Gaziantep liegt auch nicht weit von Dscharablus entfernt. Den syrischen Grenzort hatte die türkische Armee gemeinsam mit Rebellengruppen aus dem Nachbarland am Mittwoch vom Islamischen Staat (IS) zurückerobert. Unter großem Jubel der begeisterten Menge versicherte Erdogan, der Türkei gehe es in Syrien nicht alleine um den Kampf gegen den IS. Auch den kurdischen Terroristen müsse man mit Härte und Entschlossenheit entgegentreten.
Und genau das macht die Türkei. Unter „kurdischen Terroristen“ versteht der türkische Präsident die Miliz der YPG. Sie stellt den Hauptteil der Kämpfer der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF).
Erfolgreichste IS-Allianz wird jetzt von der Türkei angegriffen
Diese multiethnische Militärallianz, an der auch Araber, Assyrer und Turkmenen beteiligt sind, hat den IS in Syrien an den Rand einer Niederlage gebracht. Erst Mitte August konnte die IS-Stadt Manbidsch erobert werden. Über 400 SDF-Kämpfer starben bei der Rückeroberung des strategisch wichtigen Ortes, die zwei Monate dauerte.
Unterstützt wurden sie durch US-Luftangriffe und amerikanische Militärberater am Boden. Nun wird ausgerechnet die Allianz, die den IS am erfolgreichsten von allen bekämpft hatte, von der Türkei und ihren syrischen Hilfstruppen angegriffen. Und die USA scheinen die SDF, ihren Partner im Kampf gegen den IS, einfach im Stich zu lassen. Dazu passen auch die jüngsten Äußerungen des US-Verteidigungsminister Ashton Carter. Diese forderte am Montag in Washington Türkei und Kurden auf den IS zu bekämpfen und nicht sich gegenseitig - wohlwissend, dass die Türkei strategisch in einer ganz anderen Position ist als die SDF.
Und so verwirklicht die Türkei nebenbei noch einen ganz anderen Plan: die Errichtung einer Pufferzone im Norden Syriens. Dass dabei große Nachteile im Kampf gegen den IS entstehen, spielt offensichtlich keine Rolle.
Viel zu wenige Kämpfer in FSA-Gruppen
Die Rebellengruppen, die die Türkei bei ihrer Syrien-Offensive mit ins Boot holte, sind dazu nicht in der Lage – selbst mit türkischer Luftunterstützung. Nach einem möglichen Abzug der SDF sind diese Verbände der Freien Syrischen Armee (FSA) vorgesehen, die Kontrolle von Manbidsch zu übernehmen. Zudem sollen sie al-Bab befreien, wie Ahmad Berri, der Stabschef der FSA, versicherte.
In sozialen Netzwerken wurde vielfach und voller Zynismus bemerkt: „Händigt man Manbidsch der FSA aus, ist das so, als würde man die Stadt dem IS überlassen.“ Tatsächlich sind die FSA-Gruppen militärisch schwach, undiszipliniert und die Zahl ihrer Kämpfer ist viel zu gering. Eine Stadt zu kontrollieren und eine andere gleichzeitig zu erobern dürfte ihre Kapazitäten weit übersteigen.
„Alle ehemaligen FSA-Kämpfer, die jetzt in türkischen Flüchtlingslagern sind, werden mit uns kämpfen“, glaubt Schafik Mustafa von der Scham-Front, eine der vielen FSA-Fraktionen, die an der türkischen Offensive jetzt teilnehmen. Ähnliches hatte Stabschef Berri im Interview behauptet. Aber für eine schlagkräftige Armee, die sofort und jetzt gebraucht wird, reichen die erhofften „Kämpfer aus den Flüchtlingslagern“ wohl kaum.
Ankara und der Kreml haben sich ausgesöhnt
Die FSA ist derzeit im Grenzgebiet zur Türkei, westlich von Dscharablus, dabei, Dörfer vom IS zu säubern. „Das Endziel ist es, Dscharablus mit dem 100 Kilometer entfernten Azaz zu verbinden“, erklärt Mustafa von der Scham-Front bei einem Kaffee in Gaziantep. „Wir wollen eine Sicherheitszone für unsere Kämpfer und Flüchtlinge einrichten, in der es keine Bombenangriffe gibt.“
Der 30-jährige Rebellenführer ist voller Zuversicht, dass die No-Fly-Zone mithilfe des türkischen Nato-Mitglieds klappt. „Sie helfen uns wirklich sehr viel und effektiv.“ Nur auf die FSA selbst ist militärisch wenig Verlass. Sie musste einige Orte gleich mehrfach vom IS „befreien“, nachdem sie sie nach erneuten Angriffen der Extremisten immer wieder verloren hatte.
Dscharablus und Azaz sind die geografischen Eckpfeiler der Pufferzone, die die Türkei vergangenes Jahr vorgelegt hatte. Die russische Intervention im September 2015 durchkreuzte jedoch diesen Plan. Aber mittlerweile ist alles ganz anders. Ankara und der Kreml haben sich ausgesöhnt. Zudem soll es zwischen der Türkei und den USA eine „geheime Militärabsprache“ gegeben haben.
Manbidsch würde in Sicherheitszone liegen
Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu rückte im Juli die Medienberichte darüber etwas zurecht, aber dementierte nicht grundsätzlich. Natürlich muss es eine Einigung mit den beiden Großmächten auf höchster Ebene gegeben haben, sonst ist ein derartiges unilaterales Eingreifen, wie das der Türkei jetzt in Syrien, nicht möglich.
Die Frage bleibt nur, wie tief die neue türkische Sicherheitszone in syrisches Territorium hineinreichen wird. In Planung waren 45 Kilometer, was in etwa der Reichweite der Geschütze der türkischen Panzerhaubitzen entspricht. Das würde in jedem Fall die Stadt Manbidsch beinhalten, für deren Eroberung die SDF so viele ihrer Soldaten geopfert haben.
„Sie müssen verschwinden“, sagte FSA-Stabschef Berri. „Wenn sie nicht gehen, müssen wir sie bekämpfen.“ Abgesehen von einer neuen Eskalation im Bürgerkrieg wäre das ein gefährlicher Rückschlag im Kampf gegen den IS.
Quelle : welt.de
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