Große Teile des Hauptstadt-MEK sind nämlich abkommandiert, um sich um islamistische Gefährder zu kümmern. Um Personen also, denen eine schwere Gewalttat, etwa ein Anschlag, zugetraut wird. Denn es werden immer mehr. Wie die „Welt“ erfuhr, gibt es momentan in Berlin 74 als islamistische Gefährder eingestufte Personen, und die Zahl steigt.
Allein in Berlin kamen im letzten halben Jahr zehn Gefährder hinzu. Zudem haben Berlins Behörden 53 „relevante Personen“ im Visier, die als mögliche Unterstützer schwerer Straftaten gelten. Die Folge für die MEKs: Wichtige andere Arbeit bleibt liegen, Aufträge von Fachdienststellen des Landeskriminalamtes (LKA) können nicht angenommen werden. Eine Hauptstadt in Not.
Die Polizeiführung dementiert eine Notlage. Was wiederum die Gewerkschaft der Polizei (GdP) nicht wundert. „Schenkt man ihnen Glauben, ist mit Blick auf Berlins Sicherheit immer alles tipptopp“, sagt Berlins GdP-Sprecher Benjamin Jendro, „der Bürger sieht das sicher etwas anders.“
„Wir können zurzeit nur eingeschränkt agieren“
Ein Berliner MEK-Beamter formuliert es noch drastischer: „Wir können zurzeit nur eingeschränkt agieren. Und wer etwas anderes sagt, lügt schlicht und ergreifend.“ Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität bleibe zwar nicht komplett auf der Strecke, „aber gerade in der Rotlicht- und Drogenszene reiben sich die Gangster die Hände, weil sie natürlich spüren, dass der Ermittlungsdruck nachlässt.“
171 Beamte zählt das MEK in Berlin, 159 von ihnen sind im operativen Dienst. Vier der insgesamt acht Teams unterstützen derzeit ihre Kollegen vom Polizeilichen Staatsschutz bei der Observation der islamistischen Gefährder. Denn das ist die Aufgabe eines MEK. Nach dem Fiasko des Terroranschlags bei den Olympischen Spielen 1972 in München wurden neue Einheiten gegründet: die zentrale GSG 9 (Grenzschutzgruppe 9) und die ihr in nichts nachstehenden Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Länder.
Hinzu kamen Fahndungskommandos, die heute MEKs heißen und nur bei schwerwiegenden Straftaten angefordert werden dürfen. Deren primäre Aufgabe ist die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus. Sie sind Experten der Observation, sei es technisch oder in Person, und verfügen über Tarnfahrzeuge und Technik dafür.
Im Alltag überwachen sie Straftäter und führen die SEKs an Zielpersonen heran, damit diese den Zugriff vornehmen. Ein SEK wird angefordert, sobald Waffen im Spiel sind oder mit erheblicher Gegenwehr zu rechnen ist. Die MEKs ziehen sich nach der Lokalisierung der Täter zurück. Auch sie sind imstande, eine Festnahme durchzuführen, widmen sich aber vorrangig der Observation, um durch wechselnde Beteiligung und Tarnung unbemerkt Täter zu überwachen.
„Wenn wir wenigstens die Moscheen abhören dürften“
Das wird ihnen offenbar gerade bei islamistischen Gefährdern schwer gemacht: In der Truppe ist man der Ansicht, dass die intensiven Observationen rund um die Uhr letztlich nichts brächten, weil der Gegner technisch und logistisch überlegen sei.
Norbert Cioma, bei der Hauptstadt-GdP für das Landeskriminalamt zuständig, erklärt das Dilemma: „Wir wissen, was die Gefährder essen, wo sie ihre Tageszeitung kaufen. Wir sehen sie viermal am Tag in die Moschee gehen, haben aber keinen blassen Schimmer, was sie dort machen und mit wem sie welche Botschaften austauschen.“ Man weiß, was man sieht, aber was nicht offensichtlich ist, weiß man nicht.
Früher war Cioma selbst im Kommando. „Es wäre schön, wenn wir wenigstens die Moscheen abhören dürften.“ Man möge sich keine Illusionen machen, warnt er, mit dem jetzigen Personal sei es unmöglich, alle Gefährder und Kriminalitätsbereiche so im Blick zu haben, wie es nötig wäre. Der Tisch sei zu groß, das Tischtuch zu klein, man könne daran ziehen, wie man wolle. Und es gibt ein weiteres gravierendes Problem:
„Technisch gesehen, befinden wir uns immer noch in der Steinzeit, während organisierte Terroristen über hochverschlüsselte Medien miteinander kommunizieren. Wir können nicht einmal DSL überwachen.“
Bremen steht im Fokus des internationalen Drogenhandels
Dazu würden mehr Auswerter benötigt, um die Fülle der gesammelten Daten aus der Telekommunikationsüberwachung nutzen zu können. „Ohne die längst überflüssige Vorratsdatenspeicherung werden wir vorhandene Strukturen kaum aufhellen können“, sagt Cioma. Berlins Polizeiführung lässt derlei Kritik nicht gelten. Antiterrormaßnahmen gehörten schon immer zur Arbeit der MEKs, heißt es. Auch Beschwerden von Angehörigen von LKA-Fachdienststellen, die Hilfe von MEKs brauchen, aber wegen der Überlastung nicht bekommen, dementiert die Polizeiführung per Presseerklärung: Aktuell könnten alle Anfragen der Fachdienststellen bearbeitet werden.
MEK-Beamte bestreiten das. Es könne schon deshalb nicht stimmen, weil Angehörige der sogenannten FAO-Einheiten – Fahndung, Ausbildung, Observation – inzwischen MEK-Aufträge übernehmen müssten. Besser als nichts, sagt sich mancher Polizeiführer. Doch letztlich verfügen diese Beamten nicht über das Fachwissen und die Erfahrung der MEKs.
Der Vergleich sei vielleicht etwas zu hart, sagt ein ranghoher Berliner Polizeiführer, aber man setze ja auch niemanden aus der Freiwilligen Polizeireserve auf einen Funkwagen und schicke ihn nach Kreuzberg.
In Bremen liegen die Probleme ähnlich. Die Hafenstadt steht im Fokus des internationalen Drogenhandels. „Diese Herrschaften bekommt man nur gerichtsfest überführt, wenn Observation und Abhörmaßnahmen gleichermaßen intensiv betrieben werden. Fällt eines davon weg, platzt der Fall“, so ein Beamter aus Bremen.
Zudem habe die Stadt erhebliche Probleme mit Rockern, die sich nun potenzierten. „Wenn es darum geht, namhaft gemachte Trickdiebe, die mit dem Enkeltrick alte Menschen arm machen, von einer neuen Tat abzuhalten, dann müssen wir uns an ihn heranhängen. Gleiches gilt für Sexualdelikte, aber wir fahren von morgens bis abends von Moschee zu Moschee.“
Quelle : welt.de
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