Etwa 85 Kinder bis 14 Jahre, das schwankt täglich, leben derzeit in Traiskirchen. Darunter 20 alleinreisende Kinder, sogar Kleinkinder kommen ohne Eltern oder Verwandte. Die nimmt auf dem Weg nach Europa meist jemand unter seine Fittiche, in Traiskirchen stehen dann mitunter Fünfjährige allein vor dem Tor und sagen „Asyl“. Aber diese Fluchtgeschichten, das, was die Kinder in ihrer Heimat erlebt haben müssen, die Herbergsuche, die auch in der Tristesse Traiskirchens lang nicht zu Ende ist, die sind an diesem Nachmittag vergessen – warten doch das Christkind und der Weihnachtsmann. Was es mit denen auf sich hat, da gibt es keine nähere Erklärung.
Wilhelm Brunner, operativer Leiter der Asyldienstleister-Firma ORS, erklärt die Tradition des Schenkens, lässt das auf Farsi und Arabisch übersetzen und lobt die Spender der Packerln von „Beamte Helfen“, von Schulen oder Firmen. Religiöse Inhalte oder Erklärungen gibt es nicht, sind doch die Mehrheit, oder, so Schabhüttl, „fast 100 Prozent“ der Bewohner Muslime. Said zum Beispiel. Er, zwölf Jahre und aus Tschetschenien, tritt aus dem Halbkreis, trägt verschmitzt vor: „Lieber, guter Weihnachtsmann, guck mich nicht so böse an. Stecke deine Rute ein, ich will auch immer artig sein!“ Lachen bei den Gästen. Zumindest bei denen, die ihn verstanden haben. Für das Highlight braucht es keine Sprache – es klopft, die Tür hinter den Kindern geht auf, eine als Christkind verkleidete Mitarbeiterin – weiße Löckchen-Perücke glitzerndes Diadem, Engelskostüm mit Flügeln – und ein Weihnachtsmann mit Zipfelmütze, Mantel und falschem Bart treten ein.
Staunen und Lachen
Minutenlanges Staunen, Lachen, Fotografieren. Später, nachdem noch „Kling, Glöckchen, klingelingeling“, „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ und „Bruder Jakob“ gesungen wurden, gibt es Packerln. Für die meisten Kinder ist es das erste Weihnachten in Österreich, die Familien sind erst kurz in Österreich. Im Schnitt sind auch die Aufenthalte in Traiskirchen mittlerweile kurz: Schabhüttl spricht von durchschnittlich 18 Tagen. Bei manchen, den Dublin-Fällen, deren Asylverfahren in einem anderen EU-Land durchgeführt wird, sind es auch Monate. In Summe leben derzeit rund 660 Menschen im Erstaufnehmezentrum, jeder Dritte davon ein unbegleiteter Minderjähriger.
An die Zustände im Sommer 2015, als mehr als 4000 Menschen auf dem Gelände lebten, zu großen Teilen obdachlos und von Freiwilligen versorgt, erinnert nichts mehr. Während Traiskirchen für Journalisten damals Tabuzone war, Einlass nur selten und wenn doch, dann nur begleitet gewährt wurde, darf man heute allein über das Gelände spazieren – zumindest, wenn man für die nette Weihnachtsgeschichte kommt.
Weihnachten? Das gefalle ihm, sagt Said, der zuvor das Gedicht vorgetragen hat. Er spricht gut Deutsch, er ist immerhin schon zum zweiten Mal in Österreich. Vor zwei Jahren war die Familie – sein Bruder spielt bei der Feier Gitarre, seine Mutter, hochschwanger und verschleiert, filmt mit dem Handy – schon hier. Zurück in Tschetschenien „hatte mein Vater Probleme“, also wieder Österreich. Die Feier sei für ihn eine schöne Abwechslung, das Leben in Traiskirchen sei „nicht gut, nicht schlecht“, aber vor allem langweilig. Ob er Weihnachten kenne? „Ja, bei uns in Tschetschenien feiern das alle.“ Wie das? „Am 31. Dezember, mit vielen Feuerwerken überall.“ Alles klar.
Lieder, Christkind, Packerln, Lichter – das reicht im Fall dieser Feier als weihnachtlicher Inhalt. Diese Feier soll auch ein Zeichen für das Verbindende zwischen den Religionen sein. „Wir versuchen, Brücken zu bauen. Wir laden Christen zweimal pro Woche zum Gebet, auch alle anderen sind eingeladen, auf einen Tee oder zum Gespräch zu kommen, und viele nehmen das gern an“, erzählt die Seelsorgerin der Erzdiözese, die zweimal pro Woche nach Traiskirchen kommt. Anfangs sei sie bei vielen mit dem Feindbild Christentum konfrontiert. Muslime, die der Einladung zum Gespräch – das keiner Christianisierung dienen soll, wie die Frau betont – nachkommen, täten das oft erst nur heimlich. Sie berichtet auch von Spannungen und Übergriffen auf die wenigen Christen – die kommen in Traiskirchen vor allem aus Nigeria. Aber offene Konflikte stünden nicht an der Tagesordnung und seien auch weniger geworden. „Wir spüren das Feindbild am Anfang. Aber das geht wieder, und da merken wir, dass unsere Arbeit ankommt. Die Kluft wird kleiner.“
Quelle:diepresse
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