Gesalzene Rechnung

  02 September 2016    Gelesen: 1037
Gesalzene Rechnung
Sollten wir weniger Kochsalz essen? Eine neue Studie deutet darauf hin, dass der Verzicht manchmal sogar schaden könnte.
Es gibt kaum mehr als eine Handvoll Ratschläge, bei denen es als wirklich sicher gilt, dass sie die Gesundheit der Bevölkerung in ganz großem Stil verbessern können. Mit starkem Rauchen aufzuhören gehört dazu, extremes Übergewicht zu vermeiden ebenso. Außerdem: keine exorbitanten Mengen Zucker essen, nicht exzessiv sonnenbaden, sich regelmäßig bewegen. Zu den klassischen Empfehlungen gehört bisher auch, das Salz im Essen zu reduzieren. Das soll den Blutdruck senken und damit auch das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle.

Doch mittlerweile sieht es so aus, als müsste dieser Punkt von der Liste der Universaltipps gestrichen werden – wie zuvor schon andere prominente Ratschläge wie "gesättigtes Fett vermeiden" und "wenig oder keinen Kaffee trinken".

"Wenn ich den Deutschen fünf allgemeine Gesundheitstipps geben sollte, würde die Salzreduktion jedenfalls nicht dazugehören", sagt Friedrich C. Luft vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin. Den 75-jährigen Bluthochdruck-Spezialisten kann man getrost als Veteranen in der Erforschung der Effekte von Natriumchlorid, also Kochsalz, bezeichnen. Er war schon im Jahr 1985 beteiligt, als in einer Riesenanstrengung eine weltweite Studie zum Thema Salz und Blutdruck zusammengestellt wurde. Diese als "Intersalt" bekannte Untersuchung kam zu dem Schluss, dass die Menge an Salz im Körper, berechnet aus der Ausscheidung von Natrium im Urin über 24 Stunden, mit dem Blutdruck im Zusammenhang steht: mehr Salz, höherer Blutdruck.

Doch schon damals mussten die Studienleiter ihre Statistiker offenbar Extraschichten schieben lassen, um zu diesem – erwarteten – Ergebnis zu kommen. Nach Ansicht von Kritikern kam ein signifikanter Zusammenhang überhaupt nur deshalb zustande, weil die Statistiker vier Populationen mit extrem salzarmer Ernährung berücksichtigten, deren Lebensstil sich aber grundsätzlich von dem westlicher Nationen unterscheidet. Der Einfluss der Daten von diesen vier Volksgruppen, etwa von den am Amazonas lebenden Yanomami-Indianern, war so stark, dass sich der Trend ohne sie sogar in die entgegengesetzte Richtung gedreht hätte.

Zu den statistischen Problemen gesellen sich dann noch praktische Hindernisse, die verlässliche Aussagen zum Salzkonsum erschweren. Bei der Intersalt-Studie etwa war die Datengrundlage nur eine 24-Stunden-Urinmessung pro Person. In jüngeren Studien wird oft sogar nur die nächtliche Salzausscheidung gemessen. Die allerdings ist mit einer Verlässlichkeit von etwa 70 Prozent ein eher dürftiger Maßstab für die tatsächliche Salzausscheidung über den Tag. Zudem scheint es physiologisch bedingte Rhythmen zu geben, die in längeren Zyklen die Salzausscheidung unabhängig von der Aufnahme beeinflussen: Selbst wenn man genau kontrolliert, wie viel Salz tatsächlich aufgenommen wird, variiert die Ausscheidung noch ziemlich stark. Diese Resultate stammen aus der Marsflug-Simulation in Moskau vor ein paar Jahren, bei der die Teilnehmer sehr genau und monatelang untersucht wurden.

Neue Auswertungen lassen nun sogar befürchten, dass ein allzu konsequentes Entsalzen des Alltags genau jene Krankheitsereignisse fördern könnte, die eigentlich vermieden werden sollen. Darauf deutet etwa eine Studie hin, die kanadische Epidemiologen von der McMaster University in Hamilton kürzlich im medizinischen Fachjournal The Lancet veröffentlichten. Dafür werteten sie Daten aus, die an insgesamt mehr als 130.000 Personen in 49 Ländern erhoben wurden. Demnach ist bei einer geringen Zufuhr von Natrium das Risiko für Infarkte und Schlaganfälle und die Gefahr, daran zu sterben, nicht etwa niedriger, sondern erhöht. Das gelte sowohl für Individuen, die bereits Bluthochdruck haben, als auch für solche mit normalem Blutdruck, erklärt Andrew Mente, der Erstautor der Studie. Eine Salzreduktion scheint demnach überhaupt nur bei Menschen sinnvoll zu sein, die sowohl bereits Bluthochdruck haben, als auch wirklich große Mengen an Natrium konsumieren.

Natrium – es ist dieser Bestandteil von Kochsalz, der traditionell als einer der Hauptschuldigen für erhöhten Blutdruck gilt (siehe Kasten). Hier liegt auch eine Ursache für manche Daten-Konfusion. Denn sowohl in der Fachliteratur als auch in der Presse und bei Inhaltsangaben auf Nahrungsmittelverpackungen findet man teilweise Angaben zu Natrium, teilweise zu Salz. Die Einheiten schwanken zwischen Gramm oder Milligramm, manchmal auch Millimol, und gar nicht selten wird die Salz- mit der Natriummenge verwechselt. "Das wird alles benutzt, wie es gerade passt, und oft ist es selbst für die Experten schwierig, nachzuvollziehen, was gerade gemeint ist", sagt der Bluthochdruck-Experte Friedrich Luft.

Um von der Salzmenge, genauer gesagt dem Salztrockengewicht, auf die Natriummenge zu kommen, muss man den Wert durch 2,5 teilen und umgekehrt. Konkret, so sagen es die Daten von Mente und seinen Kollegen, erhöhen bei Menschen, die bereits Bluthochdruck haben, mehr als 6 Gramm Natrium pro Tag die Wahrscheinlichkeit für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Das sind 15 Gramm Salz und damit deutlich mehr als die 8,4 beziehungsweise 10 Gramm, welche die Durchschnittsfrau und der Durchschnittsmann hierzulande zu sich nehmen. Wer kein Hochdruckpatient ist, hat demnach noch nicht einmal bei einer derart salzigen Kost ein erhöhtes Risiko.


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