Wie Tunesien zum Hort des Terrors wurde

  26 Dezember 2016    Gelesen: 958
Wie Tunesien zum Hort des Terrors wurde
Zwei schwere Attentate in Europa, zweimal sind die Täter gebürtige Tunesier. Warum kommen aus dem Land, das lange als demokratisches Musterland des Arabischen Frühlings galt, nun Terroristen?
Bisher schien es so, als sei Tunesien der Gewinner nach dem Arabischen Frühling. Es ging als einziges Land als Demokratie aus den arabischen Aufständen von 2011 hervor. Das tunesische Dialogquartett erhielt 2015 den Friedensnobelpreis dafür, wie es den demokratischen Prozess im Land unterstützte.

Doch nach ersten freien Wahlen, die im Dezember 2014 der anti-islamistische Politikveteran Béji Caid Essebsi gewann, ging es kaum voran in Tunesien. Vor allem das größte Versprechen der Revolution, das von Jobs und wirtschaftlichem Aufschwung, blieb weitgehend unerfüllt. 2016 hat das Land ein ernstes Problem mit Islamisten und frustrierten Jugendlichen, vor allem aber mit Radikalen: Tunesier stellen die größte Gruppe von ausländischen IS-Kämpfern außerhalb Syriens und dem Irak.

Inzwischen geht die Saat des Terrors auf, zwei Attentate in Europa wurden von jungen Männern aus Tunesien verübt: Am 14. Juli steuert der 31-jährige Mohamed Salmene Lahouaiej Bouhlel in Nizza einen LKW in eine Menschenmenge auf der Promenade des Anglais. Die Menschen hatten den französischen Nationalfeiertag begangen - 86 Tote, mehr als 300 Schwerverletzte. Am 19. Dezember wird in Berlin der Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz angegriffen, auch hier wählt ein Tunesier einen Lastkraftwagen als Waffe. Der 24-jährige Anis Amri tötet 12 Menschen und verletzt 50 weitere Besucher zum Teil schwer.

Keine Perspektive

Schon im März 2015 hatte Isabelle Werenfels in einer Analyse für die Stiftung Wissenschaft und Politik von "Perspektivlosigkeit und Unzufriedenheit bei vielen jungen Männern" in Algerien und Tunesien geschrieben. In beiden Ländern ist die Zahl der jungen Menschen extrem hoch, das durchschnittliche Heiratsalter sei vor allem aus ökonomischen Gründen gestiegen, "während das voreheliche Ausleben von Sexualität weiterhin tabu ist", so die Leiterin der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika in ihrer Einschätzung.

Die daraus entstehende Frustration münde nicht nur in Versuche, "nach Europa zu fliehen, in Drogenkonsum oder Kleinkriminalität, sondern auch in eine Hinwendung zu extremen religiösen Positionen". Sowohl Bouhlel als auch Amri hatten ihre Heimat mit dem Ziel Europa verlassen, lebten in Frankreich und Italien, kamen aber auch dort immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt.

Hinzu kam, dass nach dem Arabischen Frühling viele tunesische Dschihadisten, die in den 1980er Jahren in Afghanistan, Bosnien oder dem Irak gekämpft hatten, aus dem Exil zurückkehren konnten oder aus Gefängnissen entlassen wurden. Erst nach einem Angriff von Salafisten auf die US-Botschaft im September 2012 und mehreren Attentaten 2013 wurden einige militante Dschihadistengruppen verboten. Seitdem operieren viele dieser Gruppen im Untergrund - zum Teil finanziert aus organisierter Kriminalität, zum Teil aus Spenden auch aus dem Ausland.

Anziehung durch Islamisten

Vor allem die Gruppe Ansar ash-Sharia erwies sich für junge Tunesier als anziehend, die "sich nicht mit dem Übergangsprozess identifizieren können, weil sie zum einen dessen ökonomische Früchte nicht sehen und zum anderen die neue politische Ordnung als unislamisch ablehnen", so Werenfels. Nicht umsonst sind die Anhängerzahlen von Islamistengruppen in den sozioökonomisch benachteiligten Provinzen im Inneren des Landes sowie in den Grenzregionen besonders groß. Dazu gehört auch die Gegend um Kairouan, in deren Nähe der Heimatort des Berliner Attentäters Amri liegt.

Zunächst lag der Schwerpunkt der Gruppe stärker bei der Wohltätigkeit, allerdings nahmen militärische Aktionen und Propaganda für den Islamischen Staat in den vergangenen Jahren immer größeren Raum ein. Wegen der zerfallenen staatlichen Strukturen in den Nachbarstaaten ist zudem der Zugang zu Waffen und militärischer Ausbildung einfacher geworden. "Gemessen an der tunesischen Gesamtbevölkerung finden sich im arabischen Vergleich überproportional viele Tunesier in jihadistischen Gruppen von Syrien bis Pakistan", schrieb Werenfels 2015.

Nach dem Berliner Anschlag drängen deutsche Politiker auf die schnelle Rückführung abgelehnter Asylbewerber und eindeutig identifizierter Gefährder. In Tunesien gingen hunderte Menschen gegen die Rückkehr dieser mutmaßlichen Extremisten auf die Straße. Die Demonstranten versammelten sich nahe des Parlaments in der Hauptstadt Tunis. Bilder zeigten Menschen mit Plakaten, auf denen unter anderem "Nein zu Terrorismus" stand. Der Protest wurde von verschiedenen zivilen Gruppen organisiert. Sie fürchten, dass die Rückkehrer den Terror in ihr Heimatland mitbringen und der Demokratie den Todesstoß versetzen.

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