Auf dem Lehrplan der Siliziumtalschule

  17 Auqust 2016    Gelesen: 607
Auf dem Lehrplan der Siliziumtalschule
Müssen wir jetzt alle programmieren lernen? Die IT-Giganten lassen sich entsprechende Förderprogramme ganz schön was kosten. Doch ihre Ziele sind eher ideologischer als praktischer Natur.
Zum Jahreswechsel 2012 hatte Michael Bloomberg, damals Bürgermeister von New York, einen originellen Neujahrsvorsatz: Er wolle programmieren lernen, verkündete das Stadtoberhaupt stolz auf Twitter. Was von diesem hehren Vorsatz übrig blieb, ist unbekannt, jedenfalls löste der Tweet eine Debatte aus. Die Vorstellung, dass Bloomberg in seiner Amtsstube basale Befehle in seinen Computer hackt, mochte bei manchem Erheiterung auslösen, doch die Sache hat einen ernsten Hintergrund. Müssen wir im Internet der Dinge, wo wir von Milliarden codierter Objekte umgeben sind, die unsere Handlungen, Gedanken und Emotionen in Rohstoffe für die datenverarbeitende Industrie verwandeln, programmieren lernen, um der Realität überhaupt gewachsen zu sein? In einem modernen Fahrzeug stecken heute hundert Millionen Zeilen Programmiercodes. Die Affäre um die Schummel-Software bei VW, bei der Abgaswerte in Dieselfahrzeugen manipuliert wurden und die nur durch die akribische Arbeit von Wissenschaftlern aufgedeckt werden konnte, zeigte einmal mehr, wie schwer es allein schon für Experten ist, die komplexe Wirklichkeit zu durchschauen.

In Amerika ist eine regelrechte Lobby fürs Programmieren entstanden. Apple wollte beim Streit mit dem FBI um die Entschlüsselung des iPhones eines der Attentäter von San Bernardino seine Codes als Ausdruck der Meinungsfreiheit verstanden wissen. Und mit code.org gibt es eine eigene, von den Internetkonzernen finanzierte Non-Profit-Organisation, die mit IT-Stars wie Mark Zuckerberg, Bill Gates und Jack Dorsey fürs Programmieren wirbt.

Zuckerberg, der oberste Bildungsbeauftragte der Nation, sprach von digitalen Erweckungserlebnissen, als er einem Nachbarskind das Programmieren beibrachte. Das klang rührend. Der ehemalige Mehrheitsführer der Republikaner im Repräsentantenhaus, Eric Cantor, sagte, Programmieren sei so wichtig wie Fremdsprachen und Mathematik. Unter dem Namen „Coding for Kindergarden“ gibt mittlerweile sogar eine eigene App, die schon die Kleinsten an die Informatik heranführen möchte. Programmieren ist das neue Mandarin, schon sieht man vor dem geistigen Auge überambitionierte „Tiger-Moms“ herumlaufen, die ihren Sprösslingen das kleine Einmaleins von Java bis C+ einbimsen.

Codes kontrollieren die Welt

Mittlerweile hat die Diskussion – relativ ungefiltert – die hiesige Debattenlandschaft erreicht. Die SPD fordert, Informatik als Pflichtfach an Schulen einzuführen: Kinder und Jugendliche sollten früh „die Logik von Algorithmen“ lernen. Und auch Telekom-Chef Timotheus Höttges forderte Programmieren an Schulen. Programmiersprachen seien „mindestens genauso wichtig wie Multiplizieren, Lesen und Fremdsprachen“. An britischen Schulen lernen Kinder bereits, wie man mit Quellcodes umgeht, und in der deutschen Bildungspolitik geht der Blick seit Pisa ins Ausland, wenn es um neue Bildungsstandards geht.

Der Computerwissenschaftler John McCarthy, der die Programmiersprache Lisp erfand und den Begriff der „künstlichen Intelligenz“ prägte, sagte einst: „Jeder muss programmieren können. Es ist die Art und Weise, wie wir mit Sklaven sprechen.“ Doch der Begriff der Sklaverei hat noch immer ein gewisses Odium, und es stellt sich die Frage, ob Sprache als Mittel der Kommunikation trotz sozialer Hierarchien nicht ein gewisses Maß an Gleichheit voraussetzt.


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