen ums Leben, darunter 104 Putschisten. 1140 Menschen wurden verletzt, mehr als 1500 Militärangehörige sollen festgenommen worden sein. Die Situation in Istanbul und Ankara ist noch immer unübersichtlich.

• Die türkische Regierung sieht in den Anhängern des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen die Schuldigen. Gülen bestreitet, verantwortlich zu sein. Er gilt als Erzfeind Erdogans.

Teile des türkischen Militärs haben eine erstaunliche Leistung vollbracht: Sie haben es geschafft, die Bevölkerung der Türkei zu einen. Ob Linke oder Rechte, Nationalisten oder Liberale, Türken oder Kurden - sie alle schlugen sich auf die Seite von Recep Tayyip Erdogan und stellten sich gegen die Uniformierten.

Am späten Freitagabend hatten Soldaten einen Putschversuch gestartet, in der Hoffnung, den Staatspräsidenten und die Regierung zu stürzen und die Macht zu übernehmen. Sie besetzten strategisch wichtige Stellen und ließen über das Fernsehen verbreiten, diese Regierung habe das Land zerstört, Terroristen nicht richtig bekämpft und Staat und Religion miteinander vermischt. Ein "Rat für den Frieden in der Heimat" erklärte sich verantwortlich für die künftigen Geschicke des Landes.

Wie es am Samstagmorgen aussieht, hatten die Putschisten keinen Erfolg (Verfolgen Sie die aktuellen Entwicklungen im Newsblog). Den Militärs fehlt der Rückhalt in der Bevölkerung. Im Gegenteil, Millionen Menschen in der ganzen Türkei folgten Erdogans Aufforderung, sie mögen auf die Straßen gehen und gegen den Umsturz demonstrieren. Sie ignorierten also die von den Putschisten verhängte Ausgangssperre und nahmen damit sogar Gefahren für Leib und Leben in Kauf.

So stürmten sie den vom Militär besetzten Fernsehsender TRT und riefen "Allahu akbar", "Gott ist der Größte". Die Muezzins riefen zum Gebet, obwohl keine Gebetszeit war. Das Signal: Auch die Geistlichen stehen auf der Seite Erdogans. Und auch die parlamentarische Opposition forderte die Putschisten zur Umkehr auf. Man sei "gegen jede Art von Putsch, unter allen Umständen, prinzipiell", teilte selbst die von Erdogan gegängelte prokurdische HDP mit.

Warum nutzten all jene, die unter der autoritären Herrschaft Erdogans gelitten haben, nicht die Chance, den Umsturz zu unterstützen? Offensichtlich ist der Unwille groß, undemokratische Versuche, die Machtverhältnisse zu verändern, hinzunehmen. Diese Haltung ist der einzige Lichtblick in dieser ansonsten so düsteren Entwicklung. Der Umsturzversuch ist gescheitert, und das ist aus demokratischer Sicht gut so. Die Erinnerung an die Putsche von 1960, 1971 und 1980 lebt fort, daran, dass nie etwas Gutes aus gewaltsamen Machtübernahmen folgte.

Es ist eine Leistung Erdogans, die Macht der Militärs, die sich bis vor wenigen Jahre ständig in die Politik einmischten, zu beschneiden. Eine große Mehrheit der Menschen in der Türkei weiß das zu würdigen. Auch deshalb hat Erdogan Wahlen gewonnen, mit zum Teil überwältigender Mehrheit.

Erdogan geht gestärkt aus dem Putschversuch hervor

Erdogan und seine Getreuen, wie der ihm ergebene Premierminister Binali Yildirim, haben die Schuldigen für den Putsch bereits ausgemacht: den islamischen Prediger Fethullah Gülen, einst ein Weggefährte Erdogans in der Regierungspartei AKP, seit einigen Jahren aber sein Erzfeind. Erdogan wirft den Anhängern der Gülen-Bewegung vor, staatliche Institutionen zu unterwandern und die Regierung stürzen zu wollen.

Als es im Dezember 2013 Korruptionsvorwürfe gegen Regierungsmitglieder gab, Ermittlungen aufgenommen wurden und es sogar zu Festnahmen kam, war schon einmal von einem Staatsstreich die Rede. Gülen habe versucht, auf diese Weise Erdogan zu entmachten, hieß es. Anstatt den durchaus begründeten Korruptionsverdacht mittels eigener Aufklärung aus dem Weg zu räumen, wurden Staatsanwälte, Richter und Polizisten, die der Gülen-Bewegung zugerechnet wurden, strafversetzt oder entlassen.

Bleibt Erdogan nun an der Macht, und danach sieht es aus, wird er gestärkt aus dieser Situation hervorgehen. Er kann sich nun darstellen als demokratisch gewählter, furchtloser, mit Gottvertrauen agierender Politiker, der sich einer verbrecherischen Gruppe von Verrätern in den Weg gestellt hat. Er wird das als Fügung deuten und sich in seiner "göttlichen Mission", die Türkei zu führen, bestätigt fühlen. Der Putsch, der Erdogan entmachten sollte, hat das Gegenteil erreicht.

Erdogan dürfte künftig noch autoritärer herrschen. Sein Weg zum Präsidialsystem ist endgültig geebnet. Er kann nun behaupten, mehr Macht sei für ihn unbedingt notwendig, um die Bevölkerung vor künftigen Umsturzversuchen zu schützen. Die in den sozialen Medien kursierende Behauptung, Erdogan habe den gescheiterten Putsch selbst inszeniert, um gestärkt aus dieser Situation hervorzugehen, gehört gleichwohl ins Reich der Verschwörungstheorien. Aber die AKP-Propagandamaschine wird alles daran setzen, die Bedrohung so groß wie möglich erscheinen zu lassen.

Der Putsch hat die Türkei, die ohnehin schwierige Zeiten durchlebt, nachhaltig beschädigt. Die Wirtschaft dürfte weiter einbrechen. Noch weniger Menschen werden in die Türkei reisen, die seit Sommer 2015 von Terror erschüttert wird, in ein Land mit einer verunsicherten, verängstigten Bevölkerung, in der sich niemand traut, die Mächtigen zu kritisieren, ein Land, in dem Meinungs- und Pressefreiheit mit Füßen getreten werden.

Aus Furcht vor noch größerem Chaos werden die Menschen wieder die AKP wählen. Erdogan wird sich darin bestärkt fühlen, all jene zu unterdrücken, die nicht auf seiner Seite stehen und es wagen, ihn zu kritisieren. Und das wird er dann Demokratie nennen.

Zusammengefasst: Der Putschversuch in der Türkei ist gescheitert. Die Bevölkerung stellte sich auf die Seite von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Dieser kann künftig noch autoritärer herrschen und sein angestrebtes Präsidialsystem vorantreiben. Für die Türkei verheißt das nichts Gutes.

Quelle : spiegel.de

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