Ein Energieriese aus Aserbaidschan: Nur Erdöl reicht Socar nicht mehr

  21 November 2016    Gelesen: 2030
Ein Energieriese aus Aserbaidschan:  Nur Erdöl reicht Socar nicht mehr
Socar muss sich an einen tieferen Erdölpreis gewöhnen: Der Öl- und Gaskonzern aus Aserbaidschan geht über die Bücher. Das spürt auch das Ausland – bis hin zur Schweiz.

Es ist schwer, sich Aserbaidschan ohne Erdöl vorzustellen. Und es ist schwer, sich das kleine Land am Kaspischen Meer ohne Socar vorzustellen. Der Energieriese, der in der Schweiz durch sein Tankstellennetz bekannt ist, ist das grösste Unternehmen Aserbaidschans, beschäftigt direkt 52`000 Angestellte, gehört dem Staat und arbeitet mit den wichtigsten Ressourcen des Staates. Doch der Weltmarktpreis für Aserbaidschans bedeutendstes Exportgut, Erdöl, hat sich seit Mitte 2014 mehr als halbiert. Das hat den drittgrössten Ölproduzenten im postsowjetischen Raum getroffen. Socar geht auf die Suche – nach neuen Produkten und nach Geld.

Repräsentanz in Genf gestrichen

Allzu beeindruckt gibt man sich allerdings nicht: «Wir haben es geschafft, den Effekt des Ölpreiszerfalls zu minimieren», sagt Tofig Gachramanow, Vizepräsident für Strategie, in einem Telefongespräch mit Socar-Managern. Die wichtigsten Investitionsprojekte seien gesichert, fügt er hinzu. Dazu zählt die Entwicklung des Offshore-Feldes Shah-Deniz-2, das ab 2020 Erdgas für Europa liefern soll (vgl. untenstehenden Artikel). Anderes war nicht so wichtig: Socar hat Repräsentanzen im Ausland geschlossen, darunter im Frühjahr die Dépendance in Genf. Nur zwei Büros blieben erhalten. Socar schrieb vergangenes Jahr einen Verlust von 1,8 Mrd. Man. (1,1 Mrd. $), nach einem Gewinn von umgerechnet 762 Mio. $ im Jahr 2014. Der Umsatz schrumpfte 2015 nur um 17% auf 19,6 Mrd. $.

Hinter den unterschiedlichen Auswirkungen des Preisrutsches stecken Wechselkurseffekte. Der fallende Ölpreis setzte Aserbaidschans Landeswährung Manat unter Druck. Die Zentralbank konnte den Kurs nicht verteidigen und wertete den Manat vergangenes Jahr zwei Mal ab. Da Socar in der Heimatwährung abrechnet, fing der Währungszerfall einen Teil des Ölpreiszerfalls auf. Aber für den Gewinn müssen auch Verbindlichkeiten bewertet werden. Laut der Rating-Agentur Moody’s Investors Service hatte Socar per Mitte 2015 zusammengerechnet rund 8,2 Mrd. $ Schulden im Ausland, über das Zehnfache des Betriebsgewinns. Davon lauteten 91% auf Fremdwährungen.

Öl war schon immer das Gold Aserbaidschans, das heute von Präsident Ilham Alijew geführt wird. Bereits in den 1840er Jahren wurde dort mechanisch gebohrt; Ende des 19. Jahrhunderts war das Land der grösste Ölproduzent der Erde. Rund um die Hauptstadt Baku nicken immer noch viele der klassischen Pferdekopfpumpen vor sich hin. Laut BP förderte Aserbaidschan vergangenes Jahr 841 000 Fass Öl pro Tag. Rund ein Fünftel ging auf das Konto von Socar, der Rest entfällt auf die internationalen Partner in den vielen Konsortien. Firmen wie BP brachten Kapital und Wissen für die Expansion: 1997 lag Aserbaidschans Produktion noch bei 182 000 Fass pro Tag – und 2009 bei über 1 Mio. Doch seither ist sie geschrumpft. Die Hälfte der Ölreserven hat das Land laut Socar-Vizepräsident Gachramanow aufgebraucht – künftig will der Konzern mehr Erdgas fördern.

Erste Rezession in Aserbaidschan seit 1995

Die Nicht-Erdöl-Wirtschaft wuchs zwar nach der Jahrhundertwende enorm schnell, aber hauptsächlich aufgrund der Umverteilung staatlicher Öleinnahmen, zum Beispiel in den Bausektor. Jetzt trifft der niedrige Ölpreis auch die Staatsfinanzen: Im Jahr 2015 kippte der Haushalt ins Minus, das Defizit betrug laut Internationalem Währungsfonds (IMF) knapp 7% des Bruttoinlandprodukts (BIP). Für 2016 sagt der IMF ein Budgetdefizit von 10% voraus, und das BIP dürfte um 2,4% schrumpfen. Es ist die erste Rezession seit 1995.

Ein erster, wichtiger Schritt zur Diversifizierung wäre gemacht, wenn das Land mit 9,5 Mio. Einwohnern nicht nur Rohöl oder künftig mehr Erdgas exportieren würde, sondern auch höherwertige Energieprodukte. Auch Socar wäre als stärker vertikal integrierter Konzern, der die ganze Wertschöpfungskette abdeckt, weniger anfällig. Die grosse, aber veraltete Erdölraffinerie des Landes wird deshalb bis 2020 generalüberholt. Nördlich von Baku, in der Industriestadt Sumgait, will der Konzern einen Schritt weiter gehen. Bis zu einem Viertel der Chemikalienproduktion der Sowjetunion stammte einst von dort. Jetzt werden die Produktionsstätten modernisiert, manche sind bis zu 60 Jahre alt.

Mehr aus dem Öl machen

«Chemische Konsumgüter werden heute meistens nach Aserbaidschan importiert. Wir wollen die lokale Nachfrage stillen und gleichzeitig 70% unserer künftigen Produktion ausführen», sagt Muchtar Babajew, Präsident der in Sumgait tätigen Produktionsunion Azerikimya. Die von seinen Anlagen hergestellten Vorprodukte sollen in einem nahe gelegenen Industriepark weiterverarbeitet werden. Dort sind drei Fabriken im Bau, die auf dem Weltmarkt einen Vorteil ausspielen sollen: Obwohl der Ölpreis der Referenzsorte Brent seit 2014 von 110 $ auf 50 $ je Fass fiel, habe sich der Preis für Ölchemikalien nur um einen Viertel verbilligt, so Babajew. Südlich von Baku entsteht zudem eine grosse Anlage zur Gasverarbeitung, mit der die Chemikalienproduktion erst recht einen Schub erhalten soll. Der ist nötig: Aserbaidschan exportiert bis zu 40 Mio. t Rohöl im Jahr und verarbeitet 6,5 Mio. t in Raffinerien. Aber nur 250 000 t Chemikalien werden produziert.

Stellt sich beim derzeitig niedrigen Ölpreis nur die Frage nach der Finanzierung. Für die Modernisierung der Ölraffinerie beträgt das Budget inzwischen bis zu 1,7 Mrd. $; zuerst waren 1,3 Mrd. $ geplant. Das Geld sollte ursprünglich von der Regierung stammen, aber deren Taschen sind nicht mehr unendlich tief: Eine andere Fabrik, die im Industriepark Sumgait Düngemittel herstellen soll, wurde anfangs auch vom Staat finanziert. Der gibt jetzt nur noch eine Garantie. Dafür brachte der Generalunternehmer Samsung Geld von der koreanischen Exportkreditversicherung mit. Und von der Gasverarbeitungsfabrik wird eine kleinere Variante realisiert, kein grosser Industriekomplex. Laut lokalen Medienberichten betragen die Kosten deshalb in der ersten Bauphase nur 4 Mrd. $ statt 7 Mrd. $. Socar diskutiert mit ausländischen Geldgebern – dem Vernehmen nach zuerst erfolglos mit japanischen, derzeit offiziell mit chinesischen.

Priorität hat die Türkei, nicht die Schweiz

Wenig verwunderlich, steht auch eine forcierte internationale Expansion nicht auf der Agenda. Socar besitzt Tankstellen in der Ukraine, Rumänien, Georgien und seit der Übernahme der Esso-Stationen im Jahr 2011 auch in der Schweiz, wo zudem das Handelsgeschäft angesiedelt ist. In diesen Ländern wolle Socar allmählich wachsen, erläutert Suleiman Gasimow, Vizepräsident für Wirtschaftsfragen. Man erhalte zwar Angebote, etwa zur Erweiterung des Tankstellennetzes. Aber: «Der Kauf weiterer Anlagen im Ausland ist nicht geplant», sagt er. Priorität hat der nach Gasimows Worten strategisch wichtige türkische Markt. Socar besitzt bereits mehr als die Hälfte des grössten petrochemischen Produzenten der Türkei und baut eine eigene Ölraffinerie in dem Mittelmeerland, das stark auf Energieimporte angewiesen ist.

Wirtschaftskorrespondent Benjamin Triebe auf Twitter:

Quelle:nzz

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