Abschiedsrede des US-Präsidenten: Obama fordert, warnt und weint
In Chicago, nicht im Weißen Haus, hält US-Präsident Obama seine Abschiedsrede. Sie ist gespickt mit Anspielungen auf die Gründerväter, eindringlichen Warnungen - und Tränen, als er über seine Frau spricht.
Wäre Barack Obama ein US-Präsident wie seine Vorgänger, hätte er zu diesem Anlass an seinem Schreibtisch gesessen, seinen Blick in Richtung Kameras und das Wort an die Welt gerichtet. Doch das Oval Office des Weißen Hauses bleibt verwaist. Die beiden Teleprompter sind rund 1000 Kilometer entfernt aufgebaut, nicht im Zentrum der Macht in Washington, D.C.; sondern in seiner Heimatstadt Chicago - dort, wo sein historischer Aufstieg zum ersten schwarzen Staatsoberhaupt der Vereinigten Staaten von Amerika begann.
Chicago ist eine Hochburg der Demokraten. Bei der vergangenen Präsidentschaftswahl zeigte sie nicht den Hauch eines Sinneswandels. Obama hatte den zugehörigen Bundesstaat Illinois im Jahr 2012 mit 16,9 Prozent Vorsprung gewonnen, Hillary Clinton verwies Donald Trump mit glatt 17 Prozent Abstand auf den zweiten Rang. In Chicago selbst kam sie auf 74,4 Prozent.
Als Obama zum Einstieg seiner Abschiedsrede beschreibt, wie er als unsicherer junger Erwachsener seine ersten Schritte an den Great Lakes machte, weicht er kurz von seinem Redeskript ab: "Das kann ich nicht", reagiert er auf "Four more years"-Sprechchöre. Mehr als zwei Amtszeiten sind in den USA nicht erlaubt. Er lässt die Anwesenden jubeln, als er sagt: Zwei Schritten nach vorne folge in den USA meist einer zurück. Das ist deutlich. Am 20. Januar übernimmt sein republikanischer Nachfolger Donald Trump.
Obama betont seine Erfolge: die längste Phase von Zuwächsen am US-Arbeitsmarkt in der Geschichte, die Krankenversicherung, gleichgeschlechtliche Ehen, Beilegung des Atomstreits mit dem Iran "ohne eine einzige Kugel abzufeuern", die Neuausrichtung der Beziehungen zum sozialistischen Kuba sowie das internationale Klimaabkommen. Doch der zentrale Punkt seiner Rede, der ist nicht die Selbstbeweihräucherung, sondern eine detaillierte Mahnung über den Zustand der Demokratie im Land. Obama macht das, was ihn 2008 den Erfolg brachte: Er spricht über Werte, über Solidarität. "We rise and fall as one."
Mittelschicht und Minderheiten
Obama spricht lange, und noch ein letztes Mal zeigt er im Amt, wie gut er es kann. Er spickt seine Rede mit Anspielungen auf die Verfassung, mit grundlegenden Glaubenssätzen der US-amerikanischen Demokratie, um zugleich seinem Nachfolger im Plauderton den mahnenden Finger zu zeigen: Spaltung der Gesellschaft schade auch dem Spalter selbst. "Ich wehre mich gegen die Diskriminierung muslimischer Mitbürger, die genauso patriotisch sind." Eine eindeutige Anspielung auf Trumps Kritik an einem muslimischen Veteran während des Wahlkampfes. Das Publikum applaudiert stehend.
Er warnt davor, die weiße Mittelschicht gegen Minderheiten in einen Kampf um den Rest des Landes zu treiben, weil dann nur die Reichen gewinnen könnten. Er stellt sogar die Forderung nach einem neuen Sozialvertrag, um den Gefahren der Automatisierung für die Mittelschicht entgegen zu treten.
Obama zählt auf, was er als Gefahren für die Demokratie ansieht: Rassenhass, Ungleichheit, Diskussionen abseits von wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen. Nur so seien Kompromisse möglich. Vehement fordert er dazu auf, sich nicht in der "Blase" der eigenen Meinung einzurichten. Die Leugnung des Klimawandels wertet er als Verrat an den Gründervätern der USA – wieder ist es ein deutlicher Bezug auf Trump, der behauptet hatte, der Klimawandel sei keine Tatsache, sondern eine Erfindung. Es klingt nicht so, als träte Obama ab. Er verpackt seine Kritik nur in einen sanfteren Kontext.
Zum Schluss dankt der scheidende Präsident auch seiner Frau Michelle, die er als Vorbild für kommende First Ladies bezeichnet – mit Stil und Anmut habe sie ihre Rolle angenommen und ausgeführt. Das Publikum klatscht erneut stehend Beifall, während Obama sich mehrmals Tränen aus den Augenwinkeln wischt: Es ist eine Liebeserklärung.
Als Obama dann auch Vizepräsident Joe Biden sowie dessen Frau dankt, die gerührt nach Michelles Hand greift, bekommen seine Worte über ethnische Konflikte in den USA noch ein bisschen mehr Gewicht. "Ich werde nicht aufhören", sagt Obama. Trotzdem wird im Oval Office bald ein anderer sitzen.
Quelle: n-tv.de