Die äußeren Bedingungen passten ganz gut zur derzeitigen Stimmung beim FC Bayern: frostig, turbulent und ziemlich ungemütlich.
Gala-abende in den großen Arenen Europas zu zelebrieren, das mag der FC Bayern gerne, am Abend aber steht das Gastspiel beim FK Rostow an (18 Uhr, High-Liveticker SPIEGEL ONLINE; TV: Sky), im kleinsten Stadion der Champions League mit 15.840 Zuschauern. Das Stadion heißt nicht Bernabéu, Nou Camp oder San Siro, es heißt Olimp-2 und trug früher mal den schönen Namen Rostselmasch-Fabrik-Stadion. Der Ausflug in den Süden Russlands ist eine seltsame Reise, ein Ausflug ins Ungewisse.
Fragen nach dem Trainer? "Blödes Gequatsche"
Noch sehr viel rätselhafter aber sind die Gesamtlage beim FC Bayern nach der Niederlage am Samstag in Dortmund und der Umgang mit der neuen Situation als Überraschungs-Tabellenzweiter der Bundesliga. Es ist schwer, abzuschätzen, wie die kommenden Wochen bis Weihnachten verlaufen werden - weil derzeit auch nicht zu erkennen ist, welchen Plan Carlo Ancelotti hat.
Dass es keine drei Monate nach Saisonbeginn erste Fragen zum Trainer geben würde, das hatte sich Karl-Heinz Rummenigge auch nicht gedacht. Bayerns Vorstandsboss stand Dienstagmorgen vor dem Abflug am Münchner Flughafen, als es um fehlende Fitness bei einigen Spielern ging, und ob das Training nicht hart genug sei. Rummenigge erwiderte darauf etwas unwirsch mit einer in diesem Zusammenhang holprigen Redewendung: "Kalter Kaffee." Um zu ergänzen: "Blödes Gequatsche. Wir haben einen hervorragenden Trainer." Das ist unbestritten, nur ist derzeit nicht ersichtlich, was der hervorragende Trainer mit dieser hervorragenden Mannschaft vorhat.
Als Josep Guardiola vor gut drei Jahren in München anfing, hüpfte er schon beim allerersten öffentlichen Training zum erkennbaren Erstaunen seiner Spieler herum wie ein reinkarniertes Rumpelstilzchen und gab klare Anweisungen. Guardiola war der fanatische Perfektionist, der stets jede Übungseinheit immer wieder unterbrach, so lange, bis der von ihm geforderte Spielzug wie gewünscht einstudiert war. Ancelotti dagegen lässt alles laufen und seine Spieler machen, im Training wie auch im Spiel. Das sieht manchmal aus wie erhaben buddhistische Ruhe, manchmal aber auch, wie am Samstag in Dortmund, wie schicksalsergebene Apathie.
Zu erörtern, ob ein wütend herumfuchtelnder Irrwisch Guardiola seine Mannschaft noch eher zum Ausgleich getrieben hätte, ist müßig. Klar zu erkennen ist aber, dass die Spieler des FC Bayern wenige starre Vorgaben haben, weniger Führung als in den vergangenen drei Jahren - und dass sie mit diesen Freiheiten derzeit herzlich wenig anfangen können. Auch darum sind sie nur Zweiter in der Liga - für das Selbstverständnis des FC Bayern eine empfindliche Kränkung. Deswegen haben sich für die Adventszeit nun auch die Prioritäten verschoben.
Platz zwei hinter Atlético wäre in Ordnung
So gab Rummenigge dem Spiel in Rostow nur den Status eines zweitrangigen Pflichttermins. Der Klubchef ist abgerückt von dem noch vor drei Wochen proklamierten Ziel, dem Gruppensieg in der Champions League-Vorrunde. Abgerückt sicher auch deshalb, weil man als Erster nicht automatisch einem schweren Achtelfinalgegner aus dem Weg ginge. Aktuell liegen unter anderem die Schwergewichte Real Madrid und Manchester City in ihren Gruppen auf Rang zwei. Platz zwei hinter Atlético Madrid wäre also auch in Ordnung.
Platz zwei in der Liga hinter Leipzig aber, das geht für die Bayern gar nicht. Bezeichnend, dass Rummenigge am Dienstag sagte: "Das wirklich wichtige Spiel in dieser Woche findet Samstag um 18.30 Uhr gegen Leverkusen statt. Wir müssen zusehen, dass wir den Tabellenplatz hinter dem Spitzenreiter aufholen. Wir werden Jagd machen." So etwas hatte man aus seinem Munde lange nicht gehört.
Es wird interessant, zu beobachten, ob die Bayern mit der Rolle des Jägers umgehen können oder ob sie die neue Situation noch nervöser macht. Vor der Winterpause steht jedenfalls noch ein imposantes Programm an, gegen Leverkusen, in Mainz, gegen Wolfsburg, in Darmstadt und drei Tage vor Heiligabend das Top-Spiel gegen Leipzig. Nach nur zwei Siegen in den vergangenen sechs Ligaspielen alles Begegnungen, in denen nur noch Erfolge zählen.
Nicht, dass in der Trainerfrage der Kaffee noch warm wird.
Quelle : spiegel.de
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