Sehnsucht nach Ruhe

  18 Juli 2016    Gelesen: 871
Sehnsucht nach Ruhe
Juli ist Ferienzeit. Aber wie soll das gehen, abschalten und sich nicht einschüchtern lassen, nach dem Anschlag in Nizza, unter dem Eindruck des Terrors?
Der Wartebereich vor Gate A64 wirkt ruhiger als der Rest des Frankfurter Flughafens. Vielleicht ist es Einbildung. Rund herum überall Trubel, überall Kinder, kaum ein Durchkommen. Es ist der erste Ferientag in Hessen und Rheinland-Pfalz, fröhliches Geschrei. Von Gate A64 aber geht der Flug nach Nizza, eigentlich ein Sehnsuchtsziel der Sommerreisenden, Palmenpromenaden und azurblaues Meer.

Nun aber weckt auch der Name Nizza ganz andere Bilder im Kopf. Die langen Sitzreihen vor den großen Panoramafenstern sind schon ziemlich dicht besetzt. Der Flug ist ausgebucht. Viele ältere Paare. Die erfahrenen Côte-d’Azur-Urlauber geben sich durch sommerliche Leinen und die obligatorischen Korbtaschen aus der Provence zu erkennen. Auf den Fernsehschirmen laufen tonlos Nachrichtenbilder. Festgenommene türkische Militärs, demonstrierende Menschen am Bosporus, dann wieder die weißen Häuser der Promenade des Anglais. Blumen. Kleine blau-weiß-rote Fahnen.

Erschöpft sitzt Vanessa Charpentier mit ihrem Mann und zwei kleinen Kindern auf den Sitzbänken. Sie sind auf dem Rückweg nach Hyères, einer Hafenstadt zwischen Nizza und Marseilles. Der Überseeflug aus Denver steckt ihnen noch in den Knochen. Drei Wochen Urlaub, weit weg in den Vereinigten Staaten.

„Plötzlich waren das wirklich wir, die getroffen wurden.“
Am letzten Urlaubstag sahen sie nachmittags plötzlich die Bilder von der Promenade des Anglais auf CNN. Der weiße Lastwagen mit zerschossener Frontscheibe, überall Blaulicht, mit Handtüchern abgedeckte Leichen, die verzweifelten, leeren Gesichter der Menschen. „Die Palmen, die weißen Häuser, der Strand“, sagt Charpentier. „Das ist unsere Heimat, Südfrankreich. Plötzlich waren das wirklich wir, die getroffen wurden.“ Natürlich sei ihnen klargewesen, wirft ihr Mann ein, dass es jederzeit und überall in Frankreich passieren kann.

Doch die großen, verheerenden Anschläge waren immer im Norden, in Paris. „Bei uns im Süden haben wir sowieso schon so große Probleme mit der hohen Kriminalität. Jetzt wird das Misstrauen noch größer. Das spaltet die Gesellschaft immer mehr.“ Und gerade Nizza habe an der französischen Mittelmeerküste in letzter Zeit für Sicherheit gestanden. Bürgermeister Christian Estrosi habe viel bewegt.

Längst ist klar, dass der Flug nicht pünktlich ist, aber niemand sagt etwas durch. Der übliche Wahnsinn am ersten Ferientag. Immerhin, heißt es, sollen die Flüge in die Türkei bald wieder gehen. Die Charpentiers schlurfen derweil zu den großen Fenstern, hinter denen die weißen Lufthansa-Maschinen im Sonnenlicht glänzen.

Dort am Fenster sitzen auch Anita Herwerth und ihr Lebensgefährte Roland Seeberger. Auch sie erfahrene Côte-d’Azur-Urlauber, etwas eleganter gekleidet als die Reisenden an den anderen Gates. Nur ein paar Tage wollen sie diesmal am Golf von Saint-Tropez verbringen. Er wolle sich eigentlich nicht einschränken, auf keinen Fall.

Aber natürlich überlege man nun, wo man hingehe. „Früher sind wir immer einmal über die Promenade des Anglais gefahren, wenn wir noch Zeit hatten. Das würde ich jetzt erst mal nicht mehr machen“, sagt Seeberger und überlegt kurz. „Gar nicht mal aus Angst, sondern weil man irgendwie ein komisches Gefühl hat, wenn dort so etwas passiert ist.“ Dann heißt es endlich: Boarding. Und keine Zeit mehr verlieren.


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