Kein Wort von der Kanzlerin: Während Deutschland bangt, bleibt Merkel stumm

  23 Juli 2016    Gelesen: 444
Kein Wort von der Kanzlerin: Während Deutschland bangt, bleibt Merkel stumm
Um 17.52 Uhr fallen die ersten Schüsse bei einem Einkaufszentrum in München. Deutsche und internationale Medien verschicken Eilmeldungen. Schnell wird klar: Was hier passiert, ist ernst – es werden Todesopfer und Verletzte gemeldet.
Das ganze Land verfolgt mit Bestürzung die Ereignisse in der bayerischen Landeshauptstadt. Die Münchner bekommen besorgte Nachrichten von ihren Freunden und Verwandten, ob alles in Ordnung sei.

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Nicht nur in München macht sich eine große Verunsicherung breit. Die Polizei spricht von einer Terrorlage. Es wäre der zweite Anschlag innerhalb einer Woche. Am Montagabend hatte ein Jugendlicher mit einer Axt Reisende attackiert – danach tauchte ein Video auf, in dem er sich zur Terrormiliz IS bekannte.

Viele fühlen sich hilflos

Die Polizei ruft die Münchner auf, zuhause zu bleiben und öffentliche Plätze zu meiden. An einigen Orten in der Stadt kommt es zu Panik. Die Bundesrepublik befindet sich in einem Ausnahmezustand: Die Gewalt fällt mit Wucht in den Alltag der Bürger ein. Angesichts der Sinnlosigkeit und der Unberechenbarkeit fühlen sich viele hilflos.
Der Bundespräsident meldet sich zu Wort ebenso wie US-Präsident Obama und EU-Ratspräsident Tusk. Doch eine schweigt: Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Auch ihr Sprecher Seibert bleibt stumm

Gerade erst hat sie sich in den Urlaub verabschiedet. Es heißt, sie sei dennoch „im Dienst“. Doch zu diesem Dienst gehören am Freitagabend offenbar keine Worte für das Volk. Auch der Twitter-Account ihres Sprechers Steffen Seibert bleibt zunächst stumm. Viele Deutsche irritiert das. Auf Twitter häufen sich verwunderte oder kritische Kommentare.

Genau eine Woche zuvor während des Putsch-Versuchs in der Türkei hatte es ebenfalls lange gedauert, bis es ein Lebenszeichen von Merkel gab. Damals war die Kanzlerin gerade in der Mongolei. Via Twitter stellte Seibert nach Mitternacht zum einen klar, dass Merkel in ständigem Kontakt mit ihren Ministern stehe – und bot auch inhaltliche Orientierung: die gewählte Regierung müsse unterstützt werden.

Thomas de Maizière ist gerade auf dem Weg in die USA

Eine Woche später verliert Seibert kein Wort über Merkel. Mehr als drei Stunden nach den ersten Schüssen schreibt die Bundesregierung auf Facebook: "Aus aktuellem Anlass: Unsere Gedanken sind bei den Opfern des schrecklichen Angriffs in München. Bitte haben sie Verständnis dafür, dass wir keine voreiligen Stellungnahmen und Spekulationen abgeben wollen und können."

Auch der zuständige Minister ist nicht verfügbar. Thomas de Maizière ist auf dem Weg nach New York, als in München Schüsse fallen. Erst Anfang der Woche hatte der Innenminister wegen des Attentats bei Würzburg seinen UrlaubFinden Sie jetzt Ihren persönlichen Traumurlaub! abgebrochen und war nach Berlin zurückgekehrt.

Weil de Maizière nicht da ist, muss Altmaier einspringen

Also muss ein anderer einspringen: Kanzleramtsminister Peter Altmaier. Er weilt gerade in seiner Heimat im Saarland. Von dort aus gibt er in den ARD-„Tagesthemen“ und im ZDF-„heute journal“ eine Einschätzung ab. Dort sagte er, dass Kanzlerin Merkel „fortlaufend unterrichtet“ werde, dass die zuständigen Minister auf dem Weg nach Berlin seien und kündigt eine Sitzung des Bundessicherheitskabinetts an.

Das Sicherheitskabinett wird vom Regierungschef einberufen, um Fragen der inneren Sicherheit zu beraten. Es wird morgen Mittag tagen – mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Zum Sicherheitskabinett gehören der Innen- und der Außenminister, die Verteidigungsministerin sowie der Kanzleramtsminister und der Vizekanzler. Beteiligt sind außerdem die Spitzen von Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt.

Seibert schafft es dann immerhin, auf Twitter auf Altmaiers Fernsehauftritt hinzuweisen und dessen Statement zur fortlaufenden Unterrichtung der Kanzlerin zu teilen. Doch vielen ist das zu wenig.

Keine Spekulationen - aber Trost

Es gehört zu Merkels Stärken, dass sie keine Politikerin ist, die zu allem sofort ihre Meinung herausposaunen muss. Die Kanzlerin beobachtet und wählt ihre Worte mit Bedacht. In einer Lage wie am Freitagabend ist niemand geholfen, wenn sich die Regierungschefin auf Spekulationen einlässt. Aber sie sollte ihr Volk auch nicht allein lassen. Mutti wird Merkel auch genannt – von den einen verächtlich, von den andern bewundernd. Mütterlich wäre es, in einer solchen Situation da zu sein, Trost zu spenden und zugleich Stärke zu vermitteln.

Eine Nation, die Opfer eines Anschlags wurde, braucht nicht von den Regierungschefs aller 194 Staaten zu hören, dass diese die Tat mal wieder „aufs Schärfste verurteilen“. Aber der eigene Regierungschef, der könnte schon irgendeine Regung zeigen. Merkel hätte nicht sagen müssen, ob sie von einem Amoklauf oder einem Terroranschlag ausgeht.

Sie hätte einfach etwas in dieser Art sagen können: „Der mörderische Angriff in München entsetzt mich zutiefst. In Gedanken bin ich bei allen Opfern und bei allen, die um einen geliebten Menschen trauern oder fürchten. Und ich fühle mich allen verbunden, die im Einsatz sind, um Menschen zu schützen und Leben zu retten.“ Das Statement stammt übrigens von Bundespräsident Joachim Gauck.

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