Warum die ARD nun doch über den Mord in Freiburg berichtet

  06 Dezember 2016    Gelesen: 441
Warum die ARD nun doch über den Mord in Freiburg berichtet
Während andere Medien schon über den Mord an der Studentin Maria L. in Freiburg berichteten, schwieg die ARD - und sorgte mit ihrer Begründung für verstärkte Kritik. Nun folgten zwei Beiträge zum Thema.
Es ist nicht so, dass der Mord an einer Studentin in Freiburg verschwiegen worden wäre. Fachblätter haben schon früh berichtet, andere Medien folgten spätestens, als die Identität des festgenommenen Verdächtigen bekannt wurde - ein 17-jähriger Asylsuchender aus Afghanistan, ein "unbegleitet" eingereister Minderjähriger. Ein Flüchtling. Darüber berichteten alle, von "Focus" bis zum ZDF-"heute-journal".

Nur der "Tagesschau" war weder der Mord noch die Festnahme eine Meldung wert.

Als sich besorgte Bürgerinnen und Bürger bereits in den sozialen Netzwerken versammelten, begründete die "Tagesschau"-Redaktion auf Facebook ihr vermeintliches Versäumnis noch nüchtern mit dem Hinweis, dass es sich bei dem Fall um ein "regionales Ereignis" und damit um keine Nachricht gehandelt habe, die der Ausgabe um 20 Uhr würdig gewesen wäre. Ein deutsches Mädchen, ein Flüchtling, ein Mord. Regionales Ereignis? Auweia. Lügenpresse!

Nun hält man sich bei der "Tagesschau" viel auf seine strengen Richtlinien zugute. So viel, dass die Verantwortlichen die Empörungswellen unterschätzten. Nicht aber den Nachrichtenwert selbst, wie der "ARD-aktuell"-Chefredakteur Kai Gniffke am Sonntagabend - mehr als 24 Stunden nach dem angeblichen Fauxpas - auf tageschau.de beharrte: "Wir können und wir wollen nicht über jeden der circa 300 Mordfälle pro Jahr berichten", schrieb Gniffke. Möglicherweise hätte die Redaktion den "Gesprächswert" des Falls höher veranschlagen können - also die Tatsache, dass "die Leute" darüber reden. Wie die Leute halt neuerdings so reden, wenn sie in ihren Echoräumen zusammen alleine sind. Frei von der Leber weg.

Fragerunde mit Gniffke

Entsprechend klangen auch die Fragen, denen sich Gniffke dann am Montag live auf Facebook stellte. Vor bis zu 3500 Teilnehmern des Chats erklärte er mit engelsgleicher Geduld, was die Hauptnachrichten unter "gesellschaftlicher Relevanz" verstehen und dass der Fall keineswegs aus Staatsräson verschwiegen worden sei: "Ich versichere Ihnen, dass ich nicht jeden Tag aus dem Bundeskanzleramt oder dem Nato-Hauptquartier einen Anruf bekomme und gesagt kriege, was ich zu tun und zu lassen habe."

Zu diesem Zeitpunkt allerdings hatte der "Gesprächswert" nicht nur in den digitalen Kloaken seinen Höhepunkt erreicht. Druck auf die Redaktion kam von allen Seiten, aus der Politik, von anderen Medien. Als wäre die "Tageschau" verpflichtet, ihre traditionellen Kriterien fahren zu lassen, damit der fremdenfeindliche Mob seine Vorurteile nun auch offiziell bestätigt sieht. Schon gehört? Sogar in der "Tageschau" haben sie`s gebracht! Schlimm mit diesen Flüchtlingen, wer da alles kommt!

Nicht zu berichten, das war eine auf redaktioneller Routine und journalistischem Ethos beruhende, in ihrer Wirkung aber dann eben doch politische Entscheidung. Dass diese zu diesem Zeitpunkt richtige Entscheidung von interessierter Seite interpretiert werden kann, als wäre hier womöglich eine wichtige Nachricht "aus politischer Korrektheit unterdrückt" worden, wie unter anderem im "Münchener Merkur" zu lesen war, braucht die Verantwortlichen nicht zu kümmern. Ihr Job ist es, "über gesellschaftlich, national und international relevante Ereignisse" (Gniffke) zu berichten. Ihr Job ist nicht, den Affen Zucker zu geben.

Nun also doch Thema bei "Tagesschau" und "Tagesthemen"

Allerdings räumte Gniffke ein: "Das hat jetzt eine Schwelle überschritten, sodass wir eine gesellschaftliche Diskussion haben." Als sich also die Relevanz der Nachricht ohne Beteiligung der ARD (nur der SWR hatte berichtet, das Breisgau gehört zu seinem Sendegebiet) hoch genug geschaukelt hatte, wurde sie am Montagabend doch noch zum "Tagesthema" - elegant eingebunden in ein Interview mit Angela Merkel, das vor der Sendung aufgezeichnet worden war und dessen entsprechende Passagen bereits in der "Tagesschau" gesendet wurden.

"Bleiben wir nochmal kurz bei der Flüchtlingskrise", sagte Ingo Zamperoni, denn "hierzulande" werde gerade heftig ein Fall aus Freiburg diskutiert. Was die Kanzlerin denn diesen Leuten, den Diskutierenden, zu sagen habe? Merkel sprach den Angehörigen ihr Beileid aus für ein Ereignis, "über das man auch ganz offen sprechen muss" - das aber nicht "zur Ablehnung einer ganzen Gruppe" führen dürfe.

Den "Umschwung", der also eigentlich gar keiner war, begründete Zamperoni in der Sendung damit, dass Täter und Opfer "instrumentalisiert" würden. Es folgte ein unaufgeregter Beitrag von Daniel Hechler, keine drei Minuten: "Es liegt ein Schatten über Deutschlands Sonneneck." Jogger an der Dreisam, ein mit Kerzen und Herzen geschmückter Baum. Und drei Bürgerinnen und Bürger ohne Fackeln und Mistgabeln - aber mit Sorge um den "linksliberalen Geist" der Stadt und Aussagen wie: "Ich bin nicht geneigt, jetzt die Flüchtlinge alle unter einen Topf zu setzen."

Auch andere Stimmen kommen in dem Beitrag zu Wort. AfD-Politiker Jörg Meuthen bedauert die ungehinderte Einreise männlicher Flüchtlinge, da sei es "naheliegend, dass so was passiert". Rainer Wendt von der deutschen Polizeigewerkschaft wäre gerne "besser vorbereitet gewesen" auf den "Ansturm insbesondere männlicher junger Flüchtlinge". Und Sigmar Gabriel findet die Instrumentalisierung auf dem Rücken des Opfers "unerhört". Freiburg, so schließt der Beitrag in versöhnlichem Moll, rücke zusammen. Fertig.

Quelle : spiegel.de

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