Hunderte Party-Killer im Anflug

  02 Auqust 2016    Gelesen: 459
Hunderte Party-Killer im Anflug
Ein Sommer mit Überraschung: Was tun, wenn man ein Wespennest im Garten hat? Entsorgen lassen oder und einfach abwarten – diese Alternative bietet sich an.
Die Invasion hat still und im Verborgenen begonnen: Irgendwann im Frühjahr muss sich die Königin auf die Suche nach einem geeigneten Nistplatz gemacht haben. Und dabei hat sie sich vermutlich am Standort eines altem Nestes orientiert. Diesmal interessierte sie sich aber nicht wie vor ein paar Jahren für den Dachboden des Hauses im Darmstädter Paulusviertel, sondern für einen alten Plastiksack mit Restblumenerde im Garten, der über den Winter nicht zur Seite geräumt worden war. Im und um den Sack brummt und summt es nun seit einigen Tagen, dass es nicht mehr zu übersehen und zu überhören ist.

Was macht man, wenn die Deutsche oder Gemeine Wespe überraschend bei einem zu Hause heimisch geworden ist? Man ruft den Naturschutzbund Deutschland (Nabu) an. Friededore Abt-Voigt kommt dann sofort. Schon am Telefon hat die Vorsitzende des Nabu Darmstadt, die früher Biologie unterrichtete, auf die Deutsche Wespe getippt, nachdem sie das Stichwort „Blumenerde“ gehört hatte: „Alle, die im Dunklen bauen, sind die, die lästig werden.“ Biologen unterteilen die sozialen Wespen in acht Arten, aber nur zwei haben sich den Ruf erworben, schwarz-gelbe Party-Killer zu sein: die Deutsche und die Gemeine Wespe, die zu den Kurzkopfwespenarten zählen, ihre Nester im Boden, im Dach oder in dunklen Verschalungen bauen und die großen Appetit nicht nur auf Kuchen und Limonade entwickeln, sondern auch auf Wurst, Schinken und Grillfleisch. Präzise zu unterscheiden sind sie nur durch die Zeichnung ihres Stirnschilds.

Die Fleischeslust der Wespen

Als Abt-Voigt auf den aufgebrochenen Sack mit Blumenerde blickt, aus dessen Loch die Tiere ständig hinein- und hinausfliegen, sagt sie sofort: „Auf keinen Fall mit Gift hantieren oder mit Bauschaum. Die Königin erwischt man damit sowieso nicht.“ Der andere wichtige Grund, auf Selbsthilfe zu verzichten, lässt sich im Nabu-Infoblatt nachlesen: Der Sommerstaat der Gemeinen und Deutschen Wespe umfasst zwischen 1000 und 10.000 Einzeltiere. Die haben alle einen Stachel und werden sehr reizbar, wenn man ihnen die Flugbahn versperrt oder ihr Nest angreift. Auch Abt-Voigt hält bei ihrer Inspektion lieber einen Sicherheitsabstand von einigen Metern ein.

Die beiden diskriminierten Wespenarten werden auch als „Kuchentischwespen“ bezeichnet. „Nektar, Eis, Sahne, Pflaumenkuchen und Coca-Cola, davon ernähren sie sich.“ Sie leben also vegetarisch. Dass die Tiere auch eine Vorliebe für Schinken und Steaks haben, liegt an ihrem Arbeitsauftrag: Die Arbeiterinnen müssen die Larven im Nest mit tierischer, proteinreicher Nahrung versorgen. Da kommt jede Sommer-Grillparty natürlich zur rechten Zeit. Die Fleischeslust der Wespen hat für den Menschen allerdings auch eine positive Seite: „Sie haben dadurch weniger Fliegen im Garten und im Haus“, sagt Axt-Voigt, die, noch während sie den Speiseplan der Hautflügler erläutert, auf eine kleine, dunkle Erdwespe blickt, die wie zum Beweis gerade auf dem Steinboden eine fünfmal so große Spinne hinter sich herzieht. „Die hat sie mit dem Stich ihres Stachels gelähmt, jetzt schafft sie die Spinne in ihre Erdhöhle.“ Das kleine Gartenparadies entpuppt sich mehr und mehr als Wildnis. Und als Labor.

Baukünstlerin mit Stachel

Zur kleinen Biologiestunde der Nabu-Vorsitzenden gehört der Hinweis, dass es sich bei der Erdwespe um die „Erfinderin“ der Goretex-Technik handelt: Wie die wasserdichten und atmungsaktiven Hosen und Jacken für Wanderer seien auch die Erdlöcher der Wespe so konstruiert, dass Regenwasser nicht eindringen könne, die Feuchtigkeit im Inneren aber nach außen geleitet werde.

Die Gemeinen Wespen im Plastiksack sind ebenfalls Baukünstler. Die Königin hat zunächst Holzteilchen von toten Ästen, Zaunlatten oder Gartenmöbeln abgeraspelt, mit ihrem Speichel zersetzt und dann mit dieser papierartigen Masse sechseckige Wabenzellen geformt. Sobald die ersten Arbeiterinnen geschlüpft waren, haben die sich um die weitere Brutpflege und den Nestbau gekümmert. Da die Plastikfolie im Garten sich von Tag zu Tag mehr aufbläht, spricht alles dafür, dass das Wespenvolk gut gedeiht und das Nest schnell wächst. Wer einen Sommerstaat in Garten oder Haus hat, kann einen Schädlingsbekämpfer rufen. Die Feuerwehr kommt zwar auch, aber nur wenn Gefahr für Leib und Leben droht – also etwa bei einem Wespennest im Kindergarten und in einer Schule.

Angstschweiß kann Angriffe auslösen
Für Darmstadt und Umgebung empfiehlt Abt-Vogt die Firma Kleinlogel, deren Geschäftsführer selbst Biologe ist. Kleinlogel hat in Darmstadt und Südhessen im vergangenen Jahr rund 1200 Einsätze wegen Wespennestern verzeichnet. „2015 war eine richtige Plage“, sagt ein Mitarbeiter. In diesem Jahr sei es nicht ganz so schlimm, was womöglich am nassen Winter gelegen habe: „Die Feuchtigkeit hat den Königinnen nicht gutgetan.“ Kleinlogel kommt und versetzt auf Wunsch jedes Nest – was 95 Euro plus Mehrwertsteuer kostet.

Die Hausbesitzer im Paulusviertel haben sich für den Königsweg im Umgang mit der Gemeinen Wespe entschieden – fürs preiswerte Abwarten. „Ab Ende Oktober ist sowieso Ruhe“, hatte Axt-Voigt versprochen. Dann seien die begatteten Königinnen ausgezogen, um ein Winterquartier zu suchen, das Wespenvolk sterbe nach und nach ab, das Nest verfalle. Die Angelegenheit löst sich also auf natürliche Weise in nichts auf. Nur das bevorstehende Gartenfest gilt es unfallfrei zu überstehen, etwa durch eine „Ablenkfütterung“ mit überreifen Weintrauben. Ansonsten sollte man die Nerven behalten (Angstschweiß kann Angriffe auslösen) und im November das leere Nest ordentlich entsorgen, damit es im Garten „nicht mehr nach Wespe riecht“. Andernfalls gibt es bald ein Wiedersehen.


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