Das Louisiana Museum of Modern Art ist das wichtigste dänische Museum für die Kunst des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart. Es liegt 35 Kilometer nördlich von Kopenhagen am Öresund in der Ortschaft Humlebæk. Eine Ausstellung mit Werken von Gerhard Richter gibt es dort nicht; das Interview "In Art We Find Beauty and Comfort" erscheint im Video-Channel des Museums in einer Reihe von ähnlichen Gesprächen mit bekannten Künstlern aus aller Welt.
Der in Köln lebende Maler nennt in dem Gespräch den Begriff "Willkommenskultur" verlogen und unnatürlich. Zu Angela Merkels Satz "Wir schaffen das" sagt Richter: "Das sind keine Wörter." Flüchtlinge seien in Deutschland nicht willkommen. Wenn ihm gesagt werde, er müsse jetzt alle willkommen heißen, dann sei das gelogen. Er habe nie etwas gegen Ausländer gehabt, lade aber nur Menschen zum Essen ein, die er kenne – "egal, ob das jetzt ein Neger ist oder ein Däne."
Zu Besuch in Richters Studio
Das Interview hat die Anmutung eines harmlosen Werkstattgesprächs, das einen der berühmtesten bildenden Künstler der Gegenwart über sich und die Welt räsonieren lässt. Geführt hat es der dänische Kurator Anders Kold im September in Gerhard Richters Studio in Köln. Man bekommt auch ein paar Einblicke in dessen Atelier, sieht Pinsel und Farbtöpfe, umspült von sanfter Klaviermusik.
Der Maler sitzt vor einem seiner vielfarbigen "Strips" und reagiert auf Stichwörter oder Fragen seines unsichtbaren Besuchers, der ihn vertraulich duzt. "Ich bin ja richtig Kind meiner Zeit. Und das war auch für mich immer anregender als irgend eine Meinung." So beginnt Gerhard Richter, geboren 1932 in Dresden, seine unverblümte Reflexion: "Ich bin fasziniert vom Zufall, weil es ist ja fast alles Zufall. Wie wir beschaffen sind, warum ich nicht in Afrika geboren bin, sondern hier. Alles Zufall. Na gut." Afrika? Ist das schon ein Anklang dessen, was Richter später über "Neger" loswerden will?
Unterhaltung und Sensationen
Der Kurator Anders Kold hat jedenfalls eine Agenda. Er stellt Suggestivfragen wie "Schönheit ist ja ein anderes Konzept. Ist das verloren?" Oder auch "Schönheit und Trost, brauchen wir das?"
Gerhard Richter begibt sich bereitwillig auf die kulturpessimistische Bahn: "Nach wie vor ist das ein Ideal für mich, Schönheit. Ich kann da auch nichts Schlechtes finden. Schönheit wird ja diffamiert. In der Mode, Models sind schön, das stimmt ja alles nicht, die sehen ja sehr doof aus." Und dann: "Im Moment ist das nicht angesagt, Schönheit brauchen wir nicht, wir brauchen Unterhaltung, Sensationen. (…) Wir wollen konsumieren."
Richter erzählt vom Isenheimer Altar in Colmar, bringt ein Zitat Thomas Manns über die heiter-demokratische Zukunft der Kunst, spricht von Ornamenten und Assoziationen, Verdopplung und Verkleinerung … doch etwas unvermittelt biegt er wieder auf die betrübliche Gegenwart ein: "Das passt in die Zeit. Das stirbt ja weg, Erinnerung. Durch die Massenhaftigkeit von Fotografie und von Bildern. Das ist ja undenkbar. Wir brauchen uns auch nicht erinnern, weil wir Computer haben. Wenn ich meine Kinder sehe mit dem Handy, die kriegen ja alles gesagt. Alles. Und alles gezeigt, jedes Bild, tausende."
Eine ungeheure Umwälzung
So weit, so gut. Nichts, was man einem 84-jährigen Mann mit diesem gewaltigen Horizont nicht zugestehen würde. Doch bei 6:46 Minuten in diesem Video will der Interviewer Anders Kold politisch werden – und es gelingt ihm. Er fragt: "Du bist und bleibst auch ein Maler aus Deutschland. Geschichte und Gegenwart haben für dich stets eine große Rolle gespielt in verschiedener Weise. Wie blickst du heute auf dieses Land?"
Richter antwortet: "Es hat eigentlich die gleichen oder ähnliche Probleme wie jedes Land heutzutage im Moment. Jedes Land hat Probleme mit dieser ungeheuren Umwälzung…" (Die englischen Untertitel, die Richters Statements übersetzen, schmücken den letzten Satz großzügig in Richtung "Flüchtlingswelle" aus: "Every country has problems with this huge wave of immigration".) … "und ich bin da halt ein bisschen skeptischer als Frau Merkel, die da sagt: `Wir schaffen das.`"
Wen er zum Essen einlädt und wen nicht
Nun folgen die Zitate, die den Wirbel verursacht haben. Gerhard Richter kommt in Schwung: "Zum Beispiel die Parole von der Willkommenskultur, die wir eingeführt haben mit unserem Präsidenten. Die ist so verlogen. Das ist unnatürlich. Wir sind Flüchtlinge nicht willkommen. Ich habe noch nie was gegen Ausländer gehabt. Aber wenn mir gesagt wird: `Du musst jetzt alle willkommen heißen`, dann ist das gelogen. Ich nehme die nicht zum Essen, sondern nur die ich jetzt kenne. Egal, ob das jetzt ein Neger ist oder ein Däne."
Dazu zeigt Richter dem Interview-Partner und der Kamera ein breites komplizenhaftes Lachen. Anders Kold fragt abschließend, auf Gauck und die kritisierte Willkommenskultur zielend: "Das ist eine Art politische Correctness?" Gerhard Richter: "Ja. Ja. Und `Wir schaffen das`, das ist meine tiefste Überzeugung, das sind keine Wörter. Aber ich will nicht über Merkel hier reden!"
Er wollte nicht über Merkel reden, aber im aufwändig produzierten Video des dänischen Museums ist genau das zu hören und zu lesen. Kein Schnitt – von denen es einige gibt – hat diese Passage getilgt und Gerhard Richter damit vor der absehbaren Aufregung geschützt. Offensichtlich wollte der Kurator dessen Aussagen zur Flüchtlingsfrage in diesem Ateliergespräch präsentieren. Ob aus politischem Kalkül, aus der Lust an vermeintlicher Inkorrektheit oder nur, um Aufmerksamkeit für das Louisiana Museum zu erzeugen – das ist fraglich.
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