Anschlagsopfer erhalten laut Gesetz keine Entschädigung

  23 Dezember 2016    Gelesen: 750
Anschlagsopfer erhalten laut Gesetz keine Entschädigung
Es klingt absurd: Opfer und Angehörige des Anschlags von Berlin erhalten nach einem Gesetz keine Hilfen, weil der Angriff mit einem Lkw erfolgte.
Bislang hat der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin zwölf Todesopfer gefordert. Von 48 Verletzten sind 14 weiterhin schwer verletzt, zum Teil befinden sie sich in sehr kritischem Zustand.

Noch dürfte es für Überlebende und die Angehörigen der Toten kein Thema sein, aber irgendwann mit Abstand zum furchtbaren Ereignis wird sich die Frage stellen, ob es Entschädigungszahlungen gibt. Hier könnte sich für die Betroffenen eine absurde Situation ergeben: Nach dem Gesetz über die Entschädigung von Opfern (OEG) gibt es ausdrücklich keine Zahlungen, wenn die Tat durch einen Lastkraftwagen verübt wurde.

In Paragraf 1, Absatz 11 heißt es nämlich: "Dieses Gesetz ist nicht anzuwenden auf Schäden aus einem tätlichen Angriff, die von dem Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges oder eines Anhängers verursacht worden sind."

Ein Zustand, den Roland Weber, Opferbeauftragter des Landes Berlin, gegenüber der "Berliner Morgenpost" scharf kritisierte. Er sprach von einer "fatalen Lücke" und einem Unding, "dass ausgerechnet den Opfern und Angehörigen der Opfer dieses terroristischen Anschlags nach dem OEG nicht in der gebotenen Weise geholfen werden kann".

Ausnahme für den polnischen Lkw-Fahrer

Eine Ausnahme nach dem OEG sieht der Opferbeauftragte: Gemeint ist der polnische Lastkraftwagenfahrer, der mutmaßlich von dem verdächtigen Täter, dem 24-Jährigen Tunesier Anis Amri, getötet wurde. Der Fahrer, der 37-jährige Lukasz U., sei erschossen worden und falle demnach unter die Bestimmungen des Gesetzes. Seine Angehörigen könnten also eine Entschädigung bekommen. U. ist verheiratet und Vater eines 17-jährigen Sohnes. "Das zeigt sehr deutlich, wie absurd dieses Gesetz an diesem Punkt ist", so Weber zur "Berliner Morgenpost".

Das OEG, das seit 1976 in Kraft ist und im Sommer 2011 novelliert wurde, regelt über die Maßnahmen der Heilbehandlung und der medizinischen Rehabilitation einschließlich psychotherapeutischer Angebote auch Einmalzahlungen für Geschädigte. So heißt es im Gesetz: Bei Verlust mehrerer Gliedmaßen, bei Verlust von Gliedmaßen in Kombination mit einer Schädigung von Sinnesorganen oder in Kombination mit einer Hirnschädigung, bei schweren Verbrennungen oder bei vollständiger Gebrauchsunfähigkeit von mehr als zwei Gliedmaßen beträgt die Einmalzahlung 25.632 Euro. Ebenso finden sich im Gesetz Entschädigungsregelungen für Taten, die im Ausland begangen wurden, etwa für Vollwaisen und Halbwaisen. Ein Schmerzensgeld allerdings wird nicht gezahlt.

Weber setzt sich seit Jahren für eine Reform des OEG ein. Auch in Fällen von psychisch traumatisierten Menschen, die Opfer eines Wohnungseinbruchs oder von Stalkern geworden sind, gilt das Gesetz bislang nicht. Dabei gebe es, so Weber, doch längst gesicherte Tatsachen, dass es sich auch bei diesen Menschen um Opfer handele, die dringend Hilfe bräuchten.

Der Opferbeauftragte des Landes Berlin hofft nach dem Terroranschlag auf eine Debatte, an deren Ende eine gründliche Überarbeitung des OEG durch den Bundestag steht.

Mögliche Hilfen können die Opfer von zwei anderen Stellen erhalten: Beim Verein Verkehrsopferhilfe, der eine Einrichtung der Autohaftpflichtversicherer ist. Der Verein unterstützt Menschen, bei denen ein Kraftfahrzeug vorsätzlich als Waffe eingesetzt wurde. Doch sind laut Weber die Möglichkeiten allerdings begrenzt, auch seien die Summen geringer, die zur Auszahlung anstehen können. Auch das Bundesamt für Justiz in Bonn wäre für die Opfer eine Anlaufstelle, hier können Opfer terroristischer Anschläge Härteleistungen erhalten. Allerdings gibt es hier keinen Rechtsanspruch wie beim Opferentschädigungsgesetz.

Wie es mit dem Opferentschädigungsgesetz - und der Rechtslücke zu tätlichen Angriffen mit Kraftfahrzeugen oder eines Anhängers - nach dem Anschlag von Berlin weitergeht, ist bislang offen. Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE erklärte das Bundesjustizministerium am Freitag, in Sachen Opferschutzgesetz sei nicht Justizminister Heiko Maas (SPD), sondern das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) "federführend" zuständig. Ministerin ist dort Andrea Nahles, ebenfalls SPD.

Quelle : spiegel.de

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