Googles Suche nach dem besten Journalismus

  31 Juli 2016    Gelesen: 568
Googles Suche nach dem besten Journalismus
Als Leiterin des Google News Lab hat Isa Sonnenfeld keine leichte Aufgabe: Sie will Medienhäusern helfen, neue Geschäftsmodelle und das Storytelling der Zukunft zu finden. Das Interesse ist groß, am Ende geht es aber wieder um eine kostbare Ressource.

Die Berliner Google-Zentrale ist so ziemlich der letzte Ort, an dem man einen Printmedien-Fan erwarten würde: Auf 2500 knallbunten Quadratmetern voller Displays und junger Menschen, in einem Büro, dessen Besprechungsräume "Kitkatclub" oder "Berghain" heißen. An diesem Ort also, an dem wenig an Vergangenheit erinnert und alles irgendwie nach Zukunft aussieht, sitzt an einem Nachmittag im Sommer 2016 eine Frau Anfang 30 und sagt: "Ich liebe es, am Wochenende meine Nachrichten auf Papier zu lesen."

Isa Sonnenfeld ist alles andere als eine Print-Lobbyistin - ihr Arbeitgeber ist ein Internetkonzern, ihr Kerngebiet der digitale Journalismus: Sonnenfeld leitet das "Google News Lab" für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Und bei aller Print-Liebe: Auch ihr täglicher Nachrichtenkonsum beschränkt sich auf Apps, aggregierte News und soziale Netzwerke.

Geschäftsmodelle und interne Prozesse müssen sich ändern

"Die Art und Weise, wie Nachrichten produziert und verbreitet werden, vor allem aber, wie sie konsumiert werden, hat sich komplett verändert. Daran müssen die Medienhäuser nicht nur ihre Geschäftsmodelle, sondern auch ihre internen Prozesse anpassen", sagt Sonnenfeld. Eine riesige Herausforderung sei das, aber auch eine große Chance. Eine, bei der Google helfen will. "Unsere Vision ist, den Wandel der Medienwelt zum einen voranzutreiben und zum anderen eine starke, unterstützende Rolle einzunehmen", sagt Sonnenfeld.

Eine große Herausforderung für Redaktionen sei heute die Schnelligkeit der Nachrichtenverbreitung, findet sie. "Gerade mit Blick auf die Ereignisse der vergangenen Wochen ist klar geworden, dass Journalismus absolut relevant ist, um Inhalte und Informationen einzuordnen und zu verifizieren. Dafür braucht man Technologie und die richtigen Werkzeuge." Beides will Google den Redaktionen näherbringen.

An der Schnittstelle von Technologie und Medien arbeitete Sonnenfeld auch in ihrem vorherigen Job. Als "Head of News, Government and Politics" baute sie bei Twitter vier Jahre lang den deutschen Standort auf. Eigentlich hatte sie mal in die Politik gehen wollen, nach Brüssel, ins Europaparlament. Nach dem Studium zog es sie stattdessen doch in die Welt der Medien.

Google nimmt sich die großen Fragen vor

Die Fragen, denen sie sich nun bei Google widmet, sind nicht gerade klein: Wie sieht das Storytelling der Zukunft aus? Welche Verbreitungswege treffen am besten den Bedarf der Nutzer? Wie lässt sich Innovation im Journalismus vorantreiben? Um Antworten zu finden, reist die Chefin des Google News Lab seit neun Monaten durch die Republik und spricht mit Redaktionen - großen und kleinen, Print und Online, Radio und Fernsehen.

Das Google News Lab ist kein Labor im räumlichen Sinne, sondern lässt sich vielmehr als Projektrahmen und Angebot verstehen: So bietet Google etwa Workshops an, die Journalisten vermitteln, welche neuen, digitalen Möglichkeiten es gibt, Geschichten zu erzählen, aber auch, wie sie die Suche des US-Konzerns bestmöglich nutzen oder mit Google Earth Nutzern eine örtliche Orientierung geben können.

Sonnenfeld tritt in den Redaktionen als Google-Botschafterin auf, klar, aber sie ist je nach Bedarf auch mal Ideengeberin oder Beraterin. Und manchmal besteht ihr Hauptjob darin, die richtigen Leute miteinander zu vernetzen. Aus dieser Arbeit sind schon ganz unterschiedliche redaktionelle Projekte entstanden. Mit der Berliner Morgenpost hat sie an einer "360 Grad Virtual Reality"-Reportage gearbeitet, die zeigt, wie Flüchtlinge in Berlin wohnen. Zeit Online unterstützte sie bei einer Auswertung der Suchanfragen zur Silvesternacht in Köln.

Leuchtturm-Projekte sollen Wert der Tools demonstrieren

Solche Leuchtturm-Projekte sind für Google wichtig, um zu zeigen, welchen journalistischen Mehrwert seine digitalen Tools haben können. Vom Austausch mit den Redaktionen profitiert Google aber noch in anderer Hinsicht. Das Unternehmen möchte herausfinden, welche seiner Features so verändert werden könnten, dass sie im redaktionellen Alltag eine größere Rolle spielen. Dass sich mithilfe von "Trends" heute in Echtzeit nachverfolgen lässt, welche Themen die Nutzer bewegen, ist so ein Ergebnis aus Gesprächen zwischen Google und Journalisten; ein anderes ist die Technologie "Accelerated Mobile Pages", die das Öffnen von Artikeln auf mobilen Geräten beschleunigt.

Das News Lab ist Teil der "Digital News Initiative", einer im Frühjahr 2015 gestarteten Kooperation zwischen Google und europäischen Verlagen. Das Verhältnis zwischen beiden Parteien war über Jahre vor allem von juristischen Auseinandersetzungen geprägt, deswegen verwunderte die Nachricht der Partnerschaft zunächst, zumal Google 150 Millionen Euro bereitstellte, um konkrete Projekte und Produkte zu fördern. "Wir sind daran interessiert, wie digitaler Journalismus in den nächsten Jahren aussehen wird", sagt Isa Sonnenfeld auf die Frage nach den Motiven von Google.

Das Interesse ist nicht uneigennützig, eine friedlichere Allianz mit den Verlagen lohnt sich auch für den Internetkonzern: Während früher rund ein Drittel des Traffics auf Nachrichtenwebsites über Google kam, ändern heute Konkurrenten wie Facebook oder Apple News die Machtverhältnisse. Besser zu verstehen, wie Medienhäuser arbeiten und was ihnen helfen kann, bringt deswegen auch handfeste Wettbewerbsvorteile mit sich.

USA und Europa diskutieren noch unterschiedlich

Neben Isa Sonnenfeld in Berlin arbeiten im Google News Lab noch Kollegen in London, Paris und den USA. Die jeweiligen Märkte prägen die Themen, auch wenn sich die grundsätzlichen Herausforderungen ähneln, wie Sonnenfeld erzählt: "Wenn meine Kollegin mit der `Washington Post` oder der `New York Times` spricht, dann sind das andere Diskussionen, als wir sie im gleichen Moment in Europa führen. Es sind aber oft Themen, die ein halbes Jahr oder Jahr später auch hierzulande wichtig werden."

Auch innereuropäisch unterscheiden sich die Ansätze. In Deutschland stehe momentan vor allem die Zusammenarbeit von Verlagen mit mediennahen Startups im Fokus. Eine Kooperation, von der beide Seiten profitieren sollen, wie Sonnenfeld erklärt: "Die Verlage von der Experimentierfreudigkeit und Schnelligkeit der Startups, die Startups von den langfristigen Herausforderungen in der Medienwelt."

Das News Lab arbeitet dafür mit dem Next Media Accelerator in Hamburg zusammen und bringt in sogenannten Hackathons Journalisten, Entwickler und Startup-Gründer zusammen. Es sei faszinierend, welche Produkte und Prototypen dort entstehen, sagt die News-Lab-Leiterin. "Sie werden vielleicht nicht gleich am nächsten Morgen im Medienhaus umgesetzt, aber sie können einen Anreiz geben, darüber nachzudenken." Generell hat sie den Eindruck, dass sich auch in Deutschland langsam eine Kultur des Experimentierens in die Redaktionen einzieht. "Und ich glaube, dass sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Technologie wichtig ist."

Das größte Experimentierfeld und Potenzial für den Journalismus sieht Sonnenfeld momentan in Virtual-Reality-Technologien: "Zum einen, weil VR eine ganz neue Form des Storytellings ist und zum anderen, weil es die Chance bietet, die Nutzer wirklich in Geschichten mit reinzuziehen. Projekte wie das 6x9 vom Guardian haben im ersten Moment nichts mit dem normalen Nachrichtenalltag zu tun, aber sie bringen den Leser an Orte, an denen er vorher noch nicht war und an die er sonst nicht kommt – beim Guardian etwa in eine Gefängniszelle. Solche neue Perspektiven sind eine unglaubliche Chance."

Der Wille zur Veränderung ist da

Google wünscht sich, dass die digitalen Tools in Zukunft zum selbstverständlichen Teil des Redaktionsalltags werden, auch in Breaking-News-Situationen. „Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass neue Technologien die Arbeit nicht nur einfacher, sondern auch schneller machen können“, sagt Isa Sonnenfeld. Die größte Herausforderung in Googles Zusammenarbeit mit den Redaktionen ist nicht etwa deren Skepsis gegenüber dem Internet-Riesen. "Die Offenheit ist da, das Interesse ist vorhanden." Um sich mit neuen Möglichkeiten und Werkzeugen auseinanderzusetzen, fehlt schlicht noch zu oft die Zeit. Genau die wird aber gebraucht, um in den Redaktionen den Journalismus der Zukunft entwickeln zu können.

Quelle: tagesschau.de


Tags:


Newsticker